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Frankreich: Die NPA vor ihrer Gründung

Von Adrien (Bordeaux) | 01.01.2009

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Für Ende Januar ist der Gründungskongress der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) geplant. Der Prozess, der zu dieser Gründung führte, begann vor 18 Monaten. Olivier Besancenot erhielt als Präsidentschaftskandidat der LCR 2007 mehr als 4 % der Stimmen (1,5 Mio.). Er rief im Juni 2007, wenige Wochen nach der Wahl, zur Gründung einer neuen Partei auf.

Für Ende Januar ist der Gründungskongress der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) geplant. Der Prozess, der zu dieser Gründung führte, begann vor 18 Monaten. Olivier Besancenot erhielt als Präsidentschaftskandidat der LCR 2007 mehr als 4 % der Stimmen (1,5 Mio.). Er rief im Juni 2007, wenige Wochen nach der Wahl, zur Gründung einer neuen Partei auf.

Einige Monate später, beim XVII. Kongress der LCR im Januar 2008, nahm sie mit sehr großer Mehrheit diese Orientierung an, die darauf abzielte, die LCR in einer größeren Organisation aufzulösen, die alle antikapitalistischen AktivistInnen zusammenfassen sollte, die an diesem Prozess teilhaben wollen. Seitdem haben sich etwa 400 örtliche Komitees gebildet. Darin finden sich ArbeiterInnen, junge Menschen, Erwerbslose, prekär Beschäftigte. Sie werden in wenigen Wochen über die Gründung der NPA befinden.
Ein Parteiaufbauprozess von unten
Im Gegensatz zur kürzlich gegründeten Linkspartei (Parti de Gauche, PdG), die von Jean-Luc Mélenchon innerhalb von drei Wochen nach seinem Austritt aus der Sozialistischen Partei im November 2008 gebildet wurde, hat sich die NPA vor ihrem Gründungskongress aufgebaut. Im Juni 2008 waren wir auf der ersten nationalen Zusammenkunft in Saint Denis etwa tausend Delegierte der lokalen Komitees. Danach hat die LCR diesen Prozess vorangetrieben und zur Bildung weiterer Komitees aufgerufen. Der Nationale Arbeitsausschuss (CAN), in dem die LCR-GenossInnen bewusst die Minderheit stellen, widerspiegelt die Vielfalt des Konstituierungsprozesses und hat ab diesem Zeitpunkt den weiteren Prozess organisiert.

Heute, etwa ein Monat vor dem Gründungskongress wissen wir noch nicht, wie viele sich diesem Prozess angeschlossen haben werden. Dennoch scheint es sicher zu sein, dass es etwa zweimal so viele sein werden wie die heutigen 3 500 GenossInnen der LCR. In einigen Departements, in denen die LCR wenig verankert war, ist der Fortschritt sehr bedeutsam (dort hat sich die Mitgliederzahl zum Teil vervierfacht, verfünffacht oder gar verzehnfacht). In den Regionen mit starker LCR-Verankerung hat sich die Mitgliederzahl zumindest verdoppelt. Seit einigen Jahren schon hat die LCR auch in den Teilen der Bevölkerung Mitglieder gewonnen, die meistens weniger geneigt sind, sich zu organisieren: Frauen, junge Menschen, Beschäftigte in der Privatindustrie, in ländlichen Gebieten, also nicht mehr nur in den großen Städten. Der Kongress wird diesen Prozess nicht abschließen, sondern eine neue Phase der Diskussion im Rahmen der vorläufigen Texte eröffnen und wird, so hoffen wir, zahlreiche weitere AktivistInnen dazu bewegen, sich uns anzuschließen.

Die Mehrheit der Komitees hat sich territorial nach Regionen, Stadtteilen usw. konstituiert. Einige Dutzend Komitees wurden auf Universitätsebene oder in Schulen gebildet. Daneben gibt es noch einige Komitees in gewissen Branchen, die meisten im Gesundheitsbereich und im Bildungssektor. Einige sind in bestimmten Betrieben gebildet worden oder bei den Eisenbahnern. In 15 % der Fälle gab es dort vorher keine Struktur oder Mitglieder der LCR.

Die meisten neuen Mitglieder der NPA machen hier ihre ersten politischen Erfahrungen, was von dem erfolgreichen Aufbauprozess von unten zeugt. Andere kommen von der PS oder der KP, enttäuscht von dem Veränderungsprozess der Parteien der traditionellen Linken, oder sie kommen von der antineoliberalen Linken, von ökologischen Strömungen oder von den Libertären. Die Fraktion Étincelle von Lutte Ouvrière und die Gauche Révolutionnaire vom KAI1 haben sich ebenfalls angeschlossen. Viele neue Mitglieder sind GewerkschaftsaktivstInnen (CGT, FSU, Solidaires) oder kommen aus Stadtteilkomitees und/oder haben in den letzten Jahren an sozialen oder globalisierungskritischen Bewegungen teilgenommen. In der Jugend waren vor allem die sozialen und politischen Erfahrungen der letzten Jahre – so z. B. die Bewegung gegen den Ersteinstellungsvertrag CPE 2006 – bestimmend: zahlreiche neue AktivistInnen der NPA haben sich dort hervorgetan und bringen heute ihre Erfahrungen in das Kollektiv ein. Die insgesamt noch geringe Repräsentanz von Frauen (etwa 35 %, ähnlich der der LCR) ist noch eine bedeutsame Schwäche der neuen Partei.

In der sehr stark vom Arbeitermilieu geprägten Region Mulhouse zum Beispiel haben sich einige Komitees auf Initiative von ehemaligen Mitgliedern von LO, der KP, ehemaliger türkischer und kurdischer Maoisten, Libertäre und GewerkschafterInnen gebildet. Es sind heute etwa hundert sehr gut verankerte GenossInnen, vor allem im Bereich der Automobilindustrie (PSA-Konzern).
Ein Kongress, der die Debatten öffnet und nicht schließt
Die NPA ist schon vor ihrer Gründung politisch aktiv. Ihre AktivistInnen sind in der Kampagne gegen die Privatisierung der Post und im Kampf gegen die Entlassungen engagiert. Sie haben in Bordeaux und in Douai an der Seite der Beschäftigten in der Automobilindustrie demonstriert. Die Jungen in der NPA sind aktiv an der Schüler­Innenbewegung beteiligt, die in der ersten Dezemberwoche gegen die neue Reform des Ministers Xavier Darcos entstand. Die Diskussionen des Gründungskongresses werden sich im Wesentlichen auf vier Texte konzentrieren: Der erste enthält die provisorischen Statuten der NPA, der zweite umreißt die politische Orientierung in der gegenwärtigen von der Krise beherrschten politischen und sozialen Lage, der dritte Text – die „Gründungsprinzipien“ – bildet das Programm der Organisation und der vierte, kürzere Text betrifft die anstehenden Europawahlen. Dieser Kongress wird nicht über alle möglichen Fragen entscheiden: Das Programm wird nicht vollständig entwickelt sein, es definiert die Prinzipien der NPA, ohne dabei alle strategischen Fragen im Zusammenhang mit der Machteroberung und des Übergangs zum Sozialismus beantworten zu können. Die Partei, die wir aufbauen, ist dennoch sehr wohl definiert und abgegrenzt gegenüber anderen Projekten: Es ist eine Partei, die die Notwendigkeit der „revolutionären Veränderung der Gesellschaft“ bekräftigt, die die wesentlichen Kennzeichen des Sozialismus des 21. Jahrhunderts definiert und die es kategorisch ablehnt, sich an der Verwaltung des kapitalistischen Systems zu beteiligen.

Inzwischen entwickelt sich auch mehr und mehr die Struktur der NPA, gemäß den praktischen Bedürfnissen, und zwar auf der Ebene der Koordinationen und der Leitung wie auch auf Orts­ebene. In Bordeaux beispielsweise gab es zuerst eine monatlich tagende Koordination, die sich aus je zwei Vertretern der Komitees zusammensetzte. Dann wurde ein lokaler Arbeitsausschuss gebildet, der als provisorische örtliche Leitung fungiert. Überall wird intensiv über interne Demokratie diskutiert. Viele neue Mitglieder,
ganz gleich ob sie aus Organisationen der traditionellen Linken kommen oder noch nie organisiert waren, wollen ein wirklich demokratisches politisches Instrument aufbauen, das sowohl zentralisiert ist als auch eine lokale Autonomie bei der Durchführung der Kampagnen ermöglicht. Deshalb wird der Kongress auch über ein proportionales Rotationsprinzip der gewählten Leitungen diskutieren, wenn es gegensätzliche politische Orientierungen gibt, wie auch über die geschlechterparitätische Zusammensetzung. Die LCR bemüht sich, ihr politisches Erbe der NPA zu vermitteln, im Besonderen in den schon existierenden Kommissionen. Aber die NPA hat sich im Verlauf der Monate schon ein eigenes Erbe entwickelt, vor allem dort, wo sie neue nationale Kommissionen geschaffen hat, die den qualitativen Umbruch von der LCR zur NPA und die Ausweitung der Interventionsfelder belegen: Kommission der armen Stadtviertel, Kommission der Prekären, usw.; die ökologische Krise scheint in der neuen Partei eine noch größere Rolle zu spielen als vorher und prägt alle Texte und Debatten.

Mehrere Fragen sind noch in der Diskussion. Die erste betrifft die internationalistischen Beziehungen der LCR und der NPA. Um nicht von vornherein eine Strömung in der NPA zu bilden, hat die LCR schon angekündigt, dass sie sich unmittelbar vor dem NPA-Gründungskongress auflösen wird, dass sie aber ihre Beziehungen zur IV. Internationale behalten wird. Aber die Orientierung wird noch diskutiert und wird erst beim – wahrscheinlich letzten – Kongress der LCR entschieden. Die neue Partei, die nicht Sektion der IV. Internationale werden kann, wird noch über die Art ihrer Beziehungen zur Vierten beraten müssen und dabei weiterhin das Ziel im Auge haben, eine breitere Internationale aufzubauen, die alle antikapitalistischen Kräfte zusammenfasst. Eine letzte Debatte bewegt die NPA, die Kampagne zu den Europawahlen. Wir werden noch darüber entscheiden, ob wir eine gemeinsame Kampagne mit der europäischen antikapitalistischen Linken durchführen oder besser mit den Kräften, mit denen wir 2005 gemeinsam die Kampagne gegen die EU-Verfassung geführt haben, die KP und die neue Linkspartei.
Nach dem Gründungskongress werden die Debatten weitergehen. Die NPA bleibt ein offenes Projekt für alle Strömungen und AktivistInnen, die sich uns noch anschließen wollen.

1    Komitee für eine Arbeiterinternationale, ihre dt. Sektion ist die SAV


Übersetzung: D.B.

 

NPA verschiebt ihren Kongress
Selten hat eine Organisation so freudig ihren Gründungskongress verschoben. Der für den 30.1 – 1.2.09 vorgesehen Kongress wird um mindestens eine Woche verschoben (auf den 6.-8 Februar). Die Gewerkschaften haben für den 29. Januar zu einem großen Streik aufgerufen. Die Verschiebung erfolgt aus zwei Gründen: Erstens gehören gerade die NPA-Mitglieder zu den eifrigsten AktivistInnen gewerkschaftlicher Kämpfe, sie wollen mit all ihren Kräften an diesem wichtigen Tag dabei sein (eventuell bleibt es ja nicht nur bei einem Tag). Zweitens hätten die Delegierten teilweise ganz erhebliche Probleme, überhaupt mit öffentlichen Verkehrsmitteln rechtzeitig nach Paris zu kommen. Die Verschiebung zeigt, was der NPA am wichtigsten ist: die aktive Unterstützung des außerparlamentarischen Kampfes.
D. B.

 

 

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