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Innenpolitik

Kindheit in Deutschland: Arm, mißhandelt, mangelernährt

Von Trixi Blixer | 01.11.2006

Nicht erst seit dem Fund des toten Kevin in einem Bremer Kühlschrank ist klar, dass viele Kinder in Deutschland in ärmsten Verhältnissen aufwachsen. Mensch darf nie vergessen: Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde. Hier erwirtschaften nicht nur Großkonzerne unglaubliche Profite, sondern hier leben auch Menschen wie die Aldi-Brüder, die jeweils über 16 Milliarden Euro besitzen. Leider sagt der Reichtum einer Gesellschaft nichts über seine Verteilung aus. Und die wird zunehmend ungerechter.

Nicht erst seit dem Fund des toten Kevin in einem Bremer Kühlschrank ist klar, dass viele Kinder in Deutschland in ärmsten Verhältnissen aufwachsen.

Mensch darf nie vergessen: Deutschland ist eines der reichsten Länder der Erde. Hier erwirtschaften nicht nur Großkonzerne unglaubliche Profite, sondern hier leben auch Menschen wie die Aldi-Brüder, die jeweils über 16 Milliarden Euro besitzen. Leider sagt der Reichtum einer Gesellschaft nichts über seine Verteilung aus. Und die wird zunehmend ungerechter. Eine Studie des Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverbandes (DPWV) vom August 2005 stellt fest, dass in Deutschland inzwischen insgesamt 14,2% der Kinder in Armut leben. Das ist jedes 7. Kind bzw. über 1,7 Millionen der Heranwachsenden. Seit der Wende und nochmals nach der Einführung von Hartz IV schnellte die Armutsrate nach oben – mensch kann also mit gutem Recht sagen, dass Kinder zu den HauptverliererInnen der Arbeitsmarktreform gehören.

Da die Studie des DPWV nur unter 15jährige erfasst, und die in der Regel noch nicht arbeiten dürfen, zeigen die Ergebnisse vor allem eines deutlich: Durch den Anstieg der Armut bei den Eltern müssen mehr Kinder in finanziell armen Haushalten aufwachsen. Armut der Eltern entsteht sowohl durch die hohe Erwerbslosigkeit als auch durch die sinkenden Löhne und den Ausbau des Niedrig­lohnsektors. Vor allem Kinder von Zuwandererfamilien und von alleinerziehenden Elternteilen leben deutlich häufiger in Armutshaushalten. Übrigens sind Kinder in Deutschland weit häufiger von Armut betroffen als Erwachsene.
Leben in Armut
Ein Leben in Armut bedeutet für Kinder und Jugendliche nicht nur, dass sie weniger materielle Zuwendungen erhalten als ihre AltersgenossInnen. Armut ergibt eine Multiproblemlage, einen Kreislauf, aus dem mensch sich kaum befreien kann und der sich über die Generationen hinzieht. Dazu gehört die sehr schwierige finanzielle Lage genauso wie eine daraus folgende schlechte Wohnsituation und eingeschränkte Bildungschancen. Armut macht bei den Eltern Sorgen und Angst – und Hartz IV trägt dazu bei, dass die Resignation um sich greift. Wie sollen Eltern ihren Kindern Perspektiven aufzeigen, wenn sie selber keine mehr haben? Ein Leben in Armut wirkt sich also auf das gesamte sozio-kulturelle Umfeld aus. Je länger eine solche Situation anhält und je weniger Chance die Betroffenen haben, ihr individuell zu entkommen, desto eingeschränkter sind die kulturellen Ressourcen, auf die die Menschen zurückgreifen können.
Opfer der Verhältnisse
Hunderttausende mißhandelte, mangelernährte und arme Kinder sind Opfer der neoliberalen, kapitalistischen Profitgier. Je schlechter die Situation ihrer Eltern ist, desto weniger Möglichkeiten gibt es für sie, sorgenfrei aufzuwachsen. Natürlich werden auch Kinder aus wohlhabenden Familien geschlagen und gibt es auch bei Reichen sadistische Erwachsene. Aber Kinder aus Armutsverhältnissen haben deutlich eingeschränkte Perspektiven, jemals ein gesichertes Leben führen zu können. Die Belastungen und Ängste, die ihre Eltern tagtäglich bspw. durch ein prekarisiertes Erwerbsleben ertragen müssen, finden leider nur zu oft ein Ventil am schwächsten Glied. Kinder sind meistens schwächer und leichter angreifbarer als das kapitalistische System oder der bürgerliche Staat. Eltern die von den gesellschaftlichen Verhältnissen erdrückt werden, lassen ihre Ohnmacht nur allzu oft an ihren eigenen Kindern aus. Resignation führt dazu, dass Menschen sich selber aufgeben. Und jemand der/die sich selber aufgegeben hat, kann sich kaum mehr um sein Umfeld kümmern.
Wo bleibt der Staat?
In den letzten 15 Jahren haben die Regierungen von schwarz bis grün alles daran gesetzt, den Arbeitsmarkt zu flexibilisieren und gesicherte Erwerbstätigkeiten aufzulösen. Gepaart mit einem radikalen Sparprogramm haben sie den großen Anstieg der Armut und damit der Kinderarmut zu verantworten. Kinder sind doppelt Opfer der Verhältnisse geworden: Die Elternhäuser haben sich finanziell und sozial destabilisiert und gleichzeitig sind die Kinderschutzinstitutionen einem rigiden Sparzwang unterworfen worden. So ist für die Rettung von Verwahrlosung oder körperlicher Bedrohung oft kein Geld mehr flüssig und Einrichtungen, die Kindern bei der schlimmsten Not erst einmal helfen könnten, werden geschlossen. Eine dramatische und vor allem zutiefst menschenfeindliche Situation.

 

DPWV-Studie zur Kinderarmut
Es gibt eklatante Unterschiede zwischen Ost und West. In Westdeutschland beträgt die Kinderarmutsquote durchschnittlich 12,4 Prozent, in Ostdeutschland 23,7 Prozent.
 Schleswig Holstein  14,4 % (Kiel: 29,6%)
 Hamburg  20,4 %
 Niedersachsen  13,6 % (Wilhelmshaven: 27,9 %)
 Bremen 28,6 % (Bremerhaven: 38,4 %)
 Nordrhein-Westfalen 14,3 % (Gelsenkirchen: 28,1 %)
 Hessen 11,7 % (Offenbach: 28,7)
 Rheinland-Pfalz 10,0 % (Pirmasens: 25,3 %)
 Baden-Württemberg 7,2 % (Mannheim: 20,2 %)
 Bayern 6,6 % (Hof: 20 %)
 Saarland 13,6 %(SV Saarbrücken: 20,6 %)
 Berlin 29,9 %
 Brandenburg 20,3 % (Uckermark: 31,9 %)
 Mecklenburg-Vorpommern  26,3 % (Schwerin: 34,3 %)
 Sachsen  22,4 % (Görlitz: 35 %)
 Sachsen-Anhalt  26,7 % (Halle: 34,6 %)
 Thüringen  20,1 % (Erfurt: 29,7 %)

Quelle: www.kinderschutzbund.de

 

 

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