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Formierungsprozesse

11.06.2003

junge welt vom 11.06.2003
Mit der Europäischen Antikapitalistischen Linken formiert sich links von der Sozialdemokratie und ihren Juniorpartnern eine neue Kraft
 
Nicht nur die EU rückt näher zusammen, auch auf der Linken tut sich einiges. Während diese Beilage in den Druck geht, tagt im Athener Institut Nicos Poulantzas die sechste Konferenz der Europäischen Antikapitalistischen Linken (EAL). Die EAL besteht aus Parteien und Organisationen, die aus Neuformierungen der sozialistischen Linken in europäischen Ländern hervorgegangen sind oder solche Neuformierungen betreiben. Den beteiligten Parteien ist gemeinsam, daß sie eine plurale Einheit der Linken anstreben und zumeist bereits einen gewissen Einfluß erreicht haben. Zu den Gründern des Projekts gehören der portugiesische Linksblock, die Rot-Grüne Einheitsliste Dänemarks, die Scottish Socialist Party (SSP) und die französische LCR (Sektion der IV. Internationalen, die im letzten Jahr in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen mit ihrem Kandidaten Olivier Besancenot 4,2 Prozent der Stimmen erhielt). Beteiligt sind weiter die Socialist Alliance Englands, linke Strömungen der spanischen Izquierda Unida (Vereinigte Linke), SolidaritéS Genf, Dei Lenk (Die Linke) Luxemburgs und die ÖDP (Partei der Solidarität und der Revolution) der Türkei. Seit der Entscheidung der PRC (Rifondazione Comunista), der italienischen Partei der Kommunistischen Neu(be)gründung, bei der EAL mitzumachen (ohne dafür ihre Beziehungen mit den traditionellen »Bruderparteien« bzw. deren Nachfolgeorganisationen aufzugeben) und seit dem spektakulären Erfolg der SSP am 1. Mai dieses Jahres bei den Wahlen zum schottischen Autonomieparlament (7,5 Prozent der Stimmen, sechs Parlamentarier statt ein Abgeordneter) macht die EAL viel von sich reden, obwohl in Deutschland bislang wenig über ihre Existenz und Positionen berichtet wird. Als Beobachter wurden die sozialistischen Parteien der Niederlande (maoistischen Ursprungs, vier von 75 Abgeordnete in der ersten und neun von 150 Abgeordneten in der zweiten Kammer des Parlaments), die Englands und Irlands (trotzkistische Organsiationen, die wegen taktischer Differenzen aus den dortigen Socialist Alliances ausgetreten sind) und auch die deutsche DKP eingeladen.

Aufgrund der argen Zersplitterung der Linken in Griechenland gab es jedoch keine griechische Teilnahme an der Konferenz. Dennoch wählte man aus Anlaß des Thessaloniki-Gipfels (20. und 21. Juni) als Tagungsort Athen, da die EAL-Konferenzen in aller Regel in engem Zusammenhang mit Mobilisierungen gegen den kapitalistischen und neoliberalen Formierungsprozeß der EU und ihren Gipfeln stattfinden. Immerhin konnte die EAL bewirken, daß sich im Anschluß an ihre Konferenz die verschiedenen Strömungen der griechischen radikalen Linken zu einem »Workshop« zusammensetzen wollten. Es sollte beraten werden, wie links etwas Größeres und Wirksameres aufgebaut werden kann.

Die Athener Konferenz sollte indes eine Bilanz der jüngsten Antikriegsbewegung ziehen und über die neue Welle des Sozialabbaus und der Gegenwehr diskutieren sowie die nächsten Schritte der EAL beraten. Besonders spannend ist in diesem Zusammenhang die Frage der EU-Wahlen, die 2004 nach dem Beitritt der zehn neuen Mitglieder stattfinden werden. Zwar gibt es keine Möglichkeit, eine gemeinsamen Liste für alle oder mehrere Staaten aufzustellen, dennoch soll versucht werden, ein länderübergreifendes Profil für alle EAL-Mitglieder, die in ihren Ländern kandidieren, zu entwickeln. Denkbar wäre ein gemeinsames Logo, doch wichtiger sind die Inhalte: Angestrebt ist eine erkennbare gemeinsame politische Plattform, Kernaussagen sollen in Form von Slogans bündig zusammengefaßt werden: »Menschen statt Profite!«, »Gegen Privatisierungen und Sozialabbau!«, »Gegen Interventionskriege!«, »Soziale Rechte sind Menschenrechte!« lauten einige der Vorschläge, die in Athen vorgelegt wurden. Weitere wichtige Programmpunkte einer Plattform werden die Solidarität mit dem Süden und Osten, die Gleichstellung der Frauen, die Rechte der Flüchtlinge und Migranten sowie die Forderung nach der ökologischen Umgestaltung und an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Produktion sein.

Besonders wichtig ist der EAL auch die Frage der Demokratie. Im Dezember soll auf dem römischen EU-Gipfel die EU-Verfassung verabschiedet werden. Der Konvent, der den Entwurf dazu erarbeitet hat, hat ebenso wenig demokratische Legitimitation wie die übrigen EU-Institutionen, die in dieser Hinsicht hinter die Maßstäbe bürgerlich-parlamentarischer Demokratie zurückfallen. Die EAL tritt für einen breiten demokratischen Diskussionsprozeß der Bevölkerung Europas darüber ein, welche Verfassungsziele und welche Institutionen ein neues Europa haben soll, und für eine »Beteiligungsdemokratie«, in der die Bevölkerung an den schicksalhaften politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen wirklich teilhat.

Der Entwurf einer Erklärung, über den die EAL-Konferenz diskutieren wird, stellt die neuen Angriffe auf die sozialen Errungenschaften in den Mittelpunkt und versucht, an den Erfolgen der massiven Antikriegsbewegung anzuknüpfen. Die EAL geht davon aus, daß wir in einer Periode »umfassender politischer Klärungsprozesse« stehen. Das betrifft insbesondere die Bilanz neoliberal gewendeter sozialdemokratischer Regierungspolitik und den politischen Raum, der deshalb links von der Sozialdemokratie entstanden ist. Die EAL wendet sich gegen die Beteiligung an sozialdemokratischen Regierungen sowie gegen den institutionellen Rahmen der NATO und der EU. Sie stellt die Mobilisierungen der Protestbewegung gegen die neoliberale Globailsierung und deren Verbindung mit den Abwehrkämpfen der abhängig Beschäftigten und ihrer Gewerkschaften in den Mittelpunkt ihrer Tätigkeit.

In Deutschland hatte sich bereits am 10. Mai ein »Ableger« der EAL konstituiert: Auf Einladung der internationalen sozialistischen linken (isl, Gruppe der IV. Internationale) trafen sich in Frankfurt/M. die DKP, die PDS-Linke des Geraer Dialogs, SAV und Linksruck und gründeten die »FreundInnen der EAL in Deutschland«.

Manuel Kellner

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