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Leserbrief: Der Hoffnungsphilosoph und sein Schatten

Von Helmut Dahmer, Wien | 01.09.2007

Anmerkungen zum Aufsatz von Walter Weiss „Ernst Blochs Philosophie des revolutionären Marxismus.” in Avanti 145. Oskar Negt hat Ernst Bloch keineswegs zum „Philosophen der deutschen Oktoberrevolution” promoviert, sondern ihn, was auch schon ein starkes Stück war, den „deutschen Philosophen der [russischen] Oktoberrevolution” genannt.

Anmerkungen zum Aufsatz von Walter Weiss „Ernst Blochs Philosophie des revolutionären Marxismus.” in Avanti 145.


Oskar Negt hat Ernst Bloch keineswegs zum „Philosophen der deutschen Oktoberrevolution” promoviert, sondern ihn, was auch schon ein starkes Stück war, den „deutschen Philosophen der [russischen] Oktoberrevolution” genannt. Der wirkliche Ernst Bloch hat von der bolschewistischen Revolution nicht viel gehalten, die ja ohne das, was er 1934 abschätzig als „trotzkistische Quertreibereien” bezeichnete (und noch 1962 unkorrigiert so stehen ließ) gar nicht zustande gekommen wäre. Erst als die russische Revolution in ihre thermidorianische Phase eintrat, wurde sie auch für Bloch akzeptabel, der dann drei Jahrzehnte lang in Moskau ein neues „Jerusalem” sah und in Stalin – an den er seinen Philosophen-Kollegen Bucharin verriet – einen „wirklichen Führer ins Glück”, eine „Richtgestalt der Liebe”…

Was immer man sich unter einer „Philosophie des revolutionären Marxismus” vorstellen mag: Der politische Intellektuelle Bloch, der Verteidiger des Expressionismus und spätere Freund und Mentor der antiautoritären westdeutschen Studentenbewegung, war in den dreißiger und vierziger Jahren ein Apologet der Stalinschen Konterrevolution. Und der innere Zusammenhang seiner grandiosen „Ontologie des Noch-nicht-Seins” mit seiner prostalinistischen Klopffechterei, die Blochsche Kombination von Hellsicht und Blindheit ist das Problem, das heutige Bloch-Leser vor allem beschäftigt. In der Pleiade der deutsch schreibenden, marxistischen Sozialphilosophen nahm dieser Theologe der Revolution eine Sonderstellung ein, weil er – ein Philosoph nach und trotz Marx – ganz im Stil des 19. Jahrhunderts ein „System” entwickelte, das noch einmal den Natur- und Geschichtsprozess im ganzen zu deuten beanspruchte. Jürgen Habermas hat ihn mit gutem Grund einen „marxistischen Schelling” genannt. Philosophische Deutungen unserer Welt werden aber nur „stimmig” durch den Ausschluss all’ dessen, was ihnen widerspricht und wovon ihre Autoren absehen.

„Hoffnung”, von der Walter Benjamin schrieb, sie sei uns nur „um der Hoffnungslosen willen gegeben”, avancierte bei Bloch zu einem Ersten, eben zu einem „Prinzip”. Im Noch-Nicht, im Mangelzustand unserer Welt, kann man es nur schwer aushalten. Leichter wird es, wenn es nicht nur „reale Möglichkeiten” für ein anderes und besseres Leben gibt, sondern solche Möglichkeiten sich irgendwo schon realisieren, und sei es in einem einzelnen Land oder auf einer fernen Insel. Wie zahllose andere Intellektuelle seiner Zeit projizierte Bloch ein „Schon-Jetzt” ausgerechnet auf die Stalinsche Sowjetunion. Zu dem, was im „Prinzip Hoffnung” keine Rolle spielte, gehörten aber nicht nur der „Archipel GuLAG”, sondern auch Auschwitz und Hiroshima. So war die von Bloch in seinen amerikanischen Emigrationsjahren ausgearbeitete Philosophie, als er sie in den fünfziger Jahren veröffentlichte, schon völlig ungleichzeitig geworden (worauf als erster Günther Anders aufmerksam gemacht hat). Wir wollen Ernst Bloch lesen, aber den ganzen Bloch.

 

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