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Betrieb & Gewerkschaft

Hartz IV: Was die AfA alles wissen wollen

Von Oskar Kuhn | 01.11.2004

Seit einigen Wochen bekommen Langzeitarbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen zur Vorbereitung auf die bürokratische Umsetzung der sogenannten Hartz IV-Reform Fragebögen der Arbeitsagenturen (AfA) und Sozialämter zugesandt bzw. vorgelegt.

Seit einigen Wochen bekommen Langzeitarbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen zur Vorbereitung auf die bürokratische Umsetzung der sogenannten Hartz IV-Reform Fragebögen der Arbeitsagenturen (AfA) und Sozialämter zugesandt bzw. vorgelegt.

Mit Ausnahme von Erstantragstellerinnen und Erstantragstellern sind von allen betroffenen Personen bereits früher Daten erhoben worden. Es handelt sich deshalb bei der neuen bzw. erneuten Erfassung der Daten für Alg II um eine qualitative Veränderung der Datenerhebung und Datenerfassung. Noch deutlicher: neben der deutlichen Einschränkung der sozialen Handlungsfreiheit werden demokratische Rechte wie die genannte Privatsphäre durch diese Form der Kontrolle und Überwachung massiv eingeschränkt. Diese Gefahr wird nicht nur von der Protestbewegung gegen Sozialabbau erkannt und benannt; auch bürgerliche RechtswissenschaftlerInnen weisen darauf hin.
Erpressung
Wer ab 01. Januar 2005 nicht ohne Geld dastehen will, ist zur umfassenden Auskunft über die eigenen Lebensverhältnisse per Formular genötigt. Arbeitsagenturen und Sozialämter aus Regionen, die das sogenannte Optionsmodell gezogen haben1, treten derweil gehäuft in erpresserischer Manier auf: Laufende Zahlungen werden nach verschiedenen Pressemitteilungen häufig erst gewährt, wenn der Alg II – Antrag ausgefüllt und unterschrieben abgegeben worden ist.
Unter der Lupe
Doch schauen wir uns dieses Machwerk genauer an:
Aufgeteilt ist der Fragebogen in das Antragsformular und vier Zusatzblätter. Im Antragsformular werden die persönliche Verhältnisse der Antragstellerin bzw. des Antragstellers und der mit ihr/ihm zusammenlebenden Person allgemein durchleuchtet (Familienstand, Staatsangehörigkeit, etc.). Ist dieses Blatt ausgefüllt, liegt dem staatlichen Verwaltungsapparat eine grobe Übersicht vor, ob dem Antrag im vollen Umfang2 entsprochen wird oder ob über die umfassende Definition der Bedarfsgemeinschaft (Ehe- und LebenspartnerIn, unter Umständen Mitglieder der Wohngemeinschaft, etc.) Kosten abgewälzt werden können. Die Zusatzblätter 1 – 4 sind bei entsprechender Antwort auf dem Antragsformular ergänzend auszufüllen und dienen als Lupe für die genaue Berechnung von Ansprüchen bzw. Nichtansprüchen.
Blatt 1 dient der „Feststellung der angemessenen Kosten für Unterkunft und Heizung“ und muss in jedem Fall ausgefüllt werden. Hier wird mensch über seine Wohnverhältnisse ausgefragt. Angaben über die Art des Wohnens (Mietwohnung, Eigenheim), zur Beschaffenheit der Wohnung (Anzahl der Räume, Wohnfläche, etc.), Nebenkosten und zur Anzahl der in der Wohnung lebenden Personen.
Das Zusatzblatt 2 verlangt Angaben zur Einkommenserklärung und Vorlage von Verdienstbescheinigungen. Hier werden Arbeitsentgelte, Rente, Pensionen, Werbungs- und Fahrtkosten sowie Aufwendungen für gesetzlich vorgeschriebene Versicherungen abgefragt.
Wie beim Haftantritt
Mit dem Zusatzblatt 3 „zur Feststellung des zu berücksichtigenden Vermögens“ kommt der Abschnitt, der zahllosen Menschen den beschleunigten sozialen Absturz vorbereitet. Wer in den Jahren von Vollzeitbeschäftigung oder aus anderen Gründen Rücklagen in Geldform, Lebensversicherungen, Wertpapieren, Sachwerten, etc. bilden konnte: Hier muss sie bzw. er alles rückhaltlos angeben. Alles was über einem Wert von 4100,- Euro liegt wird auf das Arbeitslosengeld II angerechnet; muss also verzehrt werden, bevor es zur „vollen Leistung“ kommt. Dazu gehört auch die Bargeldangabe zum Zeitpunkt der Antragsbearbeitung. Dies führt dazu, dass Menschen in den Ämtern bei Antragsabgabe und persönlichem Vorsprechen auch direkt vor dem Sachbearbeiter (künftig „Fallmanager“ genannt) die Taschen leeren müssen. Ähnlichkeiten zu einem Haftantritt sind nicht von der Hand zu weisen.
Manifest zum Widerstand
Blatt 4 ist zur Verwendung bei Eintragung weiterer Angehöriger (Ergänzung zum Zusatzblatt 1) zu verwenden. Im Klartext: Der Begriff Angehöriger – Stichwort Bedarfsgemeinschaft – wird maximal verwendet und geprüft, bevor es zu den Segnungen aus dem Reformhaus Schröder kommt.
Wer sich durch die 16 Seiten3 durchgequält hat, wird im Anhang nochmals auf seine aktive Mitwirkung hingewiesen. Hier wird Klartext gesprochen, sowohl hinsichtlich der materiellen Verantwortung der Bedarfsgemeinschaft für die/den Antragsteller/in als auch hinsichtlich des Sanktionssystems. Viele Arbeitslose und SozialhilfeempfängerInnen haben den Druck, den diese Anträge im Dienste der herrschenden Klasse ausüben, auf den Ämtern zu spüren bekommen, in Beratungsstellen geklagt oder zu Hause verunsichert und wütend verarbeiten müssen.
Dem Sozialabbau und rücksichtslosen Durchleuchten der Privatsphäre ist nur kollektiv zu begegnen. In diesem Sinne sind die Antragsformulare der Agentur für Arbeit und der Sozialämter ein einziges Manifest zum Widerstand und Klassenkampf.

1 Arbeitslosengeld II wird von Arbeitsgemeinschaften der örtlichen AfA in Kooperation mit dem Sozialamt und dem Kreis (Kommune) über das Sozialamt (Optionsmodell) gewährt.
2 Im vollen Umfang heißt: 345,- Euro + Miete für eine angemessene Wohnung. Die Bemessungsgrenze einer angemessenen Wohnung soll sich am jeweiligen ortsüblichen Mietspiegel orientieren.
3 SozialhilfebezieherInnen müssen „nur“ ein vierseitiges Formular zur Erlangung von Alg II ausfüllen.

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