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Erklärung des RSB zum “Karikaturenstreit” und dem drohenden Angriff der Großmächte auf den Iran

Von RSB | 01.03.2006

Mohammed mit einer Bombe darzustellen, ist purer Rassismus, der ein imperialistisches Überlegenheitsdenken ausdrückt und vermittelt. Die Karikaturen stellen keine Regierungen oder PolitikerInnen dar, sondern zielen in rassistischer Weise auf Menschen, die in ihren religiösen Gefühlen beleidigt und provoziert werden sollen. Es handelt sich um eine völlige Missachtung der tatsächlichen religiösen Gefühle von hunderten von Millionen Menschen, in deren Religion jede Darstellung des Propheten verboten ist. Das ist keine politische Kritik oder sonst etwas Schützenswertes. Dagegen müssen wir alle, auch von nicht-moslemischer Seite aus, protestieren und demonstrieren. Damit kann selbstredend nicht für Zensur plädiert werden. Selbstverständlich lehnen wir auch die rassistischen Gegenreaktionen in moslemischen und anderen Ländern ab…

…Aber nicht alle diese Reaktionen sind rassistisch. Zum Teil kommt in ihnen ein Gefühl des Unterlegenseins, des Verachtetseins zum Ausdruck; ein Gefühl, die ewigen VerliererInnen zu sein, auf deren Religion herumgetrampelt werden kann. Die bei vielen damit verbundene Ohnmacht stärkt wiederum den Glauben an ein besseres Jenseits.

2.
Im Gegensatz zu den Herrschenden in den imperialistischen wie auch in den abhängig gehaltenen Ländern treten wir für eine tatsächliche und nicht nur formale Trennung von religiösen Einrichtungen und dem Staat ein. In Wirklichkeit stellen wir jedoch hierzulande seit Jahren eine Zunahme christlicher Propaganda in staatlichen Medien fest. Wir sind für die vollständige Trennung von Staat und Kirche. Die staatliche Zwangseinziehung der Kirchensteuer gehört ebenso abgeschafft wie die Erwähnung religiöser Bekenntnisse in amtlichen Dokumenten. Staatliche Zuwendungen, Steuervergünstigungen u.ä. für Kirchen und religiöse Gemeinschaften müssen eingestellt werden. Wir sind allerdings tolerant gegenüber dem Recht von Religiösen, sich offen in politischen Parteien zu betätigen wie dies ja mit der Christlich Demokratischen Union (CDU) und der Christlich Sozialen Union (CSU) der Fall ist.

Dem Staat gegenüber muss die Religion Privatsache sein. Dagegen ist für den Revolutionär Sozialistischen Bund die Religion keineswegs Privatsache. Als AnhängerInnen des wissenschaftlichen Sozialismus vertreten wir eine historisch materialistische Weltanschauung. Wir sind der Auffassung, dass religiöses Denken einer wirklichen Emanzipation im Weg steht. Die Hoffnung auf ein himmlisches Jenseits soll die ArbeiterInnenklasse mit den jämmerlichen Zuständen ihres irdischen Diesseits versöhnen. Auch wenn unserer Überzeugung nach alle Religionen der geistigen Versklavung dienen, so rücken wir diese Einsicht nicht in den Vordergrund unserer Politik und machen aus ihr weder ein Ultimatum für Aktionseinheiten noch für den Eintritt in den RSB. Mit Lenin ist uns “Die Einheit des wirklich revolutionären Kampfes der unterdrückten Klasse für ein Paradies auf Erden wichtiger, als die Einheit der Meinungen der Proletarier über das Paradies im Himmel”. Der internationale Kampf der ArbeiterInnenklasse weltweit für eine bessere Zukunft wird sich über alle religiösen und sonstigen Schranken hinwegsetzen. In diesem Zusammenhang stellen wir fest, dass trotz aller religiösen Unterschiede sowohl in den “christlichen” wie in den “moslemischen” Ländern das kapitalistische System herrscht, das für Ausbeutung und Unterdrückung verantwortlich ist.

Auch wenn wir der Religion gegenüber nicht neutral sind, setzen wir uns vehement dafür ein, dass niemand wegen religiöser Einstellungen diskriminiert werden darf. Diese Gefühle zu respektieren, gehört zu unserem Grundverständnis von demokratischen Freiheiten und Menschenwürde. Für unsere materialistischen Überzeugungen treten wir mit sachlichen Argumenten ein, niemals aber mit Unterstellungen oder der Diskriminierung religiöser Empfindungen. Dagegen sind die ausgesprochenen Provokationen der bürgerlichen Medien und PolitikerInnen in den imperialistischen Zentren Europas Teil einer politischen Kampagne. Diese gilt es unmissverständlich anzuprangern und auch von nicht-moslemischer Seite aus zu kritisieren.

3.
Beim “Karikaturenstreit” handelt sich um einen gezielt angezettelten “Kulturkampf”, der von imperialistischer Seite ausgeht. Dabei spielt es nur eine untergeordnete Rolle, dass die dänische Zeitung Jyllandsposten ein ausgesprochen rechtes Blatt ist. Auch andere, die wie die Welt und die TAZ die Karikatur nachgedruckt haben, verbreiten ein im Imperialismus auch kulturell vorherrschendes Überlegenheitsgefühl. Hier sind die Berührungspunkte zum deutschen bzw. europäischen Leitkulturdenken nicht zu übersehen.

Es ist kein Zufall, dass der “Karikaturenstreit” nicht von den USA, sondern von der EU ausgeht. Der “Kulturkampf” soll für “Old Europe” identitätsstiftend wirken. Für die Festigung eines imperialistischen europäischen Gesamtstaates genügt es nicht mehr, nationalbornierte Kampagnen wie “ich bin Deutschland” zu lancieren. Der stumpfe Nationalismus muss auch seine Entsprechung auf EU-Ebene finden.

Seit Jahren verfolgen die europäischen Regierungen eine durch und durch rassistische Migrationspolitik, indem sie Europa zur Festung gegen EinwandererInnen machen. In der BRD werden MigrantInnen aus der Türkei und dem Nahen Osten massiv unter Druck gesetzt, sich in einer ganz bestimmten Form zu “integrieren”, d.h. sich den “christlichen” Werten anzupassen und zu unterwerfen oder außerhalb der Festung Europa zu leben. Die bürgerlichen PolitikerInnen und Medien, die dabei für moslemische EinwandererInnen Gesinnungsprüfungen fordern, sind die gleichen, die im Karikaturenstreit ihre eigene konservative und rassistische Gesinnung zur Schau stellen.

4.
Nachdem die Feindbilder der “kommunistischen” Sowjetunion und China verschwunden sind, brauchten die imperialistischen Blöcke USA und EU neue Gegner. Diese wurden im “Islam” und in “den Moslems” gefunden, die mit “Terrorismus” gleichgesetzt werden. Hier wird der “Kulturkampf” schon längst mit Fernsehserien wie twenty four geführt. Ohne solche Feindbilder könnten die USA die Besetzung des Irak ebensowenig rechtfertigen, wie der vereinigte Imperialismus die Besetzung Afghanistans. Und ohne die Verhetzung der Bevölkerung können die Großmächte den Iran nicht angreifen.

5.
Der Iran ist das nächste Ziel des Imperialismus, das nicht unbedingt kriegerisch besetzt werden soll, aber eventuell mit Raketen angegriffen werden kann. Dabei geht es den Großmächten machtpolitisch um die Aufrechterhaltung ihres Atomwaffenmonopols im Nah
en Osten, das durch den Staat Israel garantiert wird. Würde der Iran über Atomwaffen verfügen, wäre dieses Monopol gebrochen. Die zweite Atommacht im Nahen Osten sind die USA, die den Irak besetzt hat. Geopolitisch geht es dem Imperialismus um die Kontrolle der iranischen Ölreserven.

Uns genügt es nicht, dass der Iran den Atomwaffensperrvertrag unterschrieben hat – im Gegensatz zu Israel, das ihn nicht unterschrieben hat. Wir sagen nicht: Weil Israel Atomwaffen besitzt, soll auch der Iran welche bauen dürfen. Umgekehrt: Wir sind für die Abschaffung aller Atomwaffen weltweit. Das bedeutet: Keine Atomwaffen im Iran, Abschaffung der Atomwaffen Israels und die der Großmächte und Abzug der Atommacht USA aus dem Irak!

6.
Eine der letzten Amtshandlungen der Bundesregierung SPD-Grüne war die Bewilligung des Baus zweier neuer konventioneller U-Boote der Dolphin-Klasse für Israel, das schon drei Boote dieses Typs, alle auf der HDW Kiel gebaut, besitzt. Nach einschlägigen internationalen Militärfachzeitschriften haben diese U-Boote überdimensional große Torpedorohre, um Marschflugkörper – notfalls mit Atomsprengköpfen bestückt – abschießen zu können. Mit der atomaren Aufrüstung Israels wurde und wird die Rüstungsspirale im Nahen Osten direkt von der Bundesrepublik und der EU weiter angeheizt. Der Angriff auf die Atomfabriken im Iran kann von diesen Schiffen aus erfolgen.

Die Große Koalition CDU/CSU-SPD hat dieses U-Boot-Projekt bestätigt. Damit ist die Heuchelei der Bundesregierung, für die sich Kanzlerin Merkel gegen die Atomrüstung des Iran ausspricht, kaum zu überbieten. Würde es die Bundesregierung ernst meinen, dann würde sie weder U-Boote als Atomwaffenträger für Israel in der BRD bauen lassen noch mit 333-Millionen-Euro mitfinanzieren. Auch die NATO-Sicherheitskonferenz, das weltweite Treffen, auf dem die KriegstreiberInnen der imperialistischen Staaten ihre Strategien planen und entwickeln, fand erst jüngst im Februar 2006 in München statt. Thema der diesjährigen Sicherheitskonferenz war u.a. ein möglicher “Präventivschlag” gegen den Iran, den lt. ihrem Koalitionspartner SPD die Kanzlerin Merkel unterstützen soll. Zwei Jahre zuvor hatte Angela Merkel auf der Sicherheitskonferenz für Angriffskriege der EU mit den Worten geworben: Um “den Interessen und Werten der eigenen Nation zu dienen”, müssten wir “alle Mittel in Betracht ziehen […] von freundlichen Worten bis zu Marschflugkörpern”.

Die Drohung des französischen Präsidenten Chirac mit dem Einsatz von Atomwaffen, der “Karikaturenstreit” und die atomare Aufrüstung Israels zeigen, dass die EU den Schulterschluss mit den USA suchen. Für uns gilt es, die politische Verantwortung der Bundesregierung für einen möglichen Angriff auf den Iran herauszustellen und die politische Stoßrichtung gegen die NATO zu richten.

7.
Das heißt nicht, dass an der Anti-Karikaturen-Kampagne der iranischen Regierung und ihrer AnhängerInnen auch nur ein Hauch fortschrittlich wäre. Im Gegenteil: Zunächst möchte das dortige Regime von seinen sozialen Problemen im Inneren ablenken. Der Busfahrerstreik in Teheran wurde mit massiver Polizeigewalt zerschlagen. Dutzende Busgewerkschafter der Vahed befinden sich noch in Haft. Gleichzeitig versucht das iranische Regime, dem drohenden Angriff der Großmächte mit einer eigenen internationalen “Solidaritäts”-Kampagne zuvorzukommen. Das Hochspielen des Atomstreits mit den Westmächten soll die Lebensdauer des nicht gerade stabilen Regimes des Iran verlängern.

8.
Auch in der BRD und in der EU nehmen die Arbeitskämpfe und Proteste gegen den sozialen Kahlschlag zu. Ein untrügliches Zeichen für die Ängste der systembejahenden Kräfte sind die Äußerungen von Repräsentanten der Gewerkschaftsbürokratie, die eine Radikalisierung der Lohnabhängigen “befürchten”. Und in der Tat zeigt der europaweite Streik der Hafenarbeiter und ihr militanter Protest vor dem Europaparlament in Straßburg, dass Wut und Empörung in der ArbeiterInnenklasse über Privatisierung, Lohnsenkung und Arbeitsplatzvernichtung riesengroß sind. Auch hierzulande reagiert der Staatsapparat nicht nur mit Polizeieinsätzen gegen Streikende wie bei Gate Gourmet, Infinion und Giesecke & Devirent sowie mit stetiger innerer Aufrüstung wie dem geplanten Einsatz der Bundeswehr bei der Fußball-WM. Neben der direkten Repression braucht es auch die Ablenkung, sucht die Regierung ein außenpolitisches Ventil, über das die Energie der sozialen Proteste und Abwehrkämpfe abgelassen werden kann. Da kommen der CDU/CSU-SPD-Koalition der “Kulturkampf” und die iranische Atomrüstung gerade rechtzeitig.

9.
Bei einem möglichen Angriff der Großmächte auf den Iran, stellen wir uns auf die Seite des abhängig gehaltenen Landes. Unsere Solidarität gilt den ArbeiterInnen, den Bäuerinnen und Bauern, der städtischen Armut und den unterdrückten Nationalitäten, also der großen Mehrheit der Bevölkerung des Iran gegen einen imperialistischen Anschlag auf die nationale Unabhängigkeit. Besonders treten wir für die Solidarität mit den Busfahrern in Teheran und den Ölarbeitern im irakischen Basra ein, die sich gewerkschaftlich organisieren, und für die Verbindung der Arbeitskämpfe hier und dort. In diesem Sinne ist die marxsche Losung höchst aktuell: “ProletarierInnen aller Länder, vereinigt euch!”. Unsere Solidarität gilt dem Iran unabhängig von seiner Regierung und Regierungsform. Eine Regierung, die dort die Streikenden, die StudentInnenproteste, die Frauenbewegung und die nationalen Minderheiten unterdrückt, kann nur unsere Gegnerin sein.    

10.
Die Lösung sehen wir nicht irgendwelchen “Verhandlungen”, “Kompromissen” oder “Einigungen” zwischen den Großmächten und dem Iran oder zur Beilegung des Krieges im Irak. Krieg und Kriegsgefahr können nur durch die internationale Solidarität gebannt werden. Dazu muss die Antikriegsbewegung ähnlich wie beim Krieg gegen den Irak weltweit den Protest auf den Straßen organisieren. Die gemeinsamen Demonstrationen werden am besten das Bewusstsein fördern, dass die Lohnabhängigen, Ausgebeuteten und Unterdrückten in Berlin und Beirut, in Kopenhagen und Kairo, in Teheran und Tel Aviv, in Los Angeles und Larnaca gemeinsame Interessen haben. Eine Lösung  grundsätzlicher Probleme halten wir allein in einer besseren, sozialistischen Welt ohne Ausbeutung und Unterdrückung für möglich.

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Erklärung des RSB zum “Karikaturenstreit” und dem drohenden Angriff der Großmächte auf den Iran

Von Politisches Sekretariat des RSB | 15.02.2006

Mohammed mit einer Bombe darzustellen, ist purer Rassismus, der ein imperialistisches Überlegenheitsdenken ausdrückt und vermittelt. Die Karikaturen stellen keine Regierungen oder PolitikerInnen dar, sondern zielen in rassistischer Weise auf Menschen, die in ihren religiösen Gefühlen beleidigt und provoziert werden sollen. Es handelt sich um eine völlige Missachtung der tatsächlichen religiösen Gefühle von hunderten von Millionen Menschen, in deren Religion jede Darstellung des Propheten verboten ist. Das ist keine politische Kritik oder sonst etwas Schützenswertes. Dagegen müssen wir alle, auch von nicht-moslemischer Seite aus, protestieren und demonstrieren. Damit kann selbstredend nicht für Zensur plädiert werden. Selbstverständlich lehnen wir auch die rassistischen Gegenreaktionen in moslemischen und anderen Ländern ab…

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