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Innenpolitik

Für 10 EUR Mindestlohn kämpfen!

Von D.B. | 01.07.2006

Der DGB hat auf seinem Bundeskongress die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn beschlossen. Die niedrige Höhe der Forderung von 7,50 € birgt allerdings enorme Gefahren. Die soziale Bewegung und die Linke in den Gewerkschaften müssen mit einer eigenen Kampagne dagegenhalten. Der DGB lehnte lange die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ab.

Der DGB hat auf seinem Bundeskongress die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn beschlossen. Die niedrige Höhe der Forderung von 7,50 € birgt allerdings enorme Gefahren. Die soziale Bewegung und die Linke in den Gewerkschaften müssen mit einer eigenen Kampagne dagegenhalten.

Der DGB lehnte lange die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns ab. Der Grund: Ein akzeptabler Mindestlohn ist ein indirektes Eingeständnis, dass viele Tarifverträge mit Zustimmung der Gewerkschaften Billiglöhne absegnen, Löhne nämlich, von denen mensch nicht leben kann. Billiglöhne sind nach den Kriterien der OECD solche, die unter 50% des Einkommensdurchschnitts liegen. Alles unter 1442 € im Monat sind demnach Armutslöhne.

Inzwischen ist der Druck so groß geworden, dass der DGB mit dem billigen Verweis auf die Verteidigung der Tarifautonomie völlig unglaubwürdig geworden ist. Wann hätte jemals die gesetzliche Bestimmung des Mindesturlaubs von 24 Tagen die Gewerkschaften daran gehindert, bessere Tarifverträge abzuschließen?
Aber auch das, was der DGB heute fordert, ist weder ausreichend noch praktikabel. Ein niedriger Mindestlohn birgt sogar die Gefahr, dass die unmittelbar darüber liegenden Löhne unter Druck geraten. Denn kaum hatte im letzten Jahr Ver.di die Forderung von 7,50 € beschlossen, da bekam sie Unterstützung z. B. von der ostdeutschen Bauindustrie. Der Verband geht davon aus, dass der gesetzliche Mindestlohn, so er unter den gegenwärtigen Kräfteverhältnissen zustande kommt, unter dem Mindestlohn der Bauindustrie liegen wird. Mindestlohn ist also noch lange nicht automatisch ein akzeptabler Mindestlohn und schon gar nicht muss er ein Fortschritt für die Masse der heutigen BilliglöhnerInnen sein. Gerade auf die Höhe kommt es an.
DGB-Kampagne
Die gegenwärtige Debatte – und mehr noch die vom DGB für den Herbst angekündigte Kampagne – ist also höchst zweischneidig. Wenn es der Linken in den Gewerkschaften und der sozialen Bewegung nicht gelingt, hier ausreichend Druck zu machen, wird am Ende der Kampagne eher eine Niederlage als ein Fortschritt stehen. Wichtig ist es, dass die engagierten Kräfte überhaupt die Bedeutung dieser Frage für Millionen direkt und indirekt Betroffener begreifen. Denn sowohl der Gewerkschaftsbürokratie wie auch der SPD und den regierungsnahen Sozialverbänden kommt es lediglich darauf an, dem weiteren Absinken der Billiglöhne, der so genannten „Schmutzkonkurrenz“, einen gewissen, aber in Wahrheit nur formalen Riegel vorzuschieben. Eine Anhebung der gesamten Billiglöhne auf ein akzeptables Niveau ist nicht ihre Sorge.

So hat der TVöD vom September 2005 bestehende Entgelttabellen abgesenkt. Angelernte im Gebäudereinigerhandwerk hatten bis dahin 8,60 € verdient. Nach der Einführung des abscheulichen TV für die Zeitarbeit, mit dem bekanntlich EU-Recht in Sachen equal pay umgangen wird, wurde dort der Lohn auf 7,68 € abgesenkt, um den Lohnabstand zum Tarifvertrag Zeitarbeit zu verringern. Dieser neue Lohn von 7,68 € (= monatlich 1286 €) liegt jetzt gut 300 € unter der vorher gültigen niedrigsten Entgeltgruppe im Öffentlichen Dienst.
Ebenfalls abgesenkt wurden die untersten Entgeltgruppen im TV Service Hessen (TVöD, besonderer Teil Krankenhäuser). Hier werden die Entgeltgruppen 1–3 (1286 bis 1995 €) des TVöD in einem Entgeltbereich A auf einheitlich 1286 € reduziert und die EG 4 von 1602–2081 auf einheitlich 1499 € abgesenkt.
Niedrigen Mindestlohn fordern, weil nur so realistisch?
War die PDS letztes Jahr anfänglich noch für 1400 Euro im Monat eingetreten, fordert sie heute – im Verbund mit der WASG – nur noch 8 Euro/Stunde (also bei einer 37 Stundenwoche nur noch 1280 Euro/Monat). Die Begründung: Damit erreiche mensch netto die Pfändungsfreigrenze (s. Kasten 2). Kann das unser Maßstab sein? Müssen wir nicht berücksichtigen, was die KollegInnen tatsächlich für ein menschenwürdiges Leben benötigen und welche Auswirkungen ein zu niedriger Mindestlohn auf das gesamte Lohngefüge hat?
Der DGB will die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie nicht gefährden. Aber nicht nur das: Die Einführung des Billigentgeltes im TVöD vom September letzten Jahres wurde damit begründet, dass damit Privatisierungen verhindert werden. Das Gegenteil ist der Fall: Damit werden diese Bereiche für die Kapitalverwertung erst richtig attraktiv gemacht.

Der DGB will keine nennenswerten Konfrontationen. 7,50 € werden als realistisch durchsetzbar eingeschätzt. Er hofft, dass mit Überzeugungsarbeit und einer allgemeinen Öffentlichkeitskampagne, d. h. ohne großen Kampf, die Politik von der Richtigkeit überzeugt werden kann.
Schon die Argumentation ist bezeichnend: Der Mindestlohn habe in den anderen Ländern keine Rezession verursacht und es seien auch keine Arbeitsplätze wegen des Mindestlohns abgebaut worden. Beides stimmt zwar, aber das darf nicht unser Maßstab sein. Denn in fast allen Ländern (mit der einzigen möglichen Ausnahme von Luxemburg, wo er heute 1403 € beträgt) sind auch dort die Mindestlöhne zu niedrig (Frankreich mit vergleichbaren Lebenshaltungskosten: 7,61 €/h).

Was nutzt ein Mindestlohn, wenn ich trotzdem 50 bis 60 Stunden in der Woche arbeiten muss, um ein akzeptables Einkommen zu erzielen? Wenn ich so lange arbeite, kann ich schon aus diesem Grund kaum am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. Ganz abgesehen von dem niedrigen Entgelt, das Menschen in Teilzeitbeschäftigung mit Billiglöhnen erzielen.

Die Argumentationsebene der KollegInnen muss eine andere sein: Was brauchen wir und was wollen wir? Wie organisiere ich den Kampf, welche Kampfmittel setze ich ein, wer kann als Bündnispartner gewonnen werden?
Hinzu kommt, dass der DGB sich letztlich immer noch nicht vom branchenbezogenen Mindestlohn verabschiedet hat. Wer wirklich einen akzeptablen Mindestlohn durchsetzen will, muss auch die Einhaltung, bzw. die Überprüfung im Auge haben. Dies geht gerade nur dann, wenn keinerlei Ausnahmen möglich sind oder gar nach Branchen oder Tätigkeiten unterschiedliche Mindestlöhne existieren. Es geht um das, was der Mensch hier und heute in der BRD zum Leben braucht und das steht natürlich in engem Zusammenhang zur Forderung nach einem garantierten Mindesteinkommen, das wir auch für die Menschen fordern, die keine Arbeitsstelle haben, denn für die Folgen dieses Wirtschaftssystems sind nicht die Lohnabhängigen verantwortlich.
Eigenständige Kampagne der sozialen Bewegung erforderlich

Bauen wir eine breite Kampagne all der Kräfte auf, die nicht auf das Einlenken der PolitikerInnen bei „realistischen“ Forderungen setzen, son
dern auf die Kampfkraft der Kolleginnen mit und ohne Job. Gerade die Hartz-IV-Betroffenen, denen die Optimierung von Hartz IV, d. h. die Verschärfungen der Verfolgungsbetreuung droht, wie auch die LeiharbeiterInnen und Millionen anderer NiedriglöhnerInnen werden dafür ansprechbar sein.
Inhaltliche Fixpunkte einer solchen Kampagne müssten sein:

  • • 410 € gesetzlich für alle Branchen und ganz gleich für welche Tätigkeit
  • • grundsätzliche Opposition gegen alle 1-€-Jobs und alle Zumutungen von Hartz IV
  • • gegen Leiharbeit
  • • Erklärung, warum 8 € oder 7,50 nicht akzeptabel sind
  • • Jährliche Anpassung an die steigenden Lebenshaltungskosten

 

Billiglöhne
Seit Jahren dehnt sich der Niedrig­lohnsektor beständig aus. Nach Berechnungen des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der Hans-Böckler-Stiftung/DGB (WSI) können Millionen von Menschen trotz Vollzeitstelle nicht mehr am gesellschaftlichen Leben teilnehmen. 12,1% der abhängig Beschäftigten bekommen nur Armutslöhne (d. h. weniger als die Hälfte des Durchschnittsverdienstes) und 23,8% bekommen nur prekäre Löhne (50-75% des Durchschnitts). Unter den heutigen Bedingungen hilft der Verweis auf Tarifverträge nicht weiter. Laut WSI gibt es hunderte von Tarifbereichen mit Bruttolöhnen unter 9 €/Stunde bzw. 1500 €/Monat. In 130 Bereichen wird weniger als 6 €/Stunde (bzw. 1000 €/Monat) brutto gezahlt. Nach unseren Berechnungen erhalten mindestens 5 Mio. Vollzeitbeschäftigte weniger als 10 €/Stunde und von den 5,14 Mio. Teilzeitstellen sind es wahrscheinlich mehr als die Hälfte, die weniger als 10 €/Stunde verdienen.
Mit diesem Geld kann mensch sich nicht gesund ernähren, seine Kinder an der Klassenfahrt teilnehmen lassen oder gar in Urlaub fahren. Kinobesuche oder Familienfeste vom Kindergeburtstag bis zur Silberhochzeit werden hier nur auf Sparflamme abgehalten oder finden einfach nicht mehr statt.
Verstärkt wird diese Zwangslage durch die Arbeitsmarktgesetze Hartz I-IV (verschärfte Zumutbarkeitsregeln, 1-€-Jobs etc.): Wenn die Unterstützungszahlung für Bedürftige nur 345 Euro beträgt, dann sind auf dem Markt auch regelrechte Hungerlöhne durchsetzbar. Die Spirale dreht sich also immer mehr nach unten.

Pfändungsfreigrenze
Billiglöhne sind ganz besonders solche Löhne, die netto trotz Vollzeitstelle noch nicht einmal die Pfändungsfreigrenze erreichen: Diese liegt im Juli 2006 gemäß § 850 ZPO bei 985,15 € (= Grundfreibetrag ohne Unterhaltsverpflichtung; bei Unterhaltsverpflichtungen entsprechend höher).
Hauptsache „tariflich geregelt“
Dass die Gewerkschaftsbürokratie selbst vor dem Absenken von schon bestehenden Billiglöhnen nicht zurückschreckt, Hauptsache, es ist „tariflich geregelt“ zeigt die Revision des gültigen Tarifvertrags zur Leiharbeit (BZA-TV), der die betroffenen Gewerkschaften DGB als Verhandlungsführerin sowie Ver.di, IGM und IG BAU am 30.5.06 in der Form vom 28.3.06 endgültig und ohne Not zugestimmt haben. Der Bundesverband der Zeitarbeitsfirmen freut sich: „Gleichzeitig wurde ein Verhandlungsergebnis erzielt, welches das bestehende Tarifwerk BZA ändert und damit die Wettbewerbssituation der BZA-Mitgliedsunternehmen verbessert […]: 1. Sobald der Mindestlohntarifvertrag durch Rechtsverordnung für allgemeinverbindlich erklärt wurde, tritt eine neue Entgeltgruppe M in Kraft, die den Mindestlohn widerspiegelt (z. B. € 7,00 in 2006). Diese Entgeltgruppe M ist dann anwendbar für alle Neueinstellungen, die Tätigkeiten ohne Anlernzeit ausführen für die ersten fünf Beschäftigungsmonate.“
Sollte dieser Mindestlohn dann zum 01.01.2007 als allgemeinverbindlich erklärt werden, also wenn die Regierung die Zeitarbeit ins Entsendegesetz aufnimmt, würden LeiharbeiterInnen im Jahr 2007 einen geringeren Mindestlohn bekommen, als jetzt im IGZ- und BZA-TV vereinbart,  nämlich 6,22 Euro/Std. im Osten und 7,15 Euro/Std. im Westen. Der vom DGB geforderte Mindestlohn von 7,50 würde dann bei den LeiharbeiterInnen nicht vor 2009 (also erst in 2 1/2 Jahren) gelten.

 

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