TEILEN
Innenpolitik

Leserbrief zu: „Ver.di contra Marburger Bund”

Von Clarissa L. | 29.10.2005

Mit einem Aspekt des Artikels „Ver.di contra Marburger Bund” (MB) in der September-Avanti bin ich gar nicht einverstanden. Ich bezweifle auch, dass in dieser Frage die Linie des Artikels im Einklang mit euren „traditionellen” Positionen steht.

Mit einem Aspekt des Artikels „Ver.di contra Marburger Bund” (MB) in der September-Avanti bin ich gar nicht einverstanden. Ich bezweifle auch, dass in dieser Frage die Linie des Artikels im Einklang mit euren „traditionellen” Positionen steht.
 

Thadeus Pato schreibt zur Aufkündigung der Tarifgemeinschaft mit ver.di seitens des MB: „Aufgrund der neuen, vertrackten Finanzierungsregelungen für die Krankenhäuser über die so genannten DRGs, d. h Fallpauschalen für den einzelnen Behandlungsfall, gilt im Prinzip, dass bei einer Anhebung der Ärztegehälter diese Summe auf Kosten der übrigen Beschäftigten im Krankenhaus ginge. Insofern bedeutet das Vorgehen des Marburger Bundes eine klar Entsolidarisierung von den übrigen MitarbeiterInnen im Krankenhaus und im Gesundheitswesen insgesamt.“ Und der Artikel schließt: „Und so ist das Vorgehen des MB zwar zutiefst unsolidarisch, aber leider verständlich.“

Hier sind mehrere Fehler angelegt: Zunächst zur prinzipiellen Frage: Seit wann akzeptieren wir – jedenfalls dann, wenn wir einen Klassenstandpunkt vertreten – die Budgetierung, die die Gegenseite vorgenommen hat, als Rahmen für das, was gesellschaftlich geboten ist oder für das, was Gewerkschaften als verfügbaren Rahmen akzeptieren sollten? Genauso wenig wie wir das Konzept des „Sozialismus in einer Klasse” vertreten, genauso wenig können wir doch das, was die bürgerliche Politik heute als angemessenen Personalkostenrahmen angibt akzeptieren. Ich habe in der Vergangenheit gerade die ausgezeichneten Artikel von T. Pato genau so verstanden, dass wir für eine ganz andere Gesundheitspolitik eintreten, für mehr Vorsorge, für eine Beschneidung (bzw. Abschaffung) der Profite des medizinisch-industriellen Komplexes usw. Wie können wir dann vorgegebene Budgets akzeptieren, die uns dazu zwingen sollen, den daraus sich ergebenden finanziellen Spielraum für Löhne und Gehälter zu akzeptieren und so die einen gegen die anderen aufbringen zu lassen?

Sicherlich ist der MB von seiner Geschichte her eine Standesorganisation und nicht die Speerspitze des Fortschritts. Aber zwei Dinge sollten nicht übersehen werden:
Erstens hat der MB (von Erklärungen einzelner Ärzte abgesehen, die aber heute und in der aktuellen Auseinandersetzung gerade nicht typisch sind) sich dagegen gewandt, für Gehaltserhöhungen der Ärzte andere Beschäftigte bluten zu lassen.
Zweitens weiß wahrscheinlich kaum jemand besser als T. Pato, dass Krankenhausärzte nicht mit den Ärzten gleich gesetzt werden können (und schon gar nicht mit den niedergelassenen Fachärzten oder den „privat liquidierenden” Chefärzten. Die Arbeitszeiten wie auch die Bezahlung sind ein Hohn. Deshalb muss auch hier gelten: Für eine kräftige Arbeitszeitverkürzung bei vollem Gehaltsausgleich! Nein zu allen Formen der Gehaltskürzung! Für eine offensive Gehaltspolitik!

Sodann: Die Aktivitäten der Ärzte, also das Nichtakzeptieren des Gehaltssenkungstarifabschlusses von ver.di hat den Anderen Mut gemacht. Der „erste Erzwingungsstreik an deutschen Kliniken” (FR 5.10.), den jetzt die nichtärztlich Beschäftigten an 4 baden-württembergischen Unikliniken eingeleitet haben (das Land ist nur für die Ärzte zuständig) wäre wahrscheinlich nicht so gut befolgt worden (Urabstimmungsergebnis 92,5%), wenn die Ärzte nicht schon im Sommer für eine offensive Lohn- bzw. Gehaltspolitik mobilisiert hätten und ohne die Aufkündigung der Tarifgemeinschaft des MB mit ver.di. Außerdem: Der MB hat sich ausdrücklich mit dem Streik solidarisiert.
Wenn schließlich der MB innerhalb weniger Wochen (10. 9. – 1. Oktober) 3 500 Neuaufnahmen zu vermelden hat, ist das denn kein Beleg für die Richtigkeit kämpferischer Interessenpolitik? Anmerkung: Der MB organisiert zurzeit 80 000 der 146 000 Krankenhausärzte. Wenn die Entwicklung so weitergeht, wird ver.di bald überhaupt keine Rolle mehr unter den Ärzten spielen.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite