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Länder

Ein Poet im Pentagon

Von Harry Tuttle | 01.12.2006

Die Kongresswahlen in den USA haben die oppositionellen Demokraten gewonnen. An der Irakpolitik wird das wenig ändern. Donald Rumsfeld bewies gelegentlich ein beachtliches Talent für Poesie. „Hin und wieder/ stehe ich hier, tue etwas/ und ich denke/ ‚Was in aller Welt tue ich hier?’/ Es ist eine große Überraschung“, intonierte er im Mai 2001 gegenüber der New York Times. Seine an die Zen-Dichtkunst erinnernde Lyrik fand Anerkennung. Nicht so seine Arbeit als Verteidigungsminister.

Die Kongresswahlen in den USA haben die oppositionellen Demokraten gewonnen. An der Irakpolitik wird das wenig ändern.

Donald Rumsfeld bewies gelegentlich ein beachtliches Talent für Poesie. „Hin und wieder/ stehe ich hier, tue etwas/ und ich denke/ ‚Was in aller Welt tue ich hier?’/ Es ist eine große Überraschung“, intonierte er im Mai 2001 gegenüber der New York Times. Seine an die Zen-Dichtkunst erinnernde Lyrik fand Anerkennung. Nicht so seine Arbeit als Verteidigungsminister, mit „Rummy“ fragte sich eine wachsende Zahl von US-Amerikanern, was in aller Welt er im Pentagon eigentlich tat.
Kritik aus dem Establishment
„Donald Rumsfeld muss gehen“, forderte die Army Times in einem wenige Tage vor den Kongresswahlen Anfang November veröffentlichten Editorial. Er habe in der Irakpolitik versagt und das Vertrauen der Offiziere verloren, stellte das von einem Privatkonzern herausgegebene Magazin fest, das als Sprachrohr der Militärbürokratie gilt. Für einen Präsidenten, der bei seinem Amtsantritt versprochen hatte, den Armeeangehörigen „