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Ökologie

Entscheidung für Atomkraft stößt auf Widerstand

Von Linda Martens | 01.10.2010

Die Atompolitik der Bundesregierung beschert den Energiekonzernen zusätzliche Milliardengewinne – und der Anti-Atombewegung beträchtlichen Zulauf.

Die Atompolitik der Bundesregierung beschert den Energiekonzernen zusätzliche Milliardengewinne – und der Anti-Atombewegung beträchtlichen Zulauf.

Mit dem von der Bundesregierung Anfang September als „historisch“ gefeierten „Atomkompromiss“ hat die Atomlobby ihre Interessen durchgesetzt. Ein weitgehend geheimer Vertrag mit den vier Energiekonzernen E.ON, RWE, EnBW und Vattenfall regelt nun die Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke in Deutschland über 2022 hinaus. Bundesumweltminister Röttgen, der sich noch wenige Tage zuvor für Laufzeitverlängerungen bis vier Jahre und für Milliardeninvestitionen in die Nachrüstung der Atomkraftwerke ausgesprochen hatte, war am Vertragsabschluss gar nicht beteiligt.
Der „Atomkompromiss“
Ältere Kraftwerke sollen nun acht Jahre länger betrieben werden können, jüngere 14 Jahre, was eine durchschnittliche Laufzeitverlängerung von zwölf Jahren ergibt. Die Basis der Berechnung sind jedoch nicht Jahre sondern Jahresvolllaststunden. Nicht genutzte Reststrommengen sind aufs nächste Jahr oder auf andere Meiler übertragbar. Somit könnte in Deutschland Kernenergie bis 2040 oder sogar deutlich darüber hinaus genutzt werden.

Von 2011 bis 2016 wird eine Kernbrennstoffsteuer erhoben. Geplant sind Einnahmen in Höhe von jährlich 2,3 Mrd. €, also insgesamt knapp 14 Mrd. €. Die Steuer ist als Betriebsausgabe abziehbar. Ihre Höhe ist unabhängig vom Strompreis und damit von den erzielten Gewinnen. Ebenfalls von 2011 bis 2016 zahlen die Atomkonzerne freiwillig jährlich 200 bis 300 Mio. € in einen neu zu schaffenden Ökostrom-Fond ein, insgesamt 1,4 Mrd. €. Ab 2017 sollen die Betreiber langfristig 15 Mrd. € Gewinnausgleich in den Ökostrom-Fond abführen und zwar mehrere Mrd. Euro jährlich. Die Zahlungen von 2011 bis 2016 werden dabei angerechnet.
Wenn die heutigen Ertragsteuern zugrunde gelegt werden, würde die staatliche Abschöpfungsquote damit nach einer Analyse des Ökoinstituts Freiburg bei 44 bis 46 % liegen. Würde, wie vom Bundesfinanzministerium vorgeschlagen, die Gewerbesteuer abgeschafft, verringerte sich die Abschöpfungsquote auf 36 – 40 %.
Milliardengeschenk an die Atomkonzerne
Nach den Berechnungen des Öko-Instituts belaufen sich die zusätzlichen Gewinne aus dem Stromverkauf, summiert für alle vier Betreiber über die gesamte Laufzeitverlängerung, auf mehr als 57 Mrd. € (bei gleich bleibendem realen Strompreis, in Preisen von 2010). Da der Strompreis eher moderat ansteigen wird, werden die Zusatzprofite wohl bei 94 Mrd. € liegen. Hinzu kommen zusätzliche Finanzerträge aus Rückstellungen von über 21 Mrd. €. Nach Abzug von Kernbrennstoffsteuer, Zahlungen in den Ökostrom-Fond und Ertragsteuern bleiben den Energiekonzernen immer noch stattliche 42 Mrd. € bzw. 64 Mrd. € (bei stagnierendem bzw. moderat steigendem Strompreis). Was die Zahlungen in den Ökostrom-Fond betrifft: Die größten Nutznießer des Fonds werden die Energiekonzerne selbst sein.
Weniger statt mehr Sicherheit
Hatte Röttgen erklärt, es müssten 20 Mrd. Euro in die Nachrüstung von AKW investiert werden, um sie annähernd auf den Stand der Technik zu bringen, so beinhaltet das beschlossene Energiekonzept weniger statt mehr Sicherheit als zuvor. Eine zwischen Bund und Ländern vereinbarte Liste umschließt als kurzfristige Maßnahmen nur solche, die einfach durchzuführen sind und ohnehin anfallen. Grundlegende Maßnahmen wurden mit so langen Fristen verbunden, dass sie zum Teil entfallen, wie die Nachrüstung von Altreaktoren. Die Kosten für Nachrüstung sind pro Meiler auf 500 Mio. € gedeckelt. Fallen sie höher aus, kann der Betreiber die Zahlung an den Ökostrom-Fond entsprechend vermindern.

Auch die geplanten Änderungen im Atomgesetz führen zu weniger statt mehr Sicherheit. Ein ursprünglich geplanter Passus, nach dem Atomkraftwerke gegen Terrorangriffe aus der Luft geschützt werden müssen, wurde aus dem Entwurf gestrichen: ein weiteres Milliardengeschenk an die Atomkonzerne.

Bislang müssen alle Nachrüstungen von AKW nach dem Stand von Wissenschaft und Technik erfolgen. Künftig haben die Betreiber nur noch eine „Sorgepflicht“ für sicherheitsrelevante Bereiche. Die „Sorgepflicht“ beinhaltet nur „Bemühungen“, die Sicherheit zu gewährleisten, wobei es nicht erforderlich ist, dass diese „Bemühungen“ auch von Erfolg gekrönt sind. Erste Aktivitäten reichen aus.
Kein Endlager – aber immer mehr Atommüll
Mit dem längeren Laufen der Kernkraftwerke verschärft sich das ohnehin ungelöste Problem der (End-)Lagerung des Atommülls weiter und zwingt den Staat zum Handeln: Die als Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Müll vorgesehenen Salzstöcke Asse II und Morsleben sind abgesoffen bzw. eingestürzt. Fraglich ist, ob Schacht Konrad, ein Erzschacht bei Salzgitter, jemals als Endlager in Betrieb gehen wird. Die Inbetriebnahme war bereits für 1988 geplant und wurde dann mehrfach verschoben – gerade von 2014 auf 2019.

Strahlender Müll häuft sich an in „Zwischenlagern“ und bei den diversen Atomanlagen. Quer durchs Land sind Atommüll-Verschiebetransporte unterwegs. Die „Erkundung“ des Salzstocks Gorleben, die längst ein Ausbau ist, wird wieder aufgenommen, obwohl es massive Zweifel an der Eignung als Endlager für hoch radioaktiven Müll gibt. Russland war und ist als Abladeplatz für deutschen Atommüll im Visier, obwohl bekannt ist, dass die Bedingungen, unter denen der Müll dort gelagert wird, katastrophal sind.
Aufschwung der Anti-Atom-Bewegung
Der Staat war nie zimperlich, wenn es darum ging, seine Atompolitik durchzusetzen. Heute haben die Regierung und ihre Repressionsorgane es aber nicht mehr nur mit den wenigen Aktiven zu tun, die sich schon der Atomkraft widersetzen, seit es sie gibt: Es ist wieder eine große, breite Anti-Atom-Bewegung entstanden.

Bereits die Ankündigung von CDU/CSU und FDP im Bundestagswahlkampf 2009, im Falle eines Wahlsieges den „Atomkonsens“ aufzukündigen, brachte der Anti-Atom-Bewegung Zulauf und ein erhöhtes öffentliches Interesse. Im September 2009 demonstrierten 50 000 in Berlin. Am Tschernobyltag im April 2010 waren es schon insgesamt 140 000 Menschen bei drei regionalen Demonstrationen. Der Beschluss der Regierung, die Laufzeiten der AKW zu verlängern, führte zu einem weiteren Schub für die Bewegung: Am 18.09.2010 verdoppelte sich die Zahl der Demonstrant­Innen in Berlin im Vergleich zum Vorjahr auf 100 000. Auch die regionalen und örtlichen Aktivitäten von Atomkraftgegner­Innen haben deutlich zugenommen.

Widerstand und
Protest richten sich gegen den Einsatz einer lebensfeindlichen Technologie, deren Einsatz zudem die Umstellung der Energieversorgung auf erneuerbare Energieträger blockiert. Die Art und Weise, wie der Wunsch der Mehrheit nach Ausstieg aus der Atomenergie übergangen wird, die Arroganz der Macht, macht viele Menschen wütend. Die Argumente der Regierung für die Laufzeitverlängerung („Brückentechnologie“, Klimaschutz) werden als unhaltbar und vorgeschoben begriffen. Politik zeigt sich als käuflich. Verkauft werden die Interessen der Bevölkerung. Die offensichtlich von den Atomkonzernen diktierte Politik der Bundesregierung und ihre Schamlosigkeit treiben die unterschiedlichsten Menschen auf die Straße. Es sind Menschen aller Altersgruppen: die, die schon von Anfang an bei der Anti-Atom-Bewegung dabei sind und ganz junge, die noch zur Schule gehen. Es machen Menschen mit, die sonst nicht an Demonstrationen teilnehmen, und Organisationen wie Naturschutzverbände, Gewerkschaften und kirchliche Kreise sind dazu gekommen.
Die Grünen
Einen erheblichen Teil der Demonstrant­Innen in Berlin am 18.09.10 stellten die Grünen.
Es ist positiv, wenn sich die Basis der Grünen an den Aktionen gegen Atomkraft beteiligt und die Forderungen der Bewegung unterstützt. Problematisch ist, dass die Grüne Partei versucht, sich als Spitze der Bewegung zu profilieren. Ihre Selbstdarstellung als glaubwürdige Anti-Atom-Partei ist leider sehr erfolgreich. Bei der letzten Forsa-Umfrage zum Wahltrend kamen die Grünen auf 24 % der Stimmen.

Dies ist ein Hohn angesichts der Rolle, die die Grünen in ihrer Regierungszeit in der Atompolitik gespielt haben. Der im Jahr 2000 von ihnen mitgetragene „Atomkonsens“ hatte seinerzeit der Anti-Atom-Bewegung, die den Sofortausstieg gefordert hatte, das Wasser abgegraben und die heutige Situation erst möglich gemacht: 10 Jahre später sind, durch die Verhinderung eines tatsächlichen Ausstiegs und durch zahlreiche Schlupflöcher in ihrem Gesetz, bis auf die beiden ältesten und unrentabelsten Kraftwerke alle Meiler noch in Betrieb. Und die derzeitige Regierung kann die Laufzeiten wieder verlängern.

Gelingt es den Grünen, die Bewegung zu dominieren, werden sie wieder eine „Lösung“ im Sinne des Kapitals ermöglichen.
Die Atompolitik der Bundesregierung muss aber als Angriff auf die Interessen der Arbeiter­Innenklasse und in ihrem Zusammenhang bekämpft werden: Sie ist Umverteilung von unten nach oben, wie es auch der „Rettungsschirm“ für die Banken ist, der heute durch Lohnabhängige und Erwerbslose durch das „Sparpaket“ und die Gesundheits-“Reform“ bezahlt werden soll. Und sie blockiert den durch den Klimawandel dringend erforderlichen Umstieg auf erneuerbare Energien, wobei der Profit der Wenigen mehr Gewicht hat als der Erhalt der Lebensgrundlagen.

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