TEILEN
Länder

Kongo: Die einen wählen, die anderen zählen

Von Harry Tuttle | 01.09.2006

Das von europäischen Truppen abgesicherte Wahldebakel im Kongo wird die Macht der Warlords sichern – oder einen neuen Bürgerkrieg auslösen.

Das von europäischen Truppen abgesicherte Wahldebakel im Kongo wird die Macht der Warlords sichern – oder einen neuen Bürgerkrieg auslösen.

Es mangelt an vielem im Kongo. Ein normalerweise knapp gehaltenes Gut aber ist im Überfluss vorhanden: Wahlzettel. Nach heftiger öffentlicher Kritik hatte Apollinaire Malu Malu, der Vorsitzende der Wahlkommission, einräumen müssen, dass fünf Millionen Wahlscheine mehr verschickt wurden, als es registrierte Wähler gibt. Es sei „logistisch einfacher“ gewesen, allen Wahllokalen die gleiche Zahl von Stimmzetteln zuzustellen.
Der Wahlkommission wurde von Oppositionellen von Anfang an vorgeworfen, den Präsidentschaftskandidaten Joseph Kabila zu begünstigen. Nicht zu unrecht befürchten sie, dass die überzähligen Stimmzettel für Manipulationen benutzt werden. Dass Malu Malu unterschiedliche Angaben über die Zahl der registrierten WählerInnen und der Wahllokale macht, minderte das Misstrauen nicht. Und Angaben aus Oppositionskreisen zufolge wurde von den überzähligen Wahlscheinen Gebrauch gemacht. So seien in der Provinz Oriental fast 30.000 Stimmen mehr abgegeben worden als es registrierte Wähler gab, das entspricht einer Wahlbeteiligung von 118 Prozent.
Willfährige Puppen
Tatsächlich war die Beteiligung an den Wahlen am 30. Juli hoch, denn die meisten KongolesInnen erhofften sich politische Stabilisierung und ein endgültiges Ende des Krieges. Doch 20 der 33 Präsidentschaftskandidaten hatten eine Verschiebung des Termins gefordert, weil eine freie Wahl noch nicht gewährleistet sei. Denn verantwortlich für deren Organisierung waren die in der Übergangsregierung vertretenen Warlords, die zwar untereinander konkurrieren, aber ein gemeinsames Interesse daran haben, zivile Parteien von der Macht fern zu halten. Unterstützt wurden sie von der „internationalen Gemeinschaft“, die jegliche Kritik an der Wahlorganisation ebenso ignorierte wie den Boykott der Union für Demokratie und Sozialen Fortschritt (UDPS), der wohl bedeutendsten zivilen Oppositionspartei.

„Die Wahlen wurden erzwungen, um jene zu legitimieren, die zu den Waffen gegriffen haben“, urteilt Jean-Baptiste Bomanza Mputu, Pressesprecher der UDPS. „Unsere Schlussfolgerung ist, dass die internationale Gemeinschaft uns zum Narren hält“, die KongolesInnen würden daher Aldo Ajello und Louis Michel, die EU-Sondergesandten für den Kongo, als „Feinde des Volkes“ betrachten. Ihr Ziel sei es, „willfährige Puppen“ an die Macht zu bringen, die transnationalen Konzernen die Rohstoffe des Landes billig überlassen würden.

