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Betrieb & Gewerkschaft

Hamburg: Krankenhausprivatisierung und ihre Folgen

Von Korrespondent | 01.01.2006

Die sieben allgemeinen Krankenhäuser Hamburgs (Landesbetrieb Krankenhäuser – LBK) wurden gegen den Willen der Hamburger Wähler­Innen privatisiert Bei einer Volksabstimmung, die gleichzeitig mit der Bürgerschaftswahl stattfand, hatten sich 77% dafür ausgesprochen, dass die Stadt die Mehrheitsanteile am LBK behalten solle. Noch ist es so, aber ab Januar 2007 wird die Asklepios GmbH 74,9% der Anteile besitzen. Zurzeit sind es 49,9%. Aber das unternehmerische Sagen ist ihr schon zu 100% übergeben worden.

Die sieben allgemeinen Krankenhäuser Hamburgs (Landesbetrieb Krankenhäuser – LBK) wurden gegen den Willen der Hamburger Wähler­Innen privatisiert. Bei einer Volksabstimmung, die gleichzeitig mit der Bürgerschaftswahl stattfand, hatten sich 77% dafür ausgesprochen, dass die Stadt die Mehrheitsanteile am LBK behalten solle. Noch ist es so, aber ab Januar 2007 wird die Asklepios GmbH 74,9% der Anteile besitzen. Zurzeit sind es 49,9%. Aber das unternehmerische Sagen ist ihr schon zu 100% übergeben worden.

Bei den Tarifverhandlungen im Öffentlichen Dienst hatten die „Arbeitgeber“ des LBK mit am Tisch gesessen. Dieser Tarifvertrag öffentlicher Dienst enthält etliche Nachteile für die Beschäftigten. Unter der neuen Führung setzte der LBK noch einen drauf: Er trat aus dem Arbeitgeberverband aus und bildete zusammen mit dem Universitätskrankenhaus (sowie einigen Wurmfortsätzen der beiden Großen) einen neuen. Mit anderen Worten: Flucht aus einem Tarifvertrag, den sie selber mit abgeschlossen hatten.
„Verbandsrichtlinien“ und was sie bedeuten

Das empörte in erster Linie die Gewerkschaftsbürokratie, welche die Lebenslüge pflegt, dass mit der Gegenseite zuverlässige Absprachen möglich seien.

Für die Arbeitskräfte im LBK bedeutet die Tarifflucht: Alle, die vor dem Austritt aus dem Arbeitgeberverband schon beschäftigt waren, behalten die Regelungen des alten BAT, weil das Tarifvertragsgesetz eine Nachwirkung der Tarifverträge bis zum Abschluss eines neuen vorsieht. Alle Neueingestellten geraten in einen tariflosen Zustand. Als Neueinstellung gilt jede Veränderung des Arbeitsvertrages. Zum Beispiel: Übernahme nach der Ausbildung, Versetzung auf eine andere Stelle, Verlängerung eines befristeten Arbeitsvertrages.
Was dann kam, versetzte die Beschäftigten in Angst und Schrecken. Dieser Arbeitgeberverband verfasste „Verbandsrichtlinien“. Sie werden seither bei allen Neueinstellungen verwendet und sollen die Basis für einen Tarifvertrag sein.
Einige Beispiele daraus:

  • –    Es soll grundsätzlich nur noch befristete Arbeitsverträge geben.
  • –    Es gibt Einbußen beim Grundgehalt von mehreren Hundert Euro.
  • –    Die Schichtzulagen fallen fast alle weg.
  • –    Die „Jahressonderzahlung“ (Weihnachts- und Urlaubsgeld) fällt weg.
  • –    Die Arbeitszeit wird auf 42 Wochenstunden verlängert.
  • –    Der Urlaub wird um 3 Tage, für ältere um 4 Tage gekürzt.
  • –    Der Zusatzurlaub für Wechselschichtarbeiter (bisher bis zu 4 Tagen) fällt weg.
  • –    Eine Versetzung in jedes andere Unternehmen desselben Arbeitgebers soll jederzeit möglich werden (Asklepios hat allein in Deutschland Kliniken von Gauting bis Sylt).

Während sonst jeder Furz von diesen Arbeitgebern breitgetreten wird, ist es richtig schwierig, an ein Exemplar der „Verbandsrichtlinien“ heranzukommen. Dennoch verbreitete sich die Nachricht schneller als Fußpilz in einer Altherren-Sauna.
„Sanierungsfall“ LBK?
Wie üblich wurde der LBK-Hamburg zu einem Sanierungsfall erklärt, um diesen Katalog zu rechtfertigen. Doch lohnt ein genauerer Blick.
Der LBK hatte zur Zeit des Kaufvertrages eine Bilanzsumme von ca. 1,2 Milliarden Euro. 74,9% davon sollen nach diesem Kaufvertrag für 318 Millionen Euro über den Ladentisch gehen. Nur, dass Asklepios bei weitem keine 318 Millionen Euro bezahlt. Die Wirklichkeit erweckt eher den Eindruck, dass der LBK nicht verkauft, sondern verschenkt wurde.
In dem Kaufpreis inbegriffen ist zunächst die Pacht für die Häuser und Grundstücke (die der Stadt gehören) für 99 Jahre. Wenn in den Jahren 2007 bis 2009 die Gewinnerwartungen von Asklepios nicht erreicht werden, werden 75 Millionen Euro des Kaufpreises nicht fällig.

Tatsächlich zahlte Asklepios nur 19,2 Millionen. Der Rest des Kaufpreises soll vom LBK selber aufgebracht werden. Dass macht sich in der Buchführung mit einem Minus von 180 Millionen Euro bemerkbar (Der Rest des Kaufpreises ergibt sich rechnerisch daraus, dass Asklepios zwei kleinere Krankenhäuser in den LBK einbringt).
Nachdem der LBK arm gerechnet wurde, beklagte sich Asklepios, weil das Vermögen des LBK zum Zeitpunkt des Eigentümerwechsels zu Anfang des Jahres um fast 20 Millionen Euro geringer gewesen sei, als im Vertrag vereinbart. Merkwürdigerweise hatten all die Experten das zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses nicht bemerkt. Der Finanzsenator überwies prompt 19,5 Millionen aus der sonst so leeren Stadtkasse.
Der Vorstandsvorsitzende des LBK aus öffentlich-rechtlichen Zeiten, Heinz Lohmann, pflegte Rationalisierungsmaßnahmen mit dem Ziel „Fielmann-Medizin“ zu erklären. Der neue Eigentümer hat dieses Ideal nun erreicht: Dreiviertel des größten Krankenhausverbundes Europas bekommt er – und hat keinen Pfennig dazubezahlt.
Erster Widerstand
Am 15. November streikte für einige Stunden das Universitätskrankenhaus, am 18. November das allgemeine Krankenhaus Eilbek, am 30. November kam es zu einem vierstündigen Warnstreik in allen betroffenen Kliniken. 1500 Streikende waren von ver.di erwartet worden, es wurden nach Presseberichten 3500 auf der zentralen Streikkundgebung. Am 22. Dezember soll es Verhandlungen geben, die wohl zügig scheitern werden, so dass nach Weihnachten mit Urabstimmung und Streik zu rechnen ist.
Nachteilig wirkt sich aus, dass es in den Hamburger Krankenhäusern seit 1992 keine Streikerfahrung gibt, so dass die moralische Erpressung zum Teil noch funktioniert und die Unsicherheit sehr groß ist. Der Organisationsgrad, der in der letzten Zeit knapp über 10% dümpelte, steigt jetzt stetig an, ein Indiz für entstehende Kampfbereitschaft. Dennoch sind die Schwierigkeiten, einen Streik auf die Beine zu kriegen, enorm, was bei den Warnstreiks alle Aktiven deutlich gespürt haben.

Diese Schwierigkeiten haben eine Vorgeschichte. Der ÖTV-Streik 1992 war der erste, an dem Krankenhäuser in größerem Umfang teilgenommen haben. Vorausgegangen war eine lange, zähe, geduldige und unspektakuläre Gewerkschaftsarbeit, bei der eine gewisse Basis entstanden war. Der Abbruch des 1992er Strei
ks gegen den Willen der Streikenden war ein erster schwerer Rückschlag. Die folgenden Jahre waren gekennzeichnet von einer kooperativen Haltung der Gewerkschaft und Personalräte gegenüber dem damals noch staatlichen LBK. Mehrere Tausend Arbeitsplätze wurden kooperativ und geräuschlos abgebaut und Rationalisierungsmaßnahmen von Personalräten und Gewerkschaften den Beschäftigten schmackhaft gemacht. Es schmeckte natürlich trotzdem nicht, und die Gewerkschaft verlor ihren in den 80er Jahren gutgemachten Boden.
Mit den jetzigen Auseinandersetzungen kann sie ihn wiedergewinnen, wenn sie es nicht ähnlich wie 1992 versiebt.
Hier liegt eine Aufgabe der Gewerkschaftslinken.

 

Aus einer Rede auf einer Streikversammlung
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich arbeite als Lehrer im Bildungszentrum für Gesundheitsberufe. Ich freue mich natürlich besonders darüber, dass so viele Auszubildende hier sind. Die leitenden Angestellten unserer Arbeitgeber versuchen uns in dem für sie typischen Gemisch aus schlechtem Deutsch und schlechtem Englisch weiszumachen, wir seien zu teuer und der LBK ein Sanierungsfall, weil hoch verschuldet.
Aber wir sehen genauer hin: Die Schulden kommen doch daher, dass Asklepios den Kaufpreis für den LBK doch nicht ganz und gar aus eigener Tasche bezahlen will. Stattdessen soll ein Großteil dessen aus den Kassen des LBK kommen.
Stellt Euch doch mal vor:
Ihr geht in einen Supermarkt und wollt drei Viertel davon aufkaufen. An der Kasse stellt Ihr fest, dass Ihr nicht genug Geld dafür habt. Statt nun kleinlaut alles zurückzugeben, greift Ihr in die Ladenkasse, und weil darin auch nicht genug ist, greift Ihr anschließend in die Taschen der Verkäuferinnen und Verkäufer.
Als wir von Verdi dies im BZG bekannt machten, antwortete der Betriebsleiter sinngemäß darauf, das sei doch im Geschäftsleben ein völlig normaler Vorgang. Der Mann hat wohl eine ungewollt systemkritische Äußerung gemacht. Denn das heißt doch nichts anderes, dass es völlig normal sei, dass Arbeitnehmer dafür bluten sollen, dass Millionäre ihre Rechnungen nicht bezahlen müssen.
Wir streiken heute dafür, dass der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst für uns angewendet wird. Der ist ja an sich schon ein Kompromiss. Unser Unmut richtet sich aber auch gegen den Senat, der die Ausplünderung der Beschäftigten nicht nur duldet, sondern mit der Privatisierung auch noch eingefädelt hat.
Ich freue mich, dass wir heute so viele hier sind, nämlich über 3000. Ich freue mich darüber besonders deshalb, weil ich weiß, wie viel Mut es kostet und wie viel Mühe, das zu erreichen. Wir wussten bis jetzt nicht, wie es werden würde. Die da drüben aber auch nicht!
Aber es kostet nicht nur Mut, es macht auch Mut hier zu stehen und zu sehen: Wir sind nicht allein.
Diesen Mut und den Schwung müssen wir nutzen. Wir werden bald in einen Streik gehen müssen, in dem es dann nicht nur um ein paar Stunden geht, sondern möglicherweise um ein paar Wochen.
Deshalb eine Bitte an Euch und an mich: Machen wir weiter so wie bisher, aber machen wir auch weiter als bisher. Um die Kampfkraft zu stärken: Für die, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind heißt das: Mitglieder werden. Für die, die es schon sind: Mitglieder werben.
Dann lasst uns bald die Urabstimmung und den Vollstreik vorbereiten.
In diesem Sinne wünsche ich Euch eine kämpferische Weihnachtszeit und auch im nächsten Jahr wieder Feuer unter dem Hintern all derer, die uns das Fell über die Ohren ziehen wollen.

 

 

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