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Leserbrief zum Artikel „Menschheit abgeschrieben“, Avanti Nr. 173

Von Herbert West/Philipp Xanthos | 01.04.2010

Leserbrief zum Artikel „Menschheit abgeschrieben“, Avanti Nr. 173

Lieber Philipp!

Du schreibst, dass Hoffnungslosigkeit in der Kunst reaktionär sei.
Demzufolge wären Romane wie „Schöne neue Welt“ oder „1984“, letzterer immerhin von einem politisch aktiven Trotzkisten geschrieben, alle reaktionär? Könnte man nicht vielleicht den Versuch, aufzurütteln unterstellen?

Camerons Film, der zur Zeit Opfer einer rechten Kampagne ist, weil er (Zitat) „den Zuschauer dazu bringt, die Niederlage amerikanischer Truppen herbeizusehnen“, brachte dem Regisseur den Vorwurf des Antiamerikanismus ein. Dazu befragt, antwortete Cameron (sinngemäß), dieser Vorwurf sei falsch, da die Aussage des Films nicht gegen das amerikanische Volk gerichtet sei. Er selbst sehe seinen Film vielmehr gegen die Konzerne gerichtet, welche für die Umweltzerstörung verantwortlich seien, sowie gegen die amerikanische Politik, speziell die der Bush-Administration. Alles reaktionär – oder was??

Mit solidarischen Grüßen

Herbert West

 


Lieber Herbert,

ganz so, dass Hoffnungslosigkeit in der Kunst reaktionär sei, sollte mein Artikel nicht verstanden werden. Dass jedoch etwa „Schöne neue Welt“, wie eben auch Avatar, reaktionäre Tendenzen enthält, lässt sich kaum bestreiten.

 

Camerons Film übt sicher Kritik an der US-Kriegspolitik und am Kapitalismus, und dass er Opfer einer rechten Kampagne ist, war mir nicht bekannt. Sicher ist auch, dass der aktuelle Film damit aus der Reihe tanzt, wenn man seine vorherigen Filme betrachtet. Ich möchte noch einmal kurz darlegen, worin meines Erachtens die bürgerliche Ideologie bei Avatar besteht:

  1. Es gibt zwar eine gesellschaftliche Alternative. Jedoch: Die Na‘vi müssen Aliens sein. Sie handeln und fühlen menschlich, doch ihnen wird kein menschliches Antlitz zugestanden. Es wäre ein Film denkbar gewesen, in dem sich wirkliche Menschen auf einem anderen Planeten zurückziehen und dort eine neue Gesellschaft aufbauen o. ä. Doch die Zukunftslosigkeit der Menschheit liegt bei Avatar gewissermaßen im genetischen Code begründet.
  2. In der konkreten Ausgestaltung der Utopie verrät sich der bürgerliche Instinkt des Autors. Zielsicher zeichnet Cameron eine Stammeskultur, Patriarchat und stahlharte Körper in Massenchoreografie: Alles das, was ein aufgeklärter Liberaler im Alltag brav kritisiert, zeigt sich hier als sein verborgener Wunsch.

Dass Science-Fiction auch ganz anders aussehen kann, hat Gene Roddenberry schon vor Jahrzehnten mit Star Trek gezeigt. Hier sind es die Menschen, die in einer (zumindest fast) kommunistischen Hochkultur leben, in der technischer Fortschritt und ökologische Nachhaltigkeit keinen Gegensatz bilden. Im klaren Gegensatz zur Gesellschaft der Na,vi ist hier gerade das Verlassen der und das Verlassensein von der angestammten Ökosphäre das Grundmotiv. Das Besondere dabei: Weder Genotyp noch Phänotyp spielen im Star-Trek-Universum für die Menschen eine Rolle.  Roddenberry musste denn auch weitaus größere Schwierigkeiten meistern als ein Cameron. 

Hier können wir ein Gedankenexperiment wagen: Würde die alte Enterprise zufällig an Avatar vorbeischippern, wie würden die Menschen den Na‘vi begegnen? Vielleicht ist jemand in Hollywood so nett und setzt diese Idee um.

Mit roten Grüßen,
Philipp Xanthos

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