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Feminismus

Krippenplätze gleich „Zwang zur Fremdbetreuung“?

Von Clarissa Lang | 01.09.2007

In einem Streitgespräch (Der Spiegel v. 30.7.07) mit Familienministerin von der Leyen hat Christa Müller, familienpolitische Sprecherin der Partei Die Linke im Saarland, ein sehr rückständiges Bewusstsein offenbart und positioniert sich rechts von der CDU-Ministerin. Ein öffentlich vernehmbarer Aufschrei der Partei Die Linke ist ausgeblieben. In den öffentlich geführten Debatten geht es fast durchweg um den Gegensatz Karriere – Hausfrau.

In einem Streitgespräch (Der Spiegel v. 30.7.07) mit Familienministerin von der Leyen hat Christa Müller, familienpolitische Sprecherin der Partei Die Linke im Saarland, ein sehr rückständiges Bewusstsein offenbart und positioniert sich rechts von der CDU-Ministerin. Ein öffentlich vernehmbarer Aufschrei der Partei Die Linke ist ausgeblieben.

In den öffentlich geführten Debatten geht es fast durchweg um den Gegensatz Karriere – Hausfrau. Und selbst da, wo es um Kinder geht, sind damit meist zweifelhafte Ziele und Beweggründe verbunden. So betont Karl Lauterbach in seinem durchaus lesenswerten, aber an wichtigen Stellen politisch scharf zu kritisierenden Buch „Der Zweiklassenstaat“ die Bedeutung des gemeinsamen Lernens. Er hat dabei aber immer das schlechte Abschneiden in den PISA-Studien im Auge und möchte gerne mit einer anderen Bildungspolitik die Wettbewerbsfähigkeit unsrer Wirtschaft stärken.

Auch von der Leyen hat wahrlich keine gerade emanzipativen Vorstellungen von alternativer Kindererziehung, aber im Gegensatz zu Christa Müller will sie wenigstens die vorschulische Betreuung ausbauen und damit den benachteiligten Kindern mehr Chancen geben. Sie stellt zwei Ziele in den Vordergrund: den Frauen die reale Wahlmöglichkeit zwischen ausschließlicher Hausarbeit/Kinderbetreuung und Entfaltung im Beruf / Karriere geben und zweitens über den Ausbau von Krippen und Kindertagesstätten den Kindern aus sozial schwachen und bildungsfernen Familien eine bessere Betreuung ermöglichen.
„Erziehungsgehalt“?
Dass sich gegen dieses Vorhaben vor allem die CSU mit ihrem reaktionären Gedankengut wehrt und eine Herdprämie verlangt, sie will 150 € „Betreuungsgeld“ für Mütter, die ihre Kinder nicht in eine Krippe geben, kann eigentlich niemanden überraschen. Dass aber eine prominente Vertreterin der Partei Die Linke meint, es gäbe schon genug Betreuungsplätze (s. Kasten) ist geradezu hanebüchen. Sie will stattdessen ein „Erziehungsgehalt“ von 1600 € pro Kind im ersten Jahr, 1000 € im zweiten und dritten und 500 € zwischen dem 4. und 20. Jahr. Sicherlich könnte diese Gesellschaft die dafür erforderlichen 116 Mrd.€ aufbringen, doch bei den vorhandenen Strukturen liefe ein solches Modell faktisch auf nichts anderes als eine Herd- und Gebärprämie hinaus. Und hier trifft sich ausnahmsweise Müller mit von der Leyen und allen anderen, die sich Sorgen wegen der geringen Geburtenrate machen.
Gemeinsam leben, gemeinsam lernen, qualifiziert betreuen
Linke Politik muss von ganz anderen Zielsetzungen ausgehen. Zunächst müssen wir jegliche Monetarisierung von staatlichen Leistungen mindestens dort ablehnen, wo es um die allgemeine Daseinsvorsorge und wesentliche Dienstleistungen geht. Das heißt also nicht Gelder an die Individuen verteilen, sondern jeweils die entsprechende Infrastruktur ausreichend zur Verfügung stellen. Zweitens sollten wir in der Tat dafür kämpfen, dass Frauen nicht vor der schlechten Wahl stehen, entweder den Beruf aufzugeben oder keine Kinder zu haben. Drittens müssen wir hervorheben, wie wichtig für Kinder das gemeinsame Lernen ab dem frühesten Kleinkindesalter ist. Spätestens seit den Erziehungsdebatten der 60er Jahre und den vielen, ja massenhaften Erfahrungen von selbst organisierten Kinderkrippen und Kindertagesstätten vor allem in den 70er Jahren wissen wir, dass für die Herausbildung einer sozial engagierten Persönlichkeit nichts besser ist, als das gemeinsame Aufwachsen in der Kindergruppe.

Auch für das Erfahren und Lernen, für die kognitiven Prozesse also, ist es nicht unerheblich, ob es schon in den frühesten Lebensabschnitten die Instanz des älteren Kindes gibt. Gerade in der heutigen Zeit der bürgerlichen Kleinfamilie – mit zumeist nur einem Kind – ist nichts so wichtig wie die Kindergruppe. Von alledem, von den einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen und praktischen Erfahrungen auch und gerade der letzten Jahrzehnte ist Christa Müller völlig unberührt und möchte lieber ihr Einzelkind alleine zu Hause betreuen.
Diese häusliche Alleinbetreuung kann sich eine gut situierte Frau Müller bequem leisten und sie hat als Akademikerin und gut deutsch Sprechende sicher genug Voraussetzungen, ihren Sohn so zu betreuen, dass er in der Schule keine Schwierigkeiten hat. Aber was ist mit den Kindern aus Migrationsfamilien, aus bildungsfernen Schichten? Welche realen Möglichkeiten haben heute Alleinerziehende oder andere Kleinfamilien, die auf zwei Einkommen angewiesen sind, weil sie nur Niedriglöhne beziehen?

Qualifizierte Betreuung bedeutet auch mehr als das Kind einfach nur während der Arbeitszeit „abzugeben“, auch die Tagesbetreuung ist oft nicht pädagogisch ausgebildet,  und das ge­meinsame Aufwachsen in einer überschaubaren und festen Kindergruppe ist grundsätzlich keine „Fremdbetreuung“.
Was wir wollen
Natürlich sollten Kinder nicht endlos am Tag unterwegs sein. Sie sollten ein Zuhause haben. Das beste Mittel, hier die jeweils günstigste Kombination zu ermöglichen ist eine allgemeine Arbeitszeitverkürzung einschließlich einer Verkürzung der Wegezeiten. Wir brauchen gut ausgebildete PädagogInnen und ausreichend und kostenlos zur Verfügung stehende Krippen und Kindertagesstätten. Wir brauchen Ganztagsschulen, kleinere Klassen und andere Bildungsinhalte.

 

Christa Müller zu den Krippenlätzen
„Die 500 000 neuen Plätze für die Fremdbetreuung von Kindern entsprechen doch gar nicht der Nachfrage. So viele brauchen wir nicht [!!]. Durch ein Überangebot entsteht Druck auf die Frauen, ein Jahr nach der Geburt ihres Kindes arbeiten zu gehen [!]. Das nenne ich Zwang zur Fremdbetreuung[!].“

 

 

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