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Betrieb & Gewerkschaft

Gewerkschaften zögern und warten

Von Trixi Blixer | 15.09.2004

Während sich die Bewegung gegen den sozialen Kahlschlag weiterentwickelt und vor allem die Montagsdemonstrationen wachsen, zögern die Gewerkschaftsspitzen noch, ob und wie weit sie sich an Mobilisierungen gegen das SPD-/Grüne-Sparprogramm beteiligen sollen.

Während sich die Bewegung gegen den sozialen Kahlschlag weiterentwickelt und vor allem die Montagsdemonstrationen wachsen, zögern die Gewerkschaftsspitzen noch, ob und wie weit sie sich an Mobilisierungen gegen das SPD-/Grüne-Sparprogramm beteiligen sollen.

Wichtige Teile in den Gewerkschaften und Gewerkschaftsvorständen haben Befürchtungen, sich klar von der SPD und ihrer zutiefst unsozialen Politik zu lösen. Nicht mehr nur zögerlich, sondern offen spalterisch argumentiert Stefan Brangs, ver.di-Chef in Ostsachsen und SPD-Kandidat bei der Landtagswahl. Er geht soweit zu sagen, es habe “keinen Sinn, die Leute auf die Straße zu bringen«, es gebe ohnehin »keine reelle Chance, Hartz IV zurückzunehmen”.1 Damit unterstützt er nicht nur offen die Bundesregierung, kein Wunder als Parteimitglied, sondern stellt auch die Kraft der Gewerkschaften als Millionenorganisation in Frage.

DGB uneins

Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer ging zu Beginn der Montagsdemos entschieden zu weit, als er verlautete, er habe Sorge, dass der Unmut der Bevölkerung von politischen Rattenfängern missbraucht werde. Auch in späteren Presseerklärungen, hält der DGB nichts von einer offenen Unterstützung der Demonstrationen. So sagt er zwar auf der einen Seite, dass die regionalen Gewerkschaftsgliederungen sich am Protest beteiligen können. Auf der anderen Seite betont der DGB jedoch, dass “ die Gewerkschaften Demagogen gleich welcher politischer Schattierung energisch entgegentreten [werden].” Das gelte insbesondere für undifferenzierte “Hartz IV muss weg” –Aufrufe.23 Denn der DGB ist nicht gegen die Hartz IV-Gesetze als Ganzes, sondern fordert lediglich einige moderate Korrekturen. Im Gegensatz zu der Haltung des Bundesvorstandes solidarisieren sich die DGB-Landeschefs aus Sachsen-Anhalts (Udo Gebhardt) und Thüringen (Frank Spieth) mit den Montagsdemonstrationen.3 Die DGB-Spitze warnt also vor “Rattenfängern” auf den Montagsdemos, wohingegen DGB-Regionalverbände diese mitorganisieren. Diese uneinige Haltung des DGB schwächt die Mobilisierungen.

Für die Bundesregierung?

Die SPD versucht mit allen Mitteln, das relative Stillhalten der Gewerkschaft beizubehalten. Schließlich weiß sie, wie stark die Bewegung werden könnte, würden sich die Gewerkschaften endlich entschließen, voll gegen die Agenda 2010 zu mobilisieren. Nichts unversucht lassend, geht die SPD-Bundestagsfraktion soweit, die Gewerkschaften zum Helfershelfer des Faschismus zu erklären! SPD-Fraktionsvorstandsmitglied Jörg Tauss sagte, mit ihren “unsäglichen Kampagnen” gegen die Arbeitsmarktreformen liefen einige Gewerkschaften Gefahr, “zum Motor der Rechtsradikalen zu werden”4
Solche unglaublichen Vorwürfe reichen leider nicht dazu aus, die IG BCE davon zu überzeugen, Bundesregierung endlich Bundesregierung sein zu lassen und sich voll auf die Seite der Erwerbslosen und protestierenden Beschäftigten zu stellen. In einem offenen Brief an die Kolleginnen und Kollegen in Ostdeutschland wirbt die BCE um Verständnis für die Politik der Regierung: “Die von Kanzler Kohl geführte Bundesregierung hat sich über viele Jahre hinweg vor notwendigen Reformen gedrückt. Auf allen wichtigen Politikfeldern herrschte Stillstand. […] eine Hypothek an der die rot-grüne Koalition bis heute schwer zu tragen hat.”5
Ver.di schwenkt um
Ver.di ist ein Beispiel dafür, dass sich auch Positionen an der Gewerkschaftsspitze ändern können. Noch im Juni erklärte ver.di – Chef Frank Bsirske nach einem Hinterzimmergespräch mit Kanzler Schröder, er werde künftig auf Forderungen nach Korrekturen an beschlossenen Reformen verzichten. Doch nach dem schnellen Wachstum der Bewegung gegen Hartz IV, sah sich der Vorstand im August gezwungen, sich mit den Demos zu solidarisieren. So begrüßt der Bundesvorstand jetzt ausdrücklich “die Demonstrationen gegen die sozialen Zumutungen von Hartz IV.” Und er stellt fest, dass nicht nur die Armut steigen, sondern auch der “Druck auf die Löhne stark zunehmen” wird.6 Bsirske betonte auf einer Veranstaltung im Dresdner Volkshaus, dass die Proteste gegen das unsoziale “Verarmungs- und Lohnsenkungsprogramm” auch weiterhin von den Gewerkschaften unterstützt werden müssen.
Deutlichere Unterstützung gefordert
So deutliche Worte wie sie Bsirske jetzt für die Bewegung gegen Hartz IV findet, wären auch von den anderen Gewerkschaftsvorständen wünschenswert. Aber ver.di wird beweisen müssen, dass sie neben Presseerklärungen und Veranstaltungsbeiträgen auch entschieden zur Mobilisierung beitragen wird. Denn bis jetzt halten sich in Westdeutschland die meisten Gewerkschaftsgliederungen immer noch bedeckt, wenn es um den praktischen, sowohl auf betrieblicher Ebene als auch bei den Initiativen organisierten, Widerstand geht.

 

1 vgl. www.nd-online.de/artikel.asp
2 Geschäftsführenden DGB-Bundesvorstandes, 19.08.2004, www.dgb.de/presse/pressemeldungen

3 vgl. www.taz.de, 14.8.04

4 vgl. www.stern.de/politik/deutschland, 7.9.04

5 Huberturs Schmoldt, Ulrich Freese, IG BCE, Offener Brief an alle Kolleginnen und Kollegen in den neuen Bundesländern, 26.8.04

6 ver.di Newsticker 23.08.2004, www.verdi.de

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