Eine Reihe von Rohstoffkonzessionen hat die Übergangsregierung bereits zu Spottpreisen verschleudert. Die Konzerne zahlen geringe Abgaben an den Staat, die beteiligten PolitikerInnen dürften es jedoch nicht versäumt haben, ihre Privatkonten zu füllen. Der Kongo gehört zu den rohstoffreichsten Ländern der Erde. Vor allem das Wirtschaftswachstum in China und Indien hat dazu geführt, dass auch die Preise für Rohstoffe wie Kupfer, die lange Zeit extrem niedrig waren, wieder gestiegen sind. Und der Kongo hat fast ein Monopol auf den Abbau von Coltan, eines Mischerzes, das unter anderem für die Produktion von Handys und Computerchips benötigt wird. Coltan wird vor allem im Osten des Landes gewonnen, meist ohne technische Hilfsmittel und nicht selten von Zwangsarbeitern im Dienste lokaler Warlords. Beteiligt am Handel mit kongolesischem Coltan war zumindest zeitweise auch die deutsche Firma H.C. Starck, ein Tochterunternehmen der Bayer AG.
Der Erste Weltkrieg Afrikas
Die Ausbeutung der Bodenschätze wird jedoch durch die politische Instabilität behindert. Bereits unter Diktator Mobutu verfiel der Bergbausektor, denn die immense Korruption, die das im Kapitalismus übliche Maß weit überstieg, behinderte die Produktivität und die Erschließung neuer Minen. Zudem blieb das Geschäft fast ausschließlich Unternehmen aus der ehemaligen Kolonialmacht Belgien und der neokolonialen Hegemonialmacht Frankreich überlassen, sehr zum Ärger anderer westlicher, aber auch aufstrebender afrikanischer Firmen.
Fast jeder außerhalb Frankreichs und Belgiens begleitete daher Ende 1996 den Vormarsch der Truppen Laurent Kabilas mit Sympathie. Die von ihm geführte Guerillabewegung entstand als Reaktion auf den Terror, den rechtsextreme Milizen im Nordostkongo verbreiteten. Sie waren für den Völkermord im Jahr 1994 in Ruanda verantwortlich und versuchten nach ihrer Niederlage, im Kongo ein neues Herrschaftsgebiet zu erobern. Kabila verbündete sich mit dem US-Konzern American Mineral Fields, der seinen Feldzug mitfinanzierte. Er wurde zur Schicht jener afrikanischen Politiker gerechnet, denen man zutrauen konnte, die Voraussetzungen für einen kapitalistischen Modernisierungsprozess zu schaffen.

Doch wenige Monate nach seinem Sieg über Mobutu im Sommer 1997 überwarf sich Kabila mit seinen kongolesischen Verbündeten und Ruanda, das ihn militärisch unterstützt hatte. Die Kämpfe begannen erneut, und zeitweise entsandten sieben afrikanische Staaten Interventionstruppen in den Kongo, ohne dass eine Seite eine militärische Entscheidung erzwingen konnte. Etwa vier Millionen Menschen, größtenteils Zivilisten, starben in diesem „Ersten Weltkrieg Afrikas“ – mehr als in jedem anderen Krieg seit 1945. Der Zerfall der Gesellschaft, der bereits unter Mobutu begonnen hatte, setzte sich fort, das Land zerfiel in von rivalisierenden Warlords kontrollierte Gebiete.

Die „internationale Gemeinschaft“ zeigte in den ersten Jahren wenig Interesse am Kongo-Konflikt. Auf Anforderung afrikanischer Staaten wurden 1999 Militärbeobachter der UNO entsandt, die den zuvor geschlossenen Waffenstillstand überwachen sollten. Aus dem kleinen Kontingent wurde die bislang größte UN-Kampftruppe, die MONUC zählt derzeit mehr als 17.000 Soldaten und verfügt über moderne Waffensysteme wie Kampfhubschrauber. Ausgestattet mit einem „robusten Mandat“, bekämpfen die Blauhelmsoldaten einige der Milizen, die sich der Entwaffnung verweigern.
Garde für Kabila
Das Interesse an den Bodenschätzen mag die Aufstellung der teuren Truppe erleichtert haben. Die UNO agiert jedoch nicht als Vertretung einzelner Kapitalinteressen, sondern als ideeller Gesamtkapitalist auf globaler Ebene. Sie soll akzeptable Geschäftsbedingungen und Chancengleichheit für alle Unternehmen herstellen. Mit dem Kongo-Konflikt endete die neokoloniale Epoche, in der ein „unterentwickeltes“ Land von einem Industriestaat, meist der ehemaligen Kolonialmacht, beherrscht wurde. Im globalisierten Kapitalismus fordern die Unternehmen gleiche Wettbewerbsbedingungen, die UNO soll diese und die für jegliche Geschäftstätigkeit nötige Stabilität herstellen.
Gemeinsam ist den Interventionsstaaten das Interesse, einen Präsidenten an die Macht zu bringen, der von ihnen abhängig und ihnen verpflichtet ist. Denn sollte ein konsequenter
Sozialdemokrat oder ein Linksnationalist wie der venezolanische Präsident Hugo Chávez an die Macht kommen, könnte er vor allem im Coltanhandel von den Konzernen ein Vielfaches dessen kassieren, was sie derzeit zahlen. Zudem versuchen weiterhin auch einzelne Staaten, aus ihrem militärischen Engagement ökonomischen Profit zu schlagen.

