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Betrieb & Gewerkschaft

Erst werden die Beschäftigten verraten, dann der Name verkauft

Von Carlo | 01.07.2005

Unter den Beschäftigten des Elektromulti Siemens herrscht Aufregung. Dass der Konzern beim Verkauf der Handy-Sparte an BenQ seinen Namen mit abgibt und dafür insgesamt 450 Millionen Euro drauflegt, erscheint vielen als Vorbote weiterer Grausamkeiten. Siemens-Chef Klaus Kleinfeld hatte nämlich bei der Vorlage der Quartalszahlen im April bekräftigt, dass er in 18 bis 24 Monaten von jedem der zwölf Siemens-Geschäftsfelder eine Gewinnmarge von acht bis elf Prozent erwartet. Im laufenden Geschäftsjahr wird aber nur ein Drittel aller Siemenssparten dieser Vorgabe gerecht werden.

In Deutschland sind von dem Deal ?mit BenQ rund 3.700 KollegIn-?nen betroffen, fast die Hälfte von ihnen in Kamp-Lintfort, die anderen in München, Bocholt, Ulm und Leipzig. BenQ wurde 1984 unter dem Namen Acer Communications & Multimedia gegründet und ist seit Dezember 2001 unter dem jetzigen Namen mit gut 14.000 Beschäftigten in über 40 Ländern u. a. im Bereich Networking and Communications aktiv.
Vor allem Siemens Business Services (SBS), die Beratungssparte für den Einsatz von Informationstechnologie in Firmen, gilt nach dem Verkauf des Mobilfunks als nächste Baustelle. Einen Verkauf halten Analysten zwar für unwahrscheinlich, eher erscheinen Kooperationen möglich. So könnte Kleinfeld versuchen, SBS mit dem IT-Geschäft von Fujitsu-Siemens zusammenzulegen und auszugliedern. Auf diese Weise entstünde ein neuer europäischer Gigant mit einem Umsatzvolumen von zwölf Milliarden Euro. Eine andere Variante wäre eine Kooperation mit dem französischen IT-Dienstleister Atos Origin.
Weil sich die Verantwortlichen erst vom Markt eines Besseren belehren ließen, hatten Konkurrenten wie Samsung oder Sony Ericsson die Nase vorn. Ihre Geräte standen längst in den Shops von T-Mobile, Vodafone, O2 und E-Plus, während man bei Siemens hektisch versuchte nachzuziehen.

Kamp-Lintfort
"Ab Oktober verkaufen wir neue Produkte mit dem Doppel-Logo "BenQ Siemens" oder nur mit dem BenQ-Logo", kündigte BenQ-Chef Lee Kuen-Yao im Interview mit dem Nachrichtenmagazin "Focus" an. Als Teil der Übernahme erhielt BenQ das Recht, die Einzelmarke Siemens 18 Monate lang zu nutzen. Auf die Frage, ob sich die 2000 Beschäftigte zählende Siemens-Fabrik in Kamp-Lintfort (NRW) mit derart teuren Geräten auslasten lasse, sagte Lee: "Ich weiß es nicht. Wir haben das noch nicht ausreichend untersucht."
Ein Kommentar des Deutschlandfunks konstatiert bitter: "? Tarifverhandlungen in Kamp-Lintfort und Bocholt machten Schlagzeilen, die Mitarbeiter der Not leidenden Telefonsparte von Siemens erkauften sich ihre Beschäftigung mit Verzicht auf Weihnachts- und Urlaubsgeld und mit wieder 40 Stunden Arbeit in der Woche ?Die Mitarbeiter sind verraten, der Name verkauft ?"
Und die Perspektive für die "lieben Mitarbeiter"? Der neue wie der alte Eigentümer waren und sind sich einig, dass sie nicht beabsichtigen, deutsches Recht zu brechen. Das ist zwar tröstlich und bedeutet, dass der Übergang nach §613a BGB so etwas wie eine zwölfmonatige Schonfrist bedeutet, nach der alles offen ist. Die KollegInnen insbesondere in der Fertigung müssen sich Sorgen um ihre Zukunft machen.
Die Tarifkommission für die Standorte Kamp-Lintfort und Bocholt hatte im Mai fünf grundlegende Forderungen aufgestellt: Die betroffenen Standorte müssen erhalten, die Beschäftigung der betroffenen Mitarbeiter gesichert werden; die bestehenden Beschäftigungsbedingungen müssen übernommen und die Tarifverträge eingehalten werden; es muss eine langfristige Zukunftsperspektive für das Geschäft vorgelegt werden. IG Metall, Gesamtbetriebsrat und die Betriebsräte wollen an den Standorten versuchen, in den Detailverhandlungen weitere Sicherheiten für die Beschäftigten durchzusetzen, beispielsweise in den Punkten Tarifbindung und Absicherung von Pensionsansprüchen. Sollte es hier wesentliche Schwierigkeiten geben, so etwa die Einschätzung eines Münchner Betriebsrats, "dürften wohl etliche Mitarbeiter ihrem Übertritt in die neue Firma nach §613a BGB widersprechen."
1. Unsere Karten sind besser, als es aussehen mag: Verlagerungsdrohungen sind vielfach ein Bluff, mit dem nur schlechtest-mögliche Bedingungen erpresst werden sollen – so viel wie sie androhen, wollen sie gar nicht verlagern; bei entsprechender Gegenwehr gibt es also gute Chancen, sich erfolgreich zur Wehr zu setzen und die eigenen Forderungen durchzusetzen;
2. Letztlich können wir nur erfolgreich sein, wenn wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen: sowohl auf lokaler, nationaler wie auch auf internationaler Ebene müssen wir zusammen kämpfen, wenn wir dem global agierenden Kapital unter seinen heutigen Renditezwängen noch wirksam Widerstand entgegen setzten wollen. Widerstand ist keineswegs zwecklos, er muss nur gezielt über den Betrieb hinaus organisiert werden – und nicht nur andere Konzernwerke mit einbeziehen, sondern insbesondere auch die Werke, die als "Billigstandorte" gegen uns ausgespielt werden sollen!

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