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Innenpolitik

Gesundheitsrisiko: Großkapital in der Medizin

Von Thadeus Pato | 01.10.2006

Im Juli erschien ein Artikel in dem lateinamerikanischen Newsletter „Boletin Informativo“, der sich mit der Nierentransplantation in Bolivien beschäftigte. In einem der ärmsten Länder Süd­amerikas werden, in erster Linie vermögenden Argentiniern, für 30000 – 40000 US$ Nieren transplantiert. Woher die Nieren kommen, bleibt unklar. Es wird wohl so sein wie in Indien, wo in den Slums der Handel mit Nieren ein gutes Geschäft ist – für die Käufer.

Im Juli erschien ein Artikel in dem lateinamerikanischen Newsletter „Boletin Informativo“, der sich mit der Nierentransplantation in Bolivien beschäftigte. In einem der ärmsten Länder Süd­amerikas werden, in erster Linie vermögenden Argentiniern, für 30000 – 40000 US$ Nieren transplantiert. Woher die Nieren kommen, bleibt unklar. Es wird wohl so sein wie in Indien, wo in den Slums der Handel mit Nieren ein gutes Geschäft ist – für die Käufer.

Medizin im Kapitalismus ist in erster Linie ein Geschäft, und Geschäfte haben mit Moral nichts zu tun. Je mehr ein Krankenversorgungssystem der Logik des Marktes ausgesetzt wird, desto sicherer ist es, dass die eigentliche Zielsetzung von Gesundheitspolitik, nämlich, dem Individuum Schutz vor Verletzung und Erkrankung zu bieten, in den Hintergrund tritt gegenüber der ganz gewöhnlichen Profitgier. Und so jagt ein Medikamentenskandal den nächsten, von Contergan bis Lipobay. Auf dem Sektor der medizinischen „Hardware“ folgen die Innovationen inzwischen so rasch aufeinander, dass kaum noch herauszufinden ist, ob das neue Gerät tatsächlich besser – und ungefährlicher – ist als das alte. Ein grosser Teil des gesamten Systems stellt nichts anderes dar, als einen permanent laufenden gigantischen Menschenversuch.
Kapitalistisches Grundprinzip
Ein Grundprinzip kapitalistischer Ökonomik lässt sich dabei in den Krankenversicherungssystemen der Industriestaaten besonders schön beobachten: Der Widerspruch zwischen der kollektiven, solidarischen Aufbringung der Mittel für die Krankenversorgung und der privaten Aneignung dieser Gelder durch das Kapital. Dabei hat letzteres es im Laufe der inzwischen mehr als 120 Jahre währenden Existenz der allgemeinen Krankenversicherung schrittweise geschafft, diese private Aneignung auf fast alle Bereiche des medizinisch-industriellen Komplexes auszudehnen. Waren es zunächst vor allem die Pharmaunternehmen, dann die Geräteindustrie und schließlich die den öffentlichen Gesundheitsinstitutionen zuarbeitenden Dienstleister, so hat in atemberaubendem Tempo in den letzten 20 Jahren in Deutschland der Kapitalmarkt einen großen Teil der bisher noch öffentlich verfassten stationären Gesundheitseinrichtungen geschluckt – einschliesslich universitärer Institutionen.
Monopolbildung
Wie immer ist dabei eine Tendenz zur Monopolbildung zu beobachten – nicht nur auf horizontaler Ebene, wie bei den großen Fusionen in der Pharmabranche der letzten Jahrzehnte. Inzwischen wird auch versucht, durch vertikale Arrondierung die Profitbedingungen zu verbessern: Firmen, die Medizinprodukte herstellen, steigen beispielsweise in den Krankenhaussektor ein und sichern sich auf diese Weise für ihre Waren einen stabilen Absatzmarkt. Dass das mit dem Streben nach möglichst guter medizinischer Qualität nichts, mit Extraprofit allerdings sehr viel zu tun hat, braucht wohl kaum betont zu werden.
Wettbewerb = medizinischer Fortschritt?
Darüber hinaus versucht die Industrie inzwischen, über den indirekten Einfluss hinaus, den sie schon bisher durch die Drittmittelvergabe an die universitären Forschungseinrichtungen ausübte, sich direkt an diesen Institutionen zu beteiligen. Unabhängige oder gar kritische Forschung wird damit verhindert – wes` Brot ich ess`, des` Lied ich sing`.
Unisono wird dabei sowohl von den herrschenden Politikern wie den Industrievertretern betont, dass nur der Wettbewerb den medizinischen Fortschritt bringe und dass deshalb die laufende Privatisierung und Deregulierung ausschliesslich dem Patienten diene. Das ist natürlich Unsinn: Was in Wirklichkeit stattfindet, ist, dass die solidarisch und kollektiv aufgebrachten Mittel für die Krankenversorgung in den Taschen von Privatunternehmen verschwinden, dass die Forschung nicht unter dem Gesichtspunkt des medizinischen Benefitz, sondern unter dem des zu erwartenden Profits stattfindet (so werden beispielsweise Medikamente gegen bestimmte Tropenkrankheiten nicht entwickelt, weil die Menschen in diesen Gebieten nicht genug dafür bezahlen können) und – im Medizinsektor besonders gefährlich – dass der der kapitalistischen Ökonomie inhärente Zwang zur raschestmöglichen Amortisierung des eingesetzten Kapitals dazu führt, dass in immer schnellerer Folge kaum erprobte Medikamente, nicht verstandene Techniken und teilweise auch völlig nutzlose Produkte auf den Markt geworfen werden. So hat beispielsweise die Technik der Stammzelltransplantation bei bestimmten Hirnerkrankungen, seit Jahren in der Presse als die Methode der Zukunft hochgejubelt, bisher nichts als Tote produziert. Dass, wie überall, wo viel Geld zu verdienen ist, gelogen wird, dass sich die Balken biegen, ist nicht erst seit dem Skandal um den koreanischen Klon-Guru bekannt. Ähnliches war beispielsweise auch von der Universität Freiburg zu vermelden.

Kapitalistische Gesundheitspolitik ist nun einmal ein Geschäft. Will man das ändern, dann wird nichts anderes übrig bleiben, als das Adjektiv zu streichen. Ein „Mischsystem“ aus privater Produktion von Medizinprodukten und öffentlicher Aufbringung der Mittel nützt nur den ProduzentInnen. Die Folge ist vor allem anderen eine gefährliche Medizin.

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