Dies führte zu Unstimmigkeiten bei der EU-Truppe EUFOR, die zur Verstärkung der MONUC für zunächst vier Monate aufgestellt wurde, um Unruhen nach den Wahlen zu verhindern. Deutsche Firmen haben einige Differenzen mit Kabila, der ihnen von anderen Warlords erworbene Bergbaulizenzen streitig macht. Anders Frankreich. „Jeder weiß, dass die Franzosen im Vorfeld Kabila unterstützt haben“, kritisierte Bernhard Gertz, der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, der es für gefährlich hält, „dass EUFOR für die Präsidentengarde von Herrn Kabila gehalten werden könnte“.

Deutschland hat die Führung der EUFOR übernommen, und der kommandierende General Karlheinz Viereck drohte vorsorglich, die Truppe könne „Gewalt, wenn nötig sogar tödliche Gewalt einsetzen“. Auch die Bundesregierung dürfte sich von ihrer Führungsrolle Vorteile im Kongo-Geschäft versprechen, vermutlich allerdings weniger im Bergbau als beim Aufbau der Infrastruktur, des Straßen- und Telefonnetzes ebenso wie eines Staudammes im Südwesten des Landes, an dem Siemens Interesse bekundet hat. Deutschland ist vor allem an Stabilität interessiert und weniger auf einen bestimmten Kandidaten festgelegt als Frankreich.
Konkurrenz von Mr. Cash
Zwei Anwärter könnten Kabila ernsthafte Konkurrenz machen: Jean-Pierre Bemba, der unter Mobutu Multimillionär wurde, und Pierre Pay Pay, der sich als Minister des Diktators den bezeichnenden Beinamen Mr. Cash verdiente. Zweifellos könnten die westlichen Regierungen auch mit ihnen ins Geschäft kommen. Im politischen System des Kongo gibt es keine bedeutenden linken Parteien, auch die UDPS, die mit rassistischen und homophoben Parolen Wahlkampf macht, ist kein Hoffnungsträger der gesellschaftlichen Emanzipation.

Die Warlordisierung behindert die Bildung unabhängiger Basisorganisationen. Der Kampf um das tägliche Überleben lässt wenig Raum für Politik. Lohnabhängige sind eine winzige Minderheit und die Bauern sind vor allem an Sicherheit vor marodierenden Milizen interessiert. Der Gegensatz zwischen Armen und Reichen kann auch von populistischen PolitkerInnen thematisiert werden. Es fällt den Menschen jedoch schwer, sich als Angehörige einer sozialen Klasse zu identifizieren und sich auf dieser Grundlage zu organisieren.

Die westlichen Interventionsstaaten wollen dem gesellschaftlichen Zerfall mit einem Konzept der oberflächlichen Stabilisierung beikommen. Die vermeintliche Demokratisierung lässt den KongolesInnen allein in der Wahl zwischen verschiedenen Warlords – und weder UNO noch EU haben ein Interesse daran gezeigt, den offensichtlichen Wahlbetrug zu verhindern. Schon vor der Bekanntgabe der Wahlergebnisse, die für Ende August angekündigt war, ist deshalb klar, dass der Präsident großen Teilen der Bevölkerung als illegitim gelten wird. Die ersten Zwischenergebnisse deuten auf eine regionale Spaltung bei der Stimmenaufteilung hin, entsprechend den Herrschaftsgebieten der Warlords. Bestenfalls werden die unterlegenen Warlords die Zentralregierung ignorieren. Das Wahldebakel könnte jedoch auch zu einem erneuten Ausbruch des Bürgerkrieges führen.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite