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Betrieb & Gewerkschaft

Einkommen in der Leiharbeit: Mindestlohn oder Armutslohn?

Von Daniel Berger | 01.12.2004

Nach wie vor sind in Sachen Mindestlohn die Differenzen im DGB groß. Am 18. 11. beschloss mensch festzustellen, sich nicht einig darüber zu sein … und damit ist Münte aus dem Schneider.

Nach wie vor sind in Sachen Mindestlohn die Differenzen im DGB groß. Am 18. 11. beschloss mensch festzustellen, sich nicht einig darüber zu sein … und damit ist Münte aus dem Schneider.

In den innergewerkschaftlichen Debatten haben sich die offiziell vorgebrachten Einwände der Gewerkschaftsbürokratie als überhaupt nicht stichhaltig erwiesen. Vor allem die Begründung, mensch wolle die Tarifautonomie wahren, wirkt geradezu zynisch angesichts der Tatsache, dass gerade die IG Metall schon fast täglich neue betriebliche Abschlüsse zur Unterschreitung des Flächentarifvertrags meldet.
Auf das Argument, gesetzliche Mindeststandards – etwa 24 Tage Urlaub oder Höchstarbeitszeiten – hätte die Gewerkschaften noch nie daran gehindert, bessere Abschlüsse hinzubekommen (etwa 30 Tage Urlaub), hat die Gewerkschaftsbürokratie nichts zu erwidern. Sogar ein Norbert Blüm steht heute – nicht nur in dieser Frage – links von der Gewerkschaftsbürokratie!
Die wahren Gründe liegen woanders und sind doppelter Natur. Zum einen will man angesichts des fortschreitenden Machtverlustes der Gewerkschaften den Tarifverträgen eine neue Bedeutung zukommen lassen. Je mehr in Einzelfällen zu regeln ist, umso mehr braucht man die Gewerkschaft, denn nur sie ist für solche Fragen zuständig. Zu welchen Blüten dieses kurzsichtige Denken führt, zeigt sich an der Linie „Bonus für Mitglieder“, die in NRW gefahren wird.
Zum anderen – und hier liegt der Hauptgrund – soll nicht offenbar werden, dass mensch selbst die Unterschrift unter Tarifverträge gesetzt hat, die Löhne unterhalb des bundesdeutschen Existenzminimums legitimieren. Vor allem der Tarifvertrag für LeiharbeiterInnen ist ein schändliches Machwerk.

Unterschiedliche Bezahlung legitimiert

Die deutsche Gesetzgebung hatte die EU-Richtlinie zu gleicher Bezahlung (equal pay) für gleiche Arbeit in der Weise ausgehebelt, dass sie eine Abweichung zuließ, wenn es einen entsprechenden Tarifvertrag gibt. Als christliche und andere Verbände außerhalb des DGB Tarifverträge deutlich unterhalb der DGB-Tarife abschließen wollten, hatte der DGB nichts Eiligeres zu tun, als diese niedrigen Abschlüsse selbst vorzunehmen, statt den Kampf gegen diese Hungerlöhne zu organisieren. Aufgabe der Gewerkschaften wäre es gewesen, einen konsequenten Kampf dafür zu führen, dass KollegInnen, die in einem Haus die gleiche Arbeit machen, denselben Lohn erhalten, ganz gleich wer der offizielle „Arbeitgeber“ ist.
Am 29.5.03 haben sich die DGB-Gewerkschaften mit der „Interessengemeinschaft Zeitarbeit“ (IGZ) auf einen Tarifvertrag mit 9 Entgeltgruppen (und 3 Entgeltstufen) verständigt. Am 11.6.03 folgte dann der Abschluss mit dem Bundesverband Zeitarbeit (BZA). Die Tarife unterscheiden sich nur unwesentlich, meistens nur um wenige oder gar keinen Cent. Die Masse der betroffenen KollegInnen wird der Gruppe 1, 2 oder 3 zugeordnet, also Tätigkeiten, die „eine kurze Arbeitszeit erfordern“ (TG 1), die eine „Anlernzeit erfordern, die über die in der Entgeltgruppe 1 erforderlichen Anlernzeit hinausgeht“, sowie „Einarbeitung erfordert, für die Kenntnisse und Fertigkeiten erforderlich sind, die durch eine Berufsausbildung vermittelt werden“ (also das, was im Metallbereich der Facharbeiter ist, je nach Tarifgebiet LG VI oder VII).
Dafür gibt es zurzeit 6,85; 7,25 bzw. 8,70 Euro. Das sind satte 4-5 Euro unterhalb des entsprechenden Tariflohns in der Metallindustrie, erst recht wenn die Leistungszulagen mit gerechnet werden.

Weniger Urlaub, weniger Weihnachtsgeld

Auch auf allen anderen Gebieten sind die Leiharbeiter deutlich schlechter gestellt. Sie bekommen im ersten Jahr nur 24 Tage Urlaub, er wird dann stufenweise erhöht und erreicht erst im fünften Jahr 30 Tage. Urlaubs- und Weihnachtsgeld sind mehr als bescheiden: jeweils im zweiten Jahr 150 Euro, im dritten und vierten Jahr 200 Euro.
„Für Beschäftigte, die in Betriebe in den neuen Bundesländern überlassen werden, können die Entgelte reduziert werden: im Jahr bis zu 13.5% (2004), 10,5% (2005), 8,5% (2006). Spätestens im Jahr 2006 werden Tarifverhandlungen aufgenommen.“
Unterschiedliche Lohnlinien
Statt also den Kampf für eine gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit aufzunehmen, lassen die Gewerkschaften – allen voran die IG Metall – hoch offiziell eine zweite Lohnlinie für alle Betriebe zu. Die Spaltung der Belegschaften hat damit – allen Sonntagsreden zum Trotz – den Segen der Gewerkschaften bekommen. Und was wir in diesem Jahr v. a. bei DC und Volkswagen erlebt haben, setzt diese katastrophale Linie fort. Bei VW gibt es künftig, zählt man LeiharbeiterInnen mit, vier verschiedene Beschäftigtengruppen, die obwohl sie die gleiche Arbeit verrichten sehr unterschiedlich bezahlt werden. Dies kann – nach dem Beispiel der UAW – nur den Niedergang der Gewerkschaften beschleunigen (s. Artikel in dieser Avanti).
Gerade die Tarifverträge zur Leiharbeit offenbaren: Mit dieser Gewerkschaftsführung ist kein Kampf gegen Billiglöhne zu führen. Wer gegen die Spaltung der Lohnabhängigen eintritt, wer für Löhne kämpfen will, die ein menschenwürdiges Leben ermöglichen, wer also branchenübergreifend für einen Mindestlohn von 10 Euro eintritt, der muss sich gleichzeitig für andere Verhältnisse in den Gewerkschaften einsetzen. Denn ohne Gewerkschaften kommen wir nicht weit, aber mit dieser Gewerkschaftsführung auch nicht. Am Aufbau einer klassenkämpferischen Gewerkschaftsführung führt auch in der Frage des Mindestlohns kein Weg vorbei.

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