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Internationale Finanzkrise: Vorbote eines Konjunktureinbruchs?

Von D. Berger | 01.09.2007

Die fallenden Aktienkurse Mitte August (stellenweise über 10%) sind Ausdruck der Angst, dass die Krise an den Finanzmärkten auch die Realwirtschaft erreichen kann. Die Zinssenkung der amerikanischen Notenbank (Fed) hat die Lage vorübergehend beruhigt, die Ursachen der Krise sind aber nicht beseitigt.

Die fallenden Aktienkurse Mitte August (stellenweise über 10%) sind Ausdruck der Angst, dass die Krise an den Finanzmärkten auch die Realwirtschaft erreichen kann. Die Zinssenkung der amerikanischen Notenbank (Fed) hat die Lage vorübergehend beruhigt, die Ursachen der Krise sind aber nicht beseitigt.

In gewisser Weise hat jede Krise ihre Besonderheiten. Dieses Mal stehen die Meldungen über Rekordgewinne bei einer ganzen Reihe von Infrastruktur- und Technologiekonzernen neben den Meldungen von Zahlungsschwierigkeiten bestimmter Hedgefonds und vor allem den Verlusten von Hypothekenbanken (und derjenigen Hedgefonds, die schwerpunktmäßig dort investiert haben). Vom Bundesfinanzminister bis zur EZB [Europäischen Zentralbank], von den klugen Kommentaren bürgerlicher Medien bis zu manchen GewerkschaftsvertreterInnen wird beschworen: Dies ist nur eine notwendige Bereinigung im Bereich der amerikanischen Hypothekenbanken und kann die „robuste Konjunktur” nicht beeinträchtigen. Die Wirklichkeit ist etwas komplexer.

Erstens hat es in den vergangenen Jahrzehnten im Bereich des Finanzkapitals eine tief greifende Veränderung gegeben. Ging es früher hauptsächlich um Investitionsfinanzierung, so geht es heute den anlagehungrigen (Finanz)Kapitalien um lukrative Finanzinvestments. Sie werden großenteils in Private Equity-Fonds gesteckt, also Firmen, die bestimmte Unternehmen ganz oder in großen Teilen übernehmen, für eine kurze Zeit aktiv managen und dann Gewinn bringend verkaufen. Hier vor allem toben sich Müntes „Heuschrecken” aus, aber die Politik greift nicht ein, weil die dabei realisierten Umstrukturierungen Schrittmacher im allgemeinen Abbau von Stellen oder betrieblicher Sozialleistungen sind.

Private Equity-Firmen waren schon 2005 an über 5700 Unternehmen in Deutschland beteiligt (mit insgesamt knapp 800 000 Beschäftigten), kumuliert waren hier 22 Mrd.€ Fondvermögen angelegt. Der Wert dieser Private Equity-Firmen: 31,6 Mrd. €. Da diese Firmen oft mit geliehenem Geld operieren, sind die Auswirkungen einer sich verbreiternden Liquiditätskrise nicht unerheblich. Wenn sich die Finanzkrise fortsetzt und verstärkt, wird sie allein deswegen schon beträchtliche Folgen für die Konjunktur haben.
Verschuldung in den USA
Zweitens steht hinter der Krise einiger Hypothekenbanken in den USA (und der IKB in Deutschland) mehr als nur eine Fehlspekulation auf dem Hypothekenmarkt. Es ist die allgemein wachsende Verschuldung in den USA, die eine vergleichbare Krisenbewältigung wie 1987 schwerer macht. Im Grunde hat sogar die damalige Politik der Fed das in den letzten Jahren entwickelte zusätzliche strukturelle Krisenelement überhaupt erst herbeigeführt. Bei der damaligen Börsenkrise hatte nämlich der damalige Präsident der Fed, Alan Greenspan, eine kräftige Liquiditätsspritze veranlasst, also enorme Summen (zu geringeren Zinsen) den Banken zur Verfügung gestellt und in der Folge die allgemeinen Zinsen gesenkt, bis zu einem Leitzins von 1%.

Auch der Schock vom 11. September 2001 wurde auf ähnliche Weise „behoben”, so dass die stellenweise sehr günstigen Zinsen überhaupt erst neue Schichten zum Hauskauf animierten. (So wurden allein 2005/06 ca. 14 Mio. solcher Kredite genommen, schätzungsweise die Hälfte davon ist heute insolvent.) In der Folge stiegen die Zinsen wieder (die meisten Hypothekenzinsen in den USA sind variable Zinsen und sie mussten steigen, um angesichts des riesigen Außenhandelsdefizits der USA genügend Kapital in die USA zu locken) und die Verschuldung von HausbesitzerInnen nahm dramatische Ausmaße an. Viele konnten ihre Raten nicht mehr bezahlen und diejenigen, die dafür neue Kredite aufnahmen haben sich in einen endlosen Strudel begeben (nicht wenige Immobilien sind bis zu 130% beliehen), Zwangsverkäufe setzten ein, Banken mussten viele Kredite abschreiben usw. Manche Banken ringen um ihre Existenz: Accredited Home Lenders, New Century Financial usw.
American Home Mortgage hat schon 6000 seiner 6800 Beschäftigten heim geschickt. Die Hedgefonds Bear Stearns und Sowood Capital sowie die Bank BNP sind schon am Trudeln, weil natürlich bei dem Mangel an flüssigen Geldern, vor allem dort Geld abgezogen wird.

Seit Ende letzten Jahres war bekannt, dass sich die Kreditklemme zuspitzte, aber es liegt nicht in der Natur des Kapitalismus, dass dann an den Ursachen was geändert wird. Auch in China bahnt sich übrigens ein Platzen der Immobilienblase an, wahrscheinlich gewaltiger als in den USA.
US-Konjunktur auf Pump
Drittens ist die Verschuldung in den USA keine Folge falschen Kaufverhaltens der letzten KonsumentInnen, sondern nur eine Auswirkung der Tatsache, dass die USA seit inzwischen mehreren Jahrzehnten auf Kosten und mit Hilfe des Auslandes ihre Konjunktur am Laufen halten. Die Konjunktur auf Pump konnte aber nicht ewig anhalten ohne zu neuen Krisen zu führen. Deswegen ist diese Krise auch nicht so einfach zu bewältigen. Dazu einige Zahlen, die dies verdeutlichen: Das amerikanische Außenhandelsdefizit beträgt heute über 767 Mrd.$. Schon 2005 erreichte das Leistungsbilanzdefizit 6,5% des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts. Sie sind deswegen zum größten Kapitalimportland der Welt geworden.

Parallel dazu ist die amerikanische Sparquote regelrecht abgestürzt, d.h. die Einkommen der privaten Haushalte sind nicht in dem Maße gewachsen, wie ihre Ausgaben zunahmen (um den Lebensstandard zu halten und die vorhandenen Kredite bei steigenden Zinsen abzubezahlen). Zum Vergleich die Sparquoten einiger Länder: Frankreich: 11,9%, Italien 11,9%, Deutschland 10,5% (in Deutschland schwankt der Wert seit Jahrzehnten zwischen 10 und 12%), Österreich 9,1%, Schweden 8,3% usw. In den USA beträgt die Sparquote -1,1% (bis 2002 betrug sie noch um die 1,5%), das heißt den Einnahmen von 9,031 Billionen $ stehen heute Ausgaben von 9,073 Billionen $ gegenüber.

Die öffentliche und private Verschuldung der USA betrug 2005 schon 29 Billionen $, heute sind es 43 Billionen (das Fünfzehnfache des BIP der BRD! Pro Haushalt sind das 379 000 $!). Die inzwischen negative Sparquote der privaten Haushalte bleibt nicht ohne längerfristige Folgen für die Konjunktur, vor allem aber hat sie unmittelbare Auswirkungen auf die von Armut Betroffenen. 2005 gab es schon 37 Millionen Arme (13% der Bevölkerung; 18% der Kinder unter 18 Jahren sind arm, also noch mal 5% mehr als bei uns). Für Ende 2007 rechnet mensch inzwischen mit 40 Mio. Armen. Heute schon haben 46 Mio. Menschen (= 16%) keine Krankenversicherung, viele Pensionsfonds sind unterdeckt und 81% der bilanzierten Rentenkassen weisen Defizite aus, 12% der Beschäftigten rechnen nicht damit, dass sie überhaupt jemals in Rente gehen können. Die Jahresarbeitszeit ist um 25% länger als in der BRD.

Viertens ist die prekäre Haushaltslage in den USA (bis 2001 war das Haushaltssaldo noch positiv) nicht
geeignet, gegebenenfalls mit großen Mitteln die Konjunktur zu stützen, es sei denn mit weiteren Krediten aus dem Ausland und dem gefährlichen Auftürmen des eh schon gigantischen Schuldenbergs. Vorangetrieben wird diese Entwicklung nicht unwesentlich durch den „Krieg gegen den Terror“. Vor allem der Einsatz im Irak, der gerade mal „nur“ 200 Mrd.$ kosten sollte, bringt nicht annähernd die Rendite für die Gesamtwirtschaft, die sich Regierung und Kapital versprachen (von den märchenhaften Profiten der unmittelbar beteiligten Firmen wie Bechtel natürlich abgesehen.) Bis August 2007 betrugen die Ausgaben für den Irakkrieg schon mehr als 453 Mrd. $ und auch in Afghanistan gehen gerade die Kosten steil nach oben.

Es ist im Moment nicht abzusehen, wie stark die weltweite Konjunktur unmittelbar von der aktuellen Finanzkrise betroffen ist, aber der aktuelle Zyklus hat damit sicherlich seinen Höhepunkt überschritten. Es kann schon in wenigen Monaten zu großen Verwerfungen kommen. Besonders dramatisch wird es mit Sicherheit in den USA werden. Kombiniert sich das mit einem Platzen der Immobilienblase in China kann auch die Weltkonjunktur einbrechen.

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