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Iran: Streik im Gottesstaat

Von Harry Tuttle | 01.03.2006

Ungeachtet des Staatsterrors setzen die Teheraner BusfahrerInnen den Kampf für die Anerkennung ihrer Gewerkschaft fort. Vor dem geplanten Streik der Busfahrergewerkschaft der Vahed-Gesellschaft hatten Polizisten und staatliche Schlägertrupps die Wohnungen vieler Gewerkschafter überfallen und AktivistInnen verhaftet, aber auch zahlreiche Familienangehörige als Geiseln genommen.

Ungeachtet des Staatsterrors setzen die Teheraner BusfahrerInnen den Kampf für die Anerkennung ihrer Gewerkschaft fort.

„Sie haben meine Mutter mit ihren Stiefeln getreten”, berichtete die 12jährige Mahdiye Salimi. „Sie wollten sogar irgendetwas in den Mund meiner Schwester sprühen.” Mahdiye, die Tochter eines Teheraner Gewerkschaftsaktivisten, hatte Glück. Der Transport in das berüchtigte Evin-Gefängnis, die zentrale Sammelstelle für politische Gefangene im Iran, blieb ihr erspart. Unter den mehr als 1 200 in der Nacht zum 28. Januar Verhafteteten waren jedoch auch Kinder.
Vor dem geplanten Streik der Busfahrergewerkschaft der Vahed-Gesellschaft hatten Polizisten und staatliche Schlägertrupps die Wohnungen vieler Gewerkschafter überfallen und AktivistInnen verhaftet, aber auch zahlreiche Familienangehörige als Geiseln genommen. Für den Fall, dass die Drohung nicht ausreichen sollte, wurden Polizisten und Geheimdienstler zu den Busdepots geschickt. Sie setzten Knüppel und Tränengas ein, und hinter jedem in seinen Bus getriebenen Fahrer wurde ein Sicherheitsbeamter platziert.
Weltweite Solidarität
Die meisten Gefangenen wurden in den folgenden beiden Wochen wieder freigelassen. Die Vahed-Gesellschaft verweigert ihnen jedoch den Zutritt zu ihrem Arbeitsplatz, und das Arbeitsamt erklärt, für sie nicht zuständig zu sein. Geld aus dem Ausland anzunehmen, ist ihnen und ihren Familien ebenfalls verboten. Während die Basis der Gewerkschaft ausgehungert werden soll, bleiben die StreikführerInnen inhaftiert. Es wird erwartet, dass sie zu hohen Gefängnisstrafen verurteilt werden. Sogar die Verhängung der Todesstrafe ist möglich, denn zu den Anklagepunkten gehören auch „Spionage” und „Landesverrat”, Vorwürfe, hinter denen sich der Kontakt zu ausländischen Gewerkschaftern verbirgt.
Das zeigt auch, wie besorgt das islamistische Regime wegen der internationalen Solidaritätsbewegung ist. Manche Verbände wie derDGB waren zwar erst unter dem Druck von GewerkschaftsaktivistInnen zu einer Solidarisierung bereit, doch die Bewegung ist breiter geworden. Am 15. Februar fand ein weltweiter Aktionstag statt, Solidaritätskundgebungen gab es in vielen westlichen Ländern, aber auch in Thailand und Südkorea, Ägypten und Tunesien (www.labourstart.org gibt einen Überblick über die Aktivitäten). Die Forderung der Vahed-Beschäftigten nach Anerkennung ihrer Gewerkschaft zu erfüllen, wäre jedoch ein für das iranische Regime gefährlicher Präzedenzfall, denn zweifellos würde dies ArbeiterInnen anderer Betriebe ermutigen, sich ebenfalls zu organisieren.
Moschee und Bazar
Ayatollah Khomeini verdankte seine Popularität nicht zuletzt seinem rhetorischen Einsatz für die „Entrechteten”. Die IslamistInnen, die nach der Revolution von 1979 in einem blutigen Machtkampf ihre Alleinherrschaft durchsetzten, haben die kapitalistische Produktionsweise jedoch nie in Frage gestellt. Zur Zeit des Schah-Regime kontrollierten 45 Familien 85% aller Großbetriebe, und nach der Flucht dieser Hofbourgeoisie war eine weitgehende staatliche Kontrolle der Wirtschaft unvermeidlich. Sie dauerte während des iranisch-irakischen Krieges (1980 – 1988) an. Doch von Anfang an gehörte die Handelsbourgeosie der Bazaris zum Regime. Das „Bündnis von Moschee und Bazar”, verkörpert in der Person des ehemaligen Präsidenten Haschemi Rafsanjani, der noch immer einer der einflussreichsten iranischen Politiker ist, setzte Schritt für Schritt Deregulierung und Privatisierung durch.
„Die Parole ‚Bereichert euch’ wird vom Koran nicht verboten”, erklärte Jelal al-Din Farsi, der damalige Chefideologe des Regimes, bereits Ende der 80er Jahre. Bereichern sollten sich jedoch nicht die ArbeiterInnen, deren Organisierung verboten blieb. 1991/92 kam es zu einer ersten großen Streikwelle, 1996/97 wurde in 30 Großbetrieben gestreikt, unter anderem in der größten Ölraffinerie des Landes. Das Regime machte einige ökonomische Zugeständnisse, die geforderte Zulassung unabhängiger Gewerkschaften wurde jedoch verweigert.
Präsident Mahmoud Ahmedinejad gewann die Wahlen im vergangenen Jahr vor allem mit sozialpopulistischen Versprechen gegen seinen Konkurrenten Rafsanjani (nur islamistische Politiker durften kandidieren). Doch im ersten halben Jahr seiner Herrschaft unternahm er nichts, um die Armut zu mindern. Stattdessen bemühte er sich um eine weitere Militarisierung der iranischen Politik. Ahmedinejad, ein ehemaliges Mitglied der paramilitärischen „Revolutionsgarden”, ist ein Mann des militärisch-industriellen Komplexes, der seine Macht auf Kosten der Geistlichkeit gestärkt hat.
Eine gesellschaftliche Polarisierung
Ein Teil des Kleinbürgertums und auch der städtischen Unterschichten, der Arbeitlosen und im informellen Sektor Tätigen, unterstützen seine Politik. Sie und den gewaltigen Repressionsapparat will der Präsident mit antisemitischer Hetze und der Demonstration nationaler Stärke an sich binden. Die islamistische Bourgeoisie dagegen hält seinen Kurs für riskant, die Mittelschichten lehnen die Verschärfung des Tugendterrors ab, und die Arbeiter­Innen hat das Regime ohnehin nie für sich gewinnen können. Die Polarisierung innerhalb der iranischen Gesellschaft wird schärfer.
Der Streik in Teheran ist der erste größere Konflikt unter der Herrschaft Ahmedinejads. Ein Erfolg der GewerschafterInnen würde die Machtverhältnisse grundlegend ändern, entsprechend hart reagiert das Regime. Doch lange haben iranische Arbeiter­Innen nicht mehr mit solcher Konsequenz und Hartnäckigkeit einen Kon­flikt durchgestanden, ein Zeichen dafür, dass die Kampfbereitschaft wächst.

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