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Frankreich: Eine Regierung auf antisozialem Feldzug

Von Basile Pot | 01.07.2007

Die satte Mehrheit im neuen Parlament wird bis zum Beginn der Sommerpause am 15. Juli nicht untätig bleiben. Zunächst für die Reichen: Der bereits im Januar auf 60% abgesenkte Spitzensteuersatz wird auf 50% runter gefahren. Diejenigen, die Vermögensteuer bezahlen, können bis zu 50 000 € der Versteuerung entziehen, wenn sie diesen Betrag in einen „Klein- oder Mittelbetrieb“, in eine Stiftung oder eine Universität investieren. Auch die Erbschaftssteuer soll abgeschafft werden.

Die satte Mehrheit im neuen Parlament wird bis zum Beginn der Sommerpause am 15. Juli nicht untätig bleiben. Zunächst für die Reichen: Der bereits im Januar auf 60% abgesenkte Spitzensteuersatz wird auf 50% runter gefahren. Diejenigen, die Vermögensteuer bezahlen, können bis zu 50 000 € der Versteuerung entziehen, wenn sie diesen Betrag in einen „Klein- oder Mittelbetrieb“, in eine Stiftung oder eine Universität investieren. Auch die Erbschaftssteuer soll abgeschafft werden.

Mit der hanebüchenen Begründung, den Lohnabhängigen größere Einkünfte zu ermöglichen, sollen die Unternehmer für die Stunden, die über der 35-Stundenwoche liegen, keine Sozialbeiträge mehr zahlen. Damit wird die 35-Stundenwoche generell in Frage gestellt. Diejenigen Familien, die aufgrund des mangelnden Sozialwohnungsbaus und der Spekulation unter der Wohnungsnot leiden, können künftig Eigentümer ihrer Wohnung werden, indem sie die Zinszahlungen für die dafür aufzunehmenden Kredite (für die sie dann ein Leben lang zu zahlen haben) von ihrer Steuerschuld abziehen. Diese Maßnahmen werden den Staat 15 Mrd. € kosten. Vorgestellt wird dieses Projekt vom Minister für die Verwaltung der Staatsfinanzen Eric Woerth, der offiziell damit beauftragt ist, die Staatsschuld zu verringern. Dies wird übrigens zum Teil dadurch angestrebt, dass die Hälfte der in Rente gehenden Staatsbeamten nicht ersetzt wird.

Die Regierung Fillon wird auch ein Gesetz zur Autonomie der Universitäten verabschieden, ein weiterer Schritt zu ihrer Privatisierung. Im Rahmen der Umsetzung ihrer Politik der Null Toleranz, die sich sehr an die der USA anlehnt, wird die Justizministerin Rachida Dati einen Gesetzentwurf vorlegen, der eine Mindeststrafe von 10 Jahren für diejenigen vorsieht, die schon zweimal vor einem Richter standen, und ein weiteres Gesetz, das die volle Strafmündigkeit von 18 auf 16 Jahren herabsetzt.

Gesundheitsministerin Roseline Bachelot hat für 2008 ein Gesetz zur Kostenerstattung angekündigt, was dazu führen wird, dass ein Teil der Kosten für Arztbesuche, Medikamente oder Krankenhausaufenthalte nicht mehr erstattet werden. Diese Maßnahme wird als ein „unvermeidbares Element der Übertragung von Verantwortung auf die Patienten und nicht als eine Maßnahme zur Sanierung der Krankenversicherung“ dargestellt. Es ist bezeichnend, dass Martin Hirsch, einer derjenigen vier Unterstützer von S. Royal, die sich heute in der Regierung befinden (und der übrigens bis zu seiner Ernennung als Minister Präsident der sehr angesehenen Stiftung Emmaüs war) zuerst seine Opposition zu dieser Maßnahme verkündet hat und sie jetzt akzeptiert, weil er einige Abmilderungen für die Ärmsten erreicht hat.
Weitere Angriffe kommen
Soweit die bisher bekannten Vorhaben bis zum Sommer. Aber es sind schon weitere Angriffe angekündigt, wie etwa das Gesetz zur Sicherstellung eines Minimums öffentlicher Transporte und die Einschränkung des Streikrechts für Beamte; die Umorganisierung des Öffentlichen Dienstes; die Autonomie von Bildungseinrichtungen (die unter dem Etikett „Wahlfreiheit“ in Konkurrenz zu einander treten sollen); die Privatisierung der Gesundheitseinrichtungen; die „Vereinfachung“ der Entlassungsverfahren; das Infragestellen der Garantien, die mit dem normalen unbefristeten Arbeitsvertrag verbunden sind (und zwar mit Hilfe eines neuen „einheitlichen und vereinfachten“ Vertragstyps); die Abschaffung besonderer Regelungen für den Renteneintritt, der in der Vergangenheit für bestimmte Berufsgruppen erreicht wurde, wie etwa die Eisenbahner oder die Beschäftigten der Elektrizitätswerke EDF (Renteneintritt mit 55), ein unverzichtbarer Schritt bevor eine allgemeine Anhebung des Renteneintrittsalters durchgesetzt wird: Fillon, die zentrale Gestalt bei der Rentenreform von 2003, wurde nicht zufällig zum Ministerpräsidenten ernannt. Er soll das zu Ende führen, was mit dem großen Streik vom November-Dezember 1995 verhindert wurde. Wenn die Immigration nicht erwähnt wurde, dann deshalb, weil unmittelbar nach der Präsidentschaftswahl mit der Einrichtung des Ministeriums der „nationalen Identität“ – dessen Hauptaufgabe es ist, die Abschiebungen zu forcieren – sich die Lage dramatisch verschlechtert hat.

Diese Flut heftiger Schläge entzückt den Unternehmerverband Medef und alle Privilegierten. Sie wollen die jetzt noch vorhandenen Illusionen derjenigen nutzen, die bald feststellen werden, dass ihre Chefs sie eher entlassen werden, als ihnen Überstunden anzubieten. Und sie nutzten die Verwirrung derjenigen, die die fehlende Reaktion der PS und – schlimmer noch – der Gewerkschaften beklagen.
KandidatInnen für die Kämpfe
„Die Niederlage der Sozialistischen Partei bei den Präsidentschaftswahlen ist das Resultat ihrer Anpassung und ihres Arrangements mit dem Kapitalismus! Es ist inzwischen schwer geworden, zwischen den Programmen der Rechten und der Linken zu unterscheiden. Wir können nicht mit der Führung der PS rechnen, wenn es darum geht, eine Linke aufzubauen, die den ArbeiterInnen genauso verpflichtet ist, wie die Rechte von Sarkozy es gegenüber den Unternehmern und Couponschneidern ist. Was wir brauchen ist eine andere linke Politik, eine antikapitalistische Politik, 100% unabhängig von der PS, ein Linke des Kampfes.“

Das war die Achse der LCR [oder Ligue]  bei ihrer Wahlkampagne. Wir haben 471 KandidatInnen und genauso viele ErsatzkandidatInnen aufgestellt. Wir waren noch nie so präsent: Junge und Alte, Bauern, Maurer, höhere Angestellte, ArbeiterInnen, Krankenschwestern – eine große Vielfalt an Berufsgruppen, ganz gemäß dem Publikum, das die Ligue heute erreicht. 10% der KandidatInnen waren nicht Mitglieder der Organisation und haben in die Kandidatur eingewilligt, weil sie sich in dem dynamischen und von der PS unabhängigen Profil wieder fanden, das in der Kampagne zur Präsidentschaftswahl entwickelt wurde, und weil sie deshalb die Ligue unterstützen wollten. Die Ligue hat in etwa 40 Wahlkreisen je nach den örtlichen Gegebenheiten Gemeinschaftskandidaturen unterstützt: Vertreter der KP, der Komitees um José Bové und in einem Département der LO. Für eine Organisation mit 3000 Mitgliedern ist das eine gewaltige Anstrengung.
Große Beteiligung
Während der Kampagne zu den Präsidentschaftswahlen hatten wir eine Rekordbeteiligung bei den zentralen Wahlveranstaltungen. Jetzt bei den Parlamentswahlen haben wir uns darauf konzentriert, mehr als 300 öffentliche Veranstaltungen mit den KandidatInnen durchzuführen, vor allem in den kleinen St
ädten, Dörfern und den Stadtvierteln, wo wir normalerweise selten oder gar nicht hinkommen, aber wo die Wahlergebnisse für Olivier [Besancenot, den Präsidentschaftskandidaten der LCR] besonders markant waren. Diese Versammlungen wurden hauptsächlich von den KandidatInnen geprägt, aber auch von den Menschen, die in letzter Zeit zu uns gestoßen sind, und die auf diese Weise die Gelegenheit hatten, sich „die Ligue anzueignen“. Abgesehen von drei Veranstaltungen, an denen Olivier teilnahm (er arbeitet wieder und steht deswegen nicht ständig zur Verfügung), war die Beteiligung an den Versammlungen großteils auf diejenigen beschränkt, die bereits begonnen haben, sich gemeinsam mit uns zu engagieren oder die gekommen waren, um zu sehen, wie sie das künftig machen können. Die Durchführung dieser Veranstaltungen ist Ausdruck einer dynamische Organisation, die nach außen gewandt ist und die sich aufbaut. Anlässlich einer großen Fernsehsendung hat Olivier eine Erklärung abgegeben, die ein bedeutendes Echo erfuhr: „Es gibt viele AktivistInnen, GewerkschafterInnen, die nicht unbedingt Revolutionäre sind, die bisweilen auch nicht organisiert sind, die sich als Waisenkinder einer neuen Partei fühlen, die antikapitalistisch ist, unabhängig von dem gegenwärtigen institutionellen System und die immer noch die Gesellschaft verändern will.“

Wir erhielten 530 000 Stimmen, dass sind 2,1% und in absoluten Zahlen 66% mehr als 2002 trotz gesunkener Wahlbeteiligung (die gesamte revolutionären Linke erzielte 3,3 %, darunter LO mit 218 264 Stimmen = 0,86 %; zum Vergleich die Zahlen von 2002: LCR, 320 467 ; LO, 301 984). Die KP, die schon Abgeordnete hatte und immer noch eine beträchtliche lokale Verankerung aufweist, erzielte 4,5%, ebenfalls eine Steigerung gegenüber 2002. Mensch darf nicht vergessen, dass mit dem extremen Mehrheitswahlrecht, ohne die geringste Korrektur durch Elemente des Verhältniswahlrechts, die nicht-institutionellen Parteien ohne jegliche Repräsentanz bleiben.

Die Rekordwahlenthaltung von 40% bringt zum Ausdruck, dass der erste Wahlgang als recht bedeutungslos angesehen wurde. Diesen Umstand hat großenteils die PS zu verantworten, die verzweifelt dafür geworben hat, linke Abgeordnete zu wählen, um ein Gegengewicht zu Sarkozy zu haben. Aber es war ihr eigner Ministerpräsident Jospin, der seinerzeit dafür sorgte, dass die Parlamentswahlen unmittelbar nach den Präsidentschaftswahlen stattfanden, weil er selbst die volle Macht haben wollte, falls er 2002 zum Präsidenten gewählt worden wäre. Eine Umkehr der Ergebnisse beim zweiten Wahlgang (am 17. Juni) war von vornherein unwahrscheinlich.

Die Gewerkschaftsführungen sind wie gelähmt und von der Vorstellung beherrscht, dass diese Regierung legitimiert ist und ihre Maßnahmen durch die Wahlen abgesegnet wurden. Die Regierung wird jetzt versuchen, diese Gewerkschaftsführungen für ihre antisozialen Angriffe zu gewinnen. Unsere Aufgabe im Herbst wird es sein, die breitest mögliche Mobilisierung vorzubereiten.


Basile Pot ist Mitglied der nationalen Leitung der LCR (franz. Sektion der IV. Internationale).

 

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