Keine Träne für den „Cavaliere“

Silvio Berlusconi (2017) Foto: EPP, cc by 2.0

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Silvio Berlusconi

Keine Träne für den „Cavaliere“

Von Eliana Como | 08.07.2023

Ich war noch keine 20 Jahre alt, als Berlusconi 1994 sein Amt antrat. In meinem politischen Leben, wie auch in dem so vieler Menschen meiner Generation, war Berlusconi immer einer der Hauptfeinde, der in den letzten 30 Jahren das politische Leben vergiftet hat. Ihm ist zuzuschreiben, dass wir heute eine Regierung haben, die nicht mehr der liberalen Rechten angehört, sondern der reaktionären und nationalistischen Rechten, die nicht einmal mehr davor zurückschreckt, ihre gestrige Gesinnung offenzulegen. Deshalb vergieße ich auch heute keine Träne!

Berlusconi war der Mann der ad-personam-Gesetze [die gegen die Gleichheit der Bürger vor dem Gesetz verstoßen und die Vetternwirtschaft begünstigen], des Stimmenkaufs im Senat, der Korruption und der Normalisierung der Steuerhinterziehung, der Verbandelung mit der P2 [der antikommunistischen Freimaurerloge Propaganda Due unter Licio Gelli, einem Bewunderer von Franco und Mussolini] und der Mafia, Steuerbetrugs, Angriffe auf die Justiz und Olgettine [die von Berlusconi „empfangenen“ jungen Mädchen wohnten in der Via Oligettina 65 in Mailand, daher dieser Neologismus]. 2001 war Berlusconi Ministerpräsident, als wir in Genua gegen den G8-Gipfel demonstrierten, in einer militarisierten Stadt, in der die Demokratie drei ganze Tage lang buchstäblich aufgehoben war.

In seine Regierungszeit fallen Gesetze, die den Grundstein für den Abbau der sozialen und wirtschaftlichen Rechte in diesem Land gelegt haben. Das Biagi-Gesetz zur Prekarisierung der Arbeit [mehr Flexibilisierung, Outsourcing, Arbeit auf Abruf ], die Rentenreform unter Maroni, ein erster Angriff auf den Artikel 18 [Arbeiterstatut], die Zurichtung der Universitäten unter Moratti und dann der Schulen unter Gelmini, die Schikanierung der Beschäftigten im öffentlichen Dienst unter Brunetta, die Jagd auf die Migrant*innen unter Bossi-Fini und das Sicherheitsdekret, mit dem der Straftatbestand der illegalen Einwanderung eingeführt wurde. Aber auch das Gesetz 40 gegen die künstliche Befruchtung und etliche andere Gesetze, die ich vergessen habe.

Ich bedauere seinen Tod und möchte nicht zynisch sein. Aber ich will auch nicht heucheln. Er war kein Staatsmann, sondern ließ ein ganzes Parlament darüber befinden, dass Ruby Rubacuori [mit bürgerlichem Namen Karima el-Mahroug, geboren in Marokko] Mubaraks Nichte ist! Er regierte das Land so, wie er seine Unternehmen führte, die politische Opposition abbügelte und von der kommunistischen Gefahr schwadronierte. Die politische Kultur geriet unter ihm als Garant der Privilegien und des Eigennutzes, dem alles, auch die Institutionen, untergeordnet werden kann. Er hat diese Kultur des Besitzes und der Kommerzialisierung formalisiert und die Frauen auf die Rolle von Untergebenen der Mächtigen reduziert, bei denen nur die äußere Erscheinung zählt, egal ob gegenüber der deutschen Bundeskanzlerin [Verweis auf beleidigende Formulierungen gegenüber Angela Merkel], der First Lady der USA [Michelle Obama] oder einer Dentalhygienikerin. In dieser Kultur hat alles einen Preis und kann alles gekauft werden. „Ich bin ich und ihr zählt nicht“.

Berlusconi hat das Land sicherlich verändert, er war schillernd und riss Witze wie kein anderer Politiker. Aber das ist zu wenig, um die dreitägige Parlamentspause und eine unangemessene und spaltende [von Giorgia Meloni beschlossene] Staatstrauer zu rechtfertigen. Gestern Abend im Teatro Regio in Turin wurde die von Kulturminister Gennaro Sangiuliano [von 1983 bis 1987 MSI-Mitglied, danach angeblich unabhängig] vor Beginn der Premiere von Madama Butterfly verhängte Schweigeminute in ihr Gegenteil verkehrt, als der halbe Saal zu buhen begann und die Orchestermitglieder im Graben die Szenerie verließen.

Dafür trage ich keine Trauer. Der Rektor der Ausländeruniversität in Siena, Tomaso Montana, tat gut daran, sich zu weigern, die Flaggen auf Halbmast zu setzen. Wenn die Dekrete widersinnig sind, ist Gehorsam keine Tugend.

Ganz abgesehen davon, dass in den letzten 24 Stunden, seit dem Tod von Silvio Berlusconi, fünf Arbeiter bei Arbeitsunfällen gestorben sind und die Medien wie üblich dazu geschwiegen haben. Der erste, der am selben Tag wie der ehemalige Premierminister starb, war 65 Jahre alt und stürzte auf einer Baustelle von einem Gerüst. Für sie gibt es keine Staatstrauer, kein feierliches Begräbnis und keine staatlichen Beileidsbekundungen. Sic transit gloria mundi!

Eliana Como ist Mitglied der italienischen Sektion der IV. Internationale, Sinistra anticapitalista, und der Leitung der CGIL und deren klassenkämpferischen Tendenz Le Radici del Sindacato.
aus
A l’Encontre
Übersetzung von MiWe

Übernommen aus die internationale
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