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Länder

Frankreich: Aufstehen gegen den Neoliberalismus

Von MiWe | 01.04.2005

Mit über einer Million TeilnehmerInnen fand in Frankreich am 10. März der dritte landesweite Aktionstag in diesem Jahr statt.

 
Die – gemessen am 5. Februar – Verdoppelung der Zahl der Streikenden und DemonstrantInnen in 150 Städten war in erster Linie auf die zunehmende Einbindung der Beschäftigten der Privatindustrie in die Proteste zurückzuführen, aber auch auf die Schrittmacherfunktion der seit über 6 Wochen mobilisierenden SchülerInnen und LehrerInnen.
Zudem schüren die neuesten Wirtschaftsdaten die allgemeine Unzufriedenheit unter der Bevölkerung. Auf der einen Seite verzeichnen die Unternehmen Rekordgewinne – die Großbanken bspw. steigerten 2004 ihre Profite um bis zu 93%, Michelin erhöht nach einer Nettogewinnsteigerung von 60% die Dividenden um 35% usw. Auf der anderen Seite herrschen Lohnabbau (nach amtlicher Statistik fiel allein in 2003 die Kaufkraft um 0,3%), steigende Arbeitslosigkeit (erstmals seit 5 Jahren wurde wieder die Marge von 10% überschritten) und zunehmende Prekarisierung der Lohnarbeit (die Zahl der MindestlohnempfängerInnen stieg 2004 wieder auf über eine Million). Demnach standen auch die Forderungen nach Lohnerhöhung und Arbeitszeitverkürzung sowie gegen Entlassungen und Flexibilisierung im Mittelpunkt der Mobilisierungen, zu denen die gesamte Gewerkschaftsbewegung aufgerufen hatte.
Ein heißer Frühling
Nach fast zwei Jahren relativer Reglosigkeit hat die Protestbewegung wieder das Niveau des Frühjahrs 2003 erreicht. Und genau dies treibt Regierung und Unternehmer um: die Angst vor einem heißen Frühjahr. Zu tief sitzt noch das Trauma von 1995, als die Regierung Juppé nach in der Nachkriegsgeschichte beispiellos langen Streiks gegen die Sozial„reformen“ stürzte. Und zu sehr befürchten sie eine Beeinflussung des am 29. Mai stattfindenden Referendums über die EU-Verfassung durch die Proteste – quasi als Misstrauensvotum gegen die Regierungspolitik, aber auch getragen von der Angst vor Verwässerung der Sozialstandards und Zunahme der Teuerung. Genährt wird diese Sorge durch die jüngsten Umfrageergebnisse, wonach sich die Akzeptanz dieser Verfassung im freien Fall befindet: nur noch 56% BefürworterInnen – ein Minus von 11% binnen weniger Wochen.
Da die Regierung ihre Existenz mit dieser auch für das gesamte EU-Projekt entscheidenden Frage verknüpft, beeilt sie sich jetzt mit „Zugeständnissen“. Gegen den ausdrücklichen Willen der Unternehmerverbände (v.a. des Medef) und Teilen der Regierungsparteien signalisiert Raffarin Lohnerhöhungen im Öffentlichen Dienst und mahnt die Unternehmer, gleichzuziehen. Im Gegenzug fordert er freilich eine Modernisierung des Dienstrechts ein – eine Position, mit der sich auch die Medef anfreunden kann, da sie kostenneutral ist. Im Moment haben all diese „Zugeständnisse“ eher noch symbolischen Charakter – wie zuvor schon der erzwungene Rücktritt von Gaymard.
Da auch die Gewerkschaftsführungen unter Druck ihrer Basis stehen, werden die Aktionen ihre Fortsetzung finden. Und es wird eine wechselseitige Beeinflussung mit der breiten Kampagne für die Ablehnung der EU-Verfassung geben, die sich auf die Gewerkschaften (mit Ausnahme der CFDT), die gesamte radikale Linke, die KPF und die Minderheit in PS und Grünen stützt. Indem diese Kampagne die europaweiten Zusammenhänge der neoliberalen Politik und die Offizialisierung dieser Konkurrenzgesellschaft (Jeder gegen Jeden) durch die Verfassung ins allgemeine Bewusstsein bringt, kann es tatsächlich gelingen, beides zu kippen: die Regierung und die EU-Verfassung.

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