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Kultur

Günter Grass schreibt ein Gedicht

Von Horst Winz | 21.05.2012

Dass seit Jahrtausenden Kriege geführt werden ist eine Binsenweisheit, auch die Tatsache, dass jeder Krieg ein Krieg um Märkte, Ressourcen und Profit ist. Ebenso Legion sind die Gedichte, die sich gegen diese scheinbar legitimierten Massaker richten.

Dass seit Jahrtausenden Kriege geführt werden ist eine Binsenweisheit, auch die Tatsache, dass jeder Krieg ein Krieg um Märkte, Ressourcen und Profit ist. Ebenso Legion sind die Gedichte, die sich gegen diese scheinbar legitimierten Massaker richten.

Von Homer bis Majakowski, von Hans Sachs, Schiller, Kästner bis Erich Fried: Tausende Autoren formulierten Lyrik und Prosa in allen Sprachen und Regionen der Welt gegen Krieg.
Warum also diese aufgeblasene Entrüstung wegen des Gedichtes „Was gesagt werden muss“ von Nobelpreisträger Günter Grass? Um es vorweg zu sagen: große Lyrik ist das Gedicht nicht. Wiglaf Droste brachte es auf den Punkt:

Schlechte Prosa, die man
willkürlich umbricht
bleibt schlechte Prosa und
wird kein Gedicht.

Jeder noch so banale Werbeslogan wie z. B. „Milch macht müde Männer munter“ u. ä. ist dagegen feinste Lyrik. Hat Grass, „der Totgeschwiegene“, mal wieder einen Hype gebraucht? Seine Biografie ist voll davon. Nahezu jede Publikation von ihm war zunächst „ein Skandal“, angefangen bei der „Blechtrommel“ und „Katz und Maus“, die es ob der hervorragenden Qualität  nun wirklich nicht nötig hatten, über „Ein weites Feld“ bis zur „Beim Häuten der Zwiebel“. Endlich hatten Presse und andere Medien wieder ein Thema, das Spalten und Sendezeit ohne großen Aufwand füllte. Grass‘ Hausverlag Steidl, an dem er Teilhaber ist, wird wohl in naher Zukunft einen neuen Band mit Lyrik von Grass veröffentlichen. Wetten, das „Skandalgedicht“ wird der Werbeaufmacher? Verkauf und Bestsellernotierung im „Spiegel“ wären gesichert.
Aber nur die wenigsten Kritiker und Kommentatoren setzten sich mit der sprachlichen Qualität von Grass‘ Gedicht auseinander. Einhellig wurde die Botschaft der Zeilen verrissen: Westerwelle: „absurde Argumentation“, Reich-Ranicki:“Ein ekelhaftes Gedicht“, Hochhut:“Albernheit“, der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Dieter Graumann: kein Gedicht, “mehr ein Hasspamphlet“, Broder in der „Welt“: „ein gebildeter Antisemit“ und das beste: Netanjahu wirft Grass „moralische Verdrehung“ vor.

Einige moderate Kommentatoren wie Alfred Grosser, Jakob Augstein, die Friedensbewegung und einige andere Politiker z. B. Gysi nannten Grass‘ Kernsatz des Gedichtes „Die Atommacht Israel gefährdet den ohnehin brüchigen Weltfrieden“  als völlig zutreffend. Sie verwahrten sich gegen das Junktim „Kritik an israelischer Politik ist gleich Antisemitismus“. Es war überfällig, die Fakten der atomaren Rüstung Israels, die in der BRD seit Jahrzehnten heruntergespielt oder negiert werden, zu thematisieren. Israel ist Atommacht von NATO-Gnaden, lässt keine Kontrollen zu und ist dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten. Es war überfällig, die Profite des deutschen Rüstungskapitals (sie tragen den Namen „Wiedergutmachung“) zu benennen. Kein vernünftiger Mensch hält Iran für einen friedliebenden, demokratischen und humanitären Staat. Unbestreitbar ist auch die Bedrohung Israels durch seine Anrainerstaaten. Nur muss es zum Säbelrasseln der israelischen Politik Alternativen geben. Krieg hat bekanntlich noch nie Frieden gebracht.

Ein Krieg im Nahen Osten, angezettelt von Israel gegen den Iran, würde die Welt, da hat Grass Recht, an den Rand, wenn nicht in die Katastrophe führen. Die Argumentation der Kritiker von Grass’ Gedicht richtet sich auch fast ausnahmslos gegen seine politische Aussage. Der Vorwurf des Antisemitismus und seine paar Wochen in der SS als Siebzehnjähriger werden zu Totschlagargumenten. Kaum einer debattiert die Gefahren und die möglichen Folgen eines atomaren Angriffs Israels auf den Iran. Eine mögliche Erklärung ist, dass sich die imperialistischen Staaten und die herrschende Klasse Israels in den Kriegsvorbereitungen gestört fühlen. Die geografische Lage Israels ist durch die unmittelbare Nähe zu den wohl weltgrößten Ölvorkommen schon seit geraumer Zeit Aufmarschgebiet der westlichen Industrienationen. Kaum anzunehmen, dass das Interesse an der Sicherheit Israels so signifikant wäre, hätte es die geografische Lage von z. B. Malawi. Es geht wie bei jedem Angriffskrieg um Profit, Macht und Ausbeutung von Bodenschätzen und Menschen. Bislang stieß jede, die Bourgeoisie oder ihre Untaten kritisierende politische Äußerung eines Autors oder Autorin bei der herrschenden Klasse und ihren medialen Helfer­Innen immer auf  Hohn, Verunglimpfung und Hetze. Alleine das Benennen von Fakten wird zum Verrat stilisiert.

Die Bedingungslosigkeit für eine Solidarität mit Israel mutet fast wie Komplizenschaft an. Zu viele Großkonzerne erzielen erhebliche Gewinne mit der Lieferung von Waffen und anderem Kriegsgerät. Da die BRD der drittgrößte Waffenproduzent und -lieferant ist, kann der mediale Aufschrei nicht verwundern. Schließlich sichert ein atomarer Schlag Israels gegen den Iran unermessliche Profite.

Gleichzeitig findet eine vertuschende Fehlinformation in den bürgerlichen Medien darüber statt, dass ein Krieg gegen den Iran der Wille des israelischen Volkes sei. Zielgerichtet wird, wie auch im Krieg gegen die Palästinenser­Innen, eine Einhelligkeit der Meinung des israelischen Volkes suggeriert, die die Friedensbemühungen von einzelnen Menschen, Gruppen und Organisationen unterschlagen.
Im Jahresbericht von amnesty international ist folgendes zu lesen:
„Hunderte von Palästinensern wurden von den israelischen Streitkräften festgenommen und inhaftiert. Mehr als 250 Gefangene befanden sich ohne Anklageerhebung oder Gerichtsverfahren in Verwaltungshaft, einige von ihnen bereits seit mehr als zwei Jahren. Berichte von Folterungen und anderen Misshandlungen waren weiterhin an der Tagesordnung. Eine Untersuchung entsprechender Vorwürfe fand jedoch nur selten statt. Etwa 6000 Palästinenser verbüßten Haftstrafen in israelischen Gefängnissen, zu denen sie nach vielfach unfairen Prozessen von Militärgerichten verurteilt worden waren. Gegen israelische Kriegsdienstverweigerer ergingen erneut Freiheitsstrafen.“
Wie ein Autor Kritik an israelischer Politik auch formulieren kann, ist dem folgenden Gedicht von Erich Fried zu entnehmen, das er bereits 1967 im Wagenbach Verlag1 veröffentlichte:

Höre, Israel
Als wir verfolgt wurden
war ich einer von euch
Wie kann ich das bleiben
wenn ihr Verfolger werdet?

Eure Sehnsucht war
Wie die anderen Völker zu werden
die euch mordeten
Nun seid ihr geworden wie sie

Ihr habt überlebt
die zu euch grausam waren
Lebt ihre Grausamkeit
In euch jetzt weiter?

Den Geschlagenen habt ihr befohlen:
„Zieht eure Schuhe aus“
Wie den Sün
denbock habt ihr sie
in die Wüste getrieben

in die Moschee des Todes
deren Sandalen Sand sind
doch sie nahmen die Sünde nicht an
die ihr ihnen auferlegen wolltet

Der Eindruck der nackten Füße
im Wüstensand
überdauert die Spur
eurer Bomben und Panzer

1    Aus „Erich Fried, Anfechtungen“,  Verlag Klaus Wagenbach, Berlin  1967. (Dank für die Abdruckgenehmigung)

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