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Italien: Die Studierenden führen die Oppositionsbewegung an

Von Cinzia Arruzza | 01.12.2008

Eine breite Protestbewegung der Studierenden und der Lehrkräfte an den Schulen hat Italien erfasst. Auslöser sind die „Reformmaßnahmen“ der Regierung Berlusconi. Berlusconi hat die Sommerferien an Schulen und Universitäten ausgenutzt, um das Gesetz 133/08 im Eilverfahren parlamentarisch absegnen zu lassen. Die vorgesehene Mittelkürzung an den Hochschulen um 47 % rechtfertigt er mit Personalüberhang, Ressourcenvergeudung und den Zwängen der Wirtschaftskrise.

Eine breite Protestbewegung der Studierenden und der Lehrkräfte an den Schulen hat Italien erfasst. Auslöser sind die „Reformmaßnahmen“ der Regierung Berlusconi.

Berlusconi hat die Sommerferien an Schulen und Universitäten ausgenutzt, um das Gesetz 133/08 im Eilverfahren parlamentarisch absegnen zu lassen. Die vorgesehene Mittelkürzung an den Hochschulen um 47 % rechtfertigt er mit Personalüberhang, Ressourcenvergeudung und den Zwängen der Wirtschaftskrise. Im Klartext bedeutet dies mindestens 467 Mio. Euro weniger für die Universitäten, eine Kürzung der Finanzmittel in den nächsten fünf Jahren um 10% und einen Einstellungsstopp für Lehrer, wobei lediglich 20% der Stellen wieder besetzt werden sollen. In den Grund- und den weiterführenden Schulen entspräche dies einer Streichung von 87 000 Lehrerstellen und 44 000 Stellen für technisches Personal. Um die Privatisierung der Universitäten zu forcieren ist eine Umwandlung der Rechtsform in Stiftungen des privaten Rechts vorgesehen. Hinzu kommen Einschnitte für die Grundschulen, die am 29. Oktober trotz der damals schon vorherrschenden landesweiten Proteste im Parlament verabschiedet worden sind.

Seither wächst die Protestwelle kontinuierlich – mit Demonstrationen, Sit-ins und Verlagerung des Unterrichts auf die Straße. Denn hinter dieser „Reform“ stecken erhebliche Verschlechterungen für die Grundschulen: Kürzung der Unterrichtsstunden, Schließung ganzer Schulen und Wiedereinführung des Einheitslehrerwesens1, und das Gerede von der Wiederherstellung von „Zucht und Ordnung“ mit Betragensnoten und Schuluniform ist bloß Augenwischerei. Im Gleichklang mit den rassistischen Tendenzen der Regierungspolitik im Ganzen ist auch die Schaffung so genannter Eingliederungsklassen vorgesehen, in denen Einwandererkinder auch in der zweiten Generation separat zusammengefasst werden sollen. Offiziell geht es dabei um die Sprachförderung dieser Kinder, de facto jedoch schafft man eine Form der Rassentrennung an den öffentlichen Schulen.

Dieser unerwartete Ausbruch der Proteste zeitigt bereits erste Folgen in der offiziellen Politik. Nachdem über ein halbes Jahr lang die Rechte mit ihrer fremdenfeindlichen und rassistischen Propaganda in der Offensive war und eine wahre Hexenjagd auf den Öffentlichen Dienst, in dem sich angeblich nur Faulenzer rumdrückten, und Angriffe auf die Gewerkschaften im Zusammenhang mit der Krise von Alitalia entfacht hatte, ohne auf eine halbwegs ernsthafte Gegenwehr zu stoßen, hat diese Protestbewegung einen Paradigmenwechsel eingeläutet, in dem sich die Losung: „Wir bezahlen nicht für Eure Krise!“ breit macht.
Generalstreik
Die Wirtschafts- und Bildungs“reformen“ der letzten Jahre haben in Italien eine Generation ohne Zukunft geschaffen. Und genau aus dieser völligen Perspektivlosigkeit schöpfen die Jugendlichen jetzt all ihren Mut. Die Studentenbewegung sucht den Zusammenschluss mit den Betrieben und darüber hinaus eine Mobilisierung der gesamten Bevölkerung. Eine in der besetzten Universität von Rom (La Sapienza) am 31. Oktober verabschiedete Resolution ruft alle Gewerkschaften ausdrücklich zum Generalstreik gegen die Regierung auf.

Welche Perspektive und Entfaltungskraft hat diese Bewegung und kann sie Einfluss auf die „offizielle“ Politik gewinnen? Hierbei gilt zunächst, dass die Bewegung erstmalig in der jüngeren Geschichte Italiens über keinen Ansprechpartner in der „offiziellen“ Politik verfügt. Nach dem Wahldebakel der „Regenbogenfraktion“ und damit von Rifondazione Comunista und ihrer fehlenden Verankerung in der Bewegung existiert ein politisches Vakuum, das gegenwärtig die bürgerliche Mitte um die Demokratische Partei zu füllen versucht. So hat sie beispielsweise ein Referendum gegen die Bildungsreform vorgeschlagen, um auf diese Weise den Protest zu kanalisieren, ihm auf diese Art die Spitze zu nehmen und die potentiellen gesellschaftlichen Konflikte zu entschärfen.

Unterdessen hat die Bewegung nach den landesweiten Mobilisierungen und Uni-Streiks am 7. bzw. 14. November ihr weiteres Vorgehen festgelegt. Am 15. und 16. November soll auf Betreiben der römischen Hochschule die erste Vollversammlung der Bewegung stattfinden. Nachdem die Studenten die Initiative ergriffen haben, liegt es nun an den Gewerkschaften, Stellung in dem Konflikt zu beziehen. Angesichts der studentischen Mobilisierungen und der bereits stattfindenden betrieblichen und sektoriellen Auseinandersetzungen – namentlich im Metallbereich, wo die FIOM zu einem Streik am 5. Dezember aufgerufen hat – sind die Voraussetzungen gegeben. Die Gewerkschaften haben es nun in der Hand, durch einen Generalstreik ihr Gewicht in die Waagschale zu werfen.

Übersetzung: MiWe
aus: rouge vom 13.11.08

1 Bisher können die italienischen Schüler bis zu drei LehrerInnen wählen, die sich den Unterricht entsprechend ihrer unterschiedlichen fachlichen Qualifikation teilen.
 

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