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Betrieb & Gewerkschaft

Gegen die neuen Herrscher

Von Harry Tuttle | 14.05.2013

Die Bemühungen der ägyptischen und tunesischen Islamisten, eine autoritäre Herrschaft durchzusetzen, führen zum Konflikt mit den Gewerkschaften.

Die Bemühungen der ägyptischen und tunesischen Islamisten, eine autoritäre Herrschaft durchzusetzen, führen zum Konflikt mit den Gewerkschaften.

Die ägyptische Eisenbahnbehörde und das Transportministerium hatten schon mehrere Versuche unternommen, den Streik der Lokführer zu brechen. Zunächst sollten Lokführer des Militärs eingesetzt werden, doch es stellte sich heraus, dass keine gab. Auch der Plan, pensionierte Lokführer anzuheuern, scheiterte, und die Zugführer der Kairoer Metro weigerten sich, obwohl ihnen Prämien angeboten wurden.

So wurden am 7. April 2013 97 Lokführer von der Armee zwangsrekrutiert, in einer Kaserne in Sharabiya eingesperrt und dem Militärrecht unterstellt. „Wir bekamen weder zu essen noch zu trinken“, berichtet Mohammed Khalil. „Wir mussten den Soldaten Geld geben, damit sie und Nahrungsmittel und Getränke kaufen.“ Solidaritätsproteste und Klagen zwangen das Militär, die Inhaftierung nach 24 Stunden aufzuheben. Allerdings müssen die Streikenden mit einer Anklage rechnen.

Die unabhängige Gewerkschaftsbewegung, die Ende Januar 2011, noch während des Aufstands gegen Hosni Mubarak, auf dem Tahrir-Platz in Kairo gegründet wurde, steht möglicherweise schon wieder vor der Illegalisierung. Die neue, von den Islamisten – der den Muslimbrüdern nahestehenden „Partei für Freiheit und Gerechtigkeit“ und der salafistischen „Partei des Lichts“ – durchgesetzte Verfassung sieht nur eine Gewerkschaft pro Branche vor. Es ist daher wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Islamisten versuchen, regimetreuen Pseudogewerkschaften die alleinige legale Vertretung der ArbeiterInnen zuzusprechen. „Die Regierung Mursi bekämpft Streikende härter und repressiver als das Mubarak-Regime“, urteilt der Lokführer Ashraf Mumtaz.

Islamistische und uniformierte Kapitalisten

Obwohl es zwischen dem Militär und der islamistische Regierung Konflikte gibt, sind sie sich im Kampf gegen die unabhängige Gewerkschaftsbewegung einig. Das Offizierskorps ist der größte „Privatunternehmer“ des Landes, unzählige Betriebe gehören dem Militär, das Schätzungen zufolge bis zu einem Drittel der Wirtschaft kontrolliert. Die Muslimbruderschaft wird von Angehörigen der oberen Mittelschicht und Unternehmern dominiert, sie propagiert eine paternalistische „islamische Wirtschaft“.

Problematisch ist derzeit jedoch weniger die ideologische Bindung. Das Zinsverbot, der Kernpunkt der „islamischen Wirtschaft“, ist vornehmlich eine Buchhaltungsfrage: der Gewinn des Anlegers muss formal einem bestimmten Geschäft zugeordnet werden, um nicht als Zins zu erscheinen. Dieses Verfahren beherrschen längst auch westliche Banken, die diese Form des Investments für muslimische KundInnen anbieten. Überdies gibt es keine ernsthaften Bestrebungen, Zinsgeschäfte, auf die auch die international vernetzte islamistische Bourgeoisie angewiesen ist, in Ägypten zu unterbinden.

Unverkennbar ist jedoch die Bemühung, eine neue Form autoritärer Herrschaft durchzusetzen. Dabei kämpft die islamistische Regierung an zwei Fronten: gegen die Jugend- und Demokratiebewegung auf der Straße und gegen die Gewerkschaftsbewegung in den Betrieben. Die unabhängige Gewerkschaftsbewegung ist nicht explizit laizistisch, viele Mitglieder sind muslimische Konservative. Doch als Interessenvertretung der Lohnabhängigen und somit potentiell stärkste Gegenmacht gerät sie zwangsläufig in Konflikt mit den Herrschenden.

Das zeigt sich trotz einiger bedeutender Unterschiede auch in Tunesien. Im gewerkschaftlichen Dachverband Union Générale Tunisienne du Travail (UGTT) gab es unter der Diktatur Ben Alis neben Staatsfunktionären immer auch eine kämpferische Fraktion. Deshalb kam es nach der Revolution nicht zur Neugründung eines Verbandes, der Widerspruch prägt die UGTT bis heute. Die islamistische Partei al-Nahda dominiert die Regierung, gewann bei den Wahlen jedoch nicht die Mehrheit und ist deshalb auf Koalitionspartner angewiesen.

Schläger gegen GewerkschafterInnen

Die Islamisten setzen Schlägertrupps ein. So wurde Anfang Dezember 2012 eine Kundgebung vor dem Hauptquartier der UGTT in Tunis überfallen. Der Gewerkschaftsverband drohte mit einem Generalstreik, der jedoch nach Verhandlungen mit der Regierung abgesagt wurde. In den Wochen zuvor war die Polizei mit großer Brutalität gegen eine Generalstreik in Silana vorgegangen. Mitte April 2013 konnte die UGTT einen Erfolg verzeichnen, mit einem Streik wurde die französische Firma Téléperformance unter anderem gezwungen, Entlassene wieder einzustellen und höhere Löhne zu zahlen. Doch auch die tunesische Gewerkschaftsbewegung wird weiterhin bedroht.

Der Islamismus hat sich in Ägypten und Tunesien als religiös verbrämte Variante kapitalistischer Elendsverwaltung erwiesen. Der offensichtliche Machthunger der neuen Herrschenden und ihre Unfähigkeit, für eine Verbesserung der Lebensverhältnisse zu sorgen, haben ihre Popularität erheblich gemindert. Die Opposition auf der Straße und in den Betrieben ist stark genug, autoritäre Tendenzen zu bremsen. Der revolutionäre Prozess dauert an, und für den Kampf um Demokratie und soziale Gerechtigkeit w
ird die Gewerkschaftsbewegung von entscheidender Bedeutung sein.


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