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Innenpolitik

Es ginge auch ganz anders – Medizin ohne Profit

Von Thadeus Pato | 01.10.2006

„Unter Gesunden ist der Arzt überflüssig”, schrieb Seneca. Wenn es nach der Zahl der Medizinprofessionellen geht, dann sind wir alle schwer krank. Es ist allerdings nicht verwunderlich, dass eine Gesellschaft, deren Ziel es zu sein scheint, zum höheren Zwecke der Profitmaximierung die allgemeine Gesundheit mit Individualverkehr, lebensfeindlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, Konsumwahn, Kriegstreiberei und Umweltzerstörung nachhaltig zu untergraben, ein riesiges System zum (unzulänglichen) Abpuffern dieser selbst erzeugten Probleme benötigt und alimentiert.

„Unter Gesunden ist der Arzt überflüssig”, schrieb Seneca. Wenn es nach der Zahl der Medizinprofessionellen geht, dann sind wir alle schwer krank. Es ist allerdings nicht verwunderlich, dass eine Gesellschaft, deren Ziel es zu sein scheint, zum höheren Zwecke der Profitmaximierung die allgemeine Gesundheit mit Individualverkehr, lebensfeindlichen Arbeits- und Lebensbedingungen, Konsumwahn, Kriegstreiberei und Umweltzerstörung nachhaltig zu untergraben, ein riesiges System zum (unzulänglichen) Abpuffern dieser selbst erzeugten Probleme benötigt und alimentiert.

Somit ist die beste Gesundheitspolitik eine vernünftige Gesellschaftspolitik und alle Versuche, das bestehende Medizinsystem zu optimieren, werden ohne letztere zum Scheitern verurteilt sein.

Aber natürlich werden sich auch in einer vernünftiger verfassten Gesellschaft die Menschen weiter den Knöchel brechen, Blinddarm- und Mandelentzündungen bekommen, die eine Behandlung und kompetente BehandlerInnen erfordern. Die Frage ist, wie mensch ein – dann erheblich kleineres – Medizinsystem organisiert, das tatsächlich in der Lage ist, die grundlegenden Forderungen nach allgemeinem, gleichen und sicheren Zugang zu ihm zu garantieren.

Dazu müsste man den Trend umkehren: Statt immer mehr Marktelemente, Konkurrenz und Gewinnanreize ins System einzuführen, müssten diese beseitigt werden. Im übrigen ist es in diesem Zusammenhang interessant, dass die sonst auf Umfrageergebnisse so versessenen PolitikerInnen ausgerechnet bei diesem Thema die öffentliche Meinung völlig ignorieren: Seit Jahrzehnten gibt es eine stabile absolute Mehrheit in der Bevölkerung, die eine Abschaffung der Solidarversicherung ablehnt und der Meinung ist, dass das Profitprinzip in der Medizin nichts zu suchen hat. Das ist ja auch einer der Gründe, warum die marktförmige Zurichtung des Systems nur scheibchenweise vorgenommen wird.
Einheitsversicherung
Als erstes müsste die derzeitige Zwei- bis Dreiklassenmedizin beseitigt werden. Das wäre theoretisch auch jetzt schon ganz einfach zu bewerkstelligen: Einheitsversicherung einschließlich Verbot von Privat- und Zusatzversicherung, damit Aufhebung der Pflichtversicherungs- und der Beitragsbemessungsgrenze wären die ersten Schritte. Aber das allein würde das Problem der privaten Aneignung der von den Versicherten aufgebrachten Gelder durch die üblichen ProfiteurInnen nicht lösen. Es muss noch einiges dazukommen. Es gibt beispielsweise bereits Länder, in denen die Versicherung die Arzneimittelproduktion selbst in die Hand nimmt, allerdings aus patentrechtlichen Gründen nur für die sogenannten Generika, d.h., die Mittel, bei denen der Patentschutz ausgelaufen ist. Hier wäre die Lösung, den Patentschutz auf Medizinprodukte grundsätzlich abzuschaffen.

Forschung müsste ausschließlich an der Selbstverwaltung der Versicherten zugeordneten Einrichtungen und Universitäten stattfinden – die Ergebnisse kämen dann ungeschmälert denen zugute, die diese Forschung mit ihren Einkommen – seien es Steuern oder Beiträge – bezahlen. Das hätte außerdem noch den Vorteil, dass die Forschungsgelder nicht primär in die Bereiche fließen würden, in denen der höchste Gewinn erzielt, sondern der höchste Nutzen im Sinne einer rational an den wirklichen Krankheitsproblemen ausgerichteten Politik gestiftet wird. Forschung an neuen Techniken zur Fettabsaugung gäbe es dann nicht mehr…

Im übrigen wäre dann auch der Druck genommen, neu entwickelte Methoden und Substanzen schnellstmöglich auf den Markt zu bringen (und die Einführung durch offene und verdeckte Bestechung der ÄrztInnen zu fördern – Summen, die die BeitragszahlerInnen ebenfalls bezahlen, da sie in den Preis eingerechnet sind) und damit die mit schöner Regelmäßigkeit auftretenden Einführungen von gefährlichen und/oder nutzlosen Mitteln und Techniken, die in kurzer Zeit kommentarlos oder per Skandal vom Markt wieder verschwinden, zu verhindern.
Dezentralisierte Struktur
Natürlich dürfte ein solches egalitäres, der Maschinerie der Gewinnmaximierung entzogenes System der Krankenversorgung nicht zu einem patientenfern von BürokratInnen verwalteten Moloch werden. Das heißt, dass die Struktur der Selbstverwaltung entgegen dem derzeitigen Trend nicht noch weiter zentralisiert, sondern im Gegenteil regionalisiert und dezentralisiert würde und die Entscheidungen z.B. über Forschungsvorhaben, Versorgungsdichte etc. transparent gemacht und demokratisch getroffen werden müssten.

Was in den letzten zwanzig Jahren stattgefunden hat und mit dem neuesten Gesetzesvorhaben weitergeführt wird, ist allerdings der Weg in die entgegengesetzte Richtung. Gesund ist dieser Weg nicht – da können Sie eines der in der Apotheke erhältlichen Gifte darauf nehmen! 

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