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Europäisches Sozialforum in Paris: Zweites Sozialforum setzt die Gewerkschaften unter Druck

Von D. Berger | 01.12.2003

Das zweite Europäische Sozialforum (ESF), das vom 12. -16. November in Paris zusammenkam, hat keine Berge versetzt, und neue Impulse für die Gesamtbewegung gab es erst mal nicht. Aber die Veranstaltung blieb nicht ohne Wirkung.

Das zweite Europäische Sozialforum (ESF), das vom 12. -16. November in Paris zusammenkam, hat keine Berge versetzt, und neue Impulse für die Gesamtbewegung gab es erst mal nicht. Aber die Veranstaltung blieb nicht ohne Wirkung.

Zweifellos ist die große Vielfalt und Buntheit der Antiglobalisierungsbewegung eine Bereicherung für das Lager der „Altermondialisten", also derjenigen, die die eine andere Welt wollen. Sicher sind nicht alle diese Gruppierungen und Personen von vornherein wirklich systemoppositionell, aber das breite Forum, dass allein aufgrund seiner Größe thematisch und politisch so unterschiedliche Gruppen anzieht, erlaubt es doch, eigene Vorstellungen vielen anderen politisch Aktiven zu vermitteln. Auf Hunderten von Veranstaltungen, die an 4 Tagen abliefen, wurden auch bei diesem ESF teilweise scharfe Debatten geführt und oft zumindest neue Ansichten oder Blickwinkel vermittelt.

Aber in der beziehungslosen Vielfalt kommt auch eine Beschränkung zum Ausdruck: Es fehlt zurzeit das inhaltlich einigende Band, das die Gesamtbewegung über die Massenveranstaltung Kongress und anschließende Demo hinaus beflügeln könnte. Für dieses Manko gibt es unterschiedliche Verantwortlichkeiten:

  1. Von der Struktur her ist es sehr fraglich, ob ein Kongress mit jeweils Dutzenden von Parallelveranstaltungen zu „Ergebnissen" kommen kann, die wenigstens teilweise für die Gesamtbewegung verwertbar oder zumindest vermittelbar sind. Hier fehlen nachvollziehbare gemeinsame Referenzpunkte bzw. auch die eine oder andere gemeinsame Fragestellung. Es ist zweifelhaft, ob das gegenwärtige inhaltliche Konzept (überspitzt: Vielfalt ist unsre Tugend) ausreicht, in Zukunft weiter solche Veranstaltungen erfolgreich durchzuführen. Erfolgreich ist ein solcher Kongress, wenn zumindest ein größerer Teil der BesucherInnen ihn auch inhaltlich als fruchtbar empfindet. Größe und Vielfalt alleine tragen nicht weit und erschöpfen sich bald. Nach den ersten zwei Europäischen Sozialforen braucht es jetzt ein neues Konzept.
  2. Speziell die geographisch sehr dezentralisierten Veranstaltungsorte (an 4 verschiedenen Plätzen in und bei Paris) machten das Wechseln zu anderen Foren und den Austausch von Informationen zwischen den Veranstaltungen sehr schwierig. Dies ist weniger die Schuld der OrganisatorInnen in Paris, denn die zuerst zugesagte Unterstützung durch die Region St. Denis wurde auf Druck der konservativen Regierung stark reduziert. Dennoch muss diese Lehre bei der Organisierung des nächsten ESF (wahrscheinlich im nächsten Herbst in London) berücksichtigt werden.
  3. Es fehlt eine transparente demokratische Strukturierung des Kongresses. Die überwältigende Mehrheit der BesucherInnen hatte keine Möglichkeit in irgendeiner Weise auf den Verlauf oder etwa auf die Beschlussfassung am Ende des Kongresses einzuwirken oder auch nur ausreichend informiert zu werden. Zu sehr waren wesentliche Bestandteile der gesamten Struktur, des Ablaufs und der Schlussresolution im Kreis der Organisatoren „ausgekaspert" und für die Masse der TeilnehmerInnen nicht transparent gemacht. Mit anderen Worten: Diese Bewegung muss sich für solche Veranstaltungen ein Delegiertensystem entwickeln. Werden die AktivistInnen der Bewegung nicht in ihrer Breite beteiligt, wird sich diese Art von Veranstaltung bald totlaufen.

Druck auf Gewerkschaften
Dennoch hat das ESF eine enorme Bedeutung für die politische Entwicklung auf europäischer Ebene. Ohne diese massive Beteiligung am Kongress (am Freitag waren es über 50 000) und ohne die große Demonstration zum Abschluss (ca. 200 000) würden sich die europäischen Gewerkschaften nicht unter Zugzwang gesetzt sehen. Die Beteiligung von offiziellen Gewerkschaftsvertretern war noch relativ bescheiden, aber selbst die deutschen Vertreter (etwa Schmitthenner und Bsirske) anerkannten (zumindest verbal) die Bedeutung der Bewegung gegen das neoliberale Europa. Die französische CGT war zwar deutlich präsent, agierte aber weit unter ihren Möglichkeiten. Inhaltlich am besten waren die französischen SUD-Gewerkschaften, die FSU, Cobas und FIOM aus Italien sowie spanische, griechische und britische Gewerkschaftsvertreter.

Lange vor dem Kongress stand fest, dass man zum Abschluss zu einem europaweiten Aktionstag gegen den Sozialabbau aufrufen will. Die wenigen anwesenden hohen Vertreter bedeutender Gewerkschaften drängten darauf, die Festlegung des Termins (angestrebt wird der März) nicht an Ort und Stelle zu treffen, sondern es dem EGB zu überlassen, dessen Vorstand am 4.12. zusammenkommt. Es war sicherlich kein Fehler dieses taktische Zugeständnis zu machen. Beschließt der EGB keinen Aktionstag werden Antiglobalisierungsbewegung und viele Einzelgewerkschaften (v. a. in F, GB, I, E und GR) zu einem solchen Tag aufrufen. Der 1. November in Berlin war schließlich ein Beleg dafür, dass die Zeiten vorbei sind, als noch galt: Ohne DGB und EGB läuft nichts.

Die klassenkämpferischen Elemente müssen jetzt an der Verstetigung der Bewegung arbeiten. Einzelne Aktionstage werden nicht reichen, wieder in die Offensive zu kommen.

 

Termine
31. Januar 2004:
Europaweiter Aktionstag für die Rechte der „illegalen“
ImmigrantInnen, die Schließung der Abschiebknäste usw.
20. März 2004:
Europaweiter (und US-) Aktionstag gegen die Kriegspolitik (nicht nur der USA) aus Anlass des ersten Jahrestages des Beginns des Irakkriegs.
März 2004:
Europaweiter Aktionstag gegen Sozialabbau
9. Mai 2004:
Demo in Irland gegen die EU-Verfassung.

 

 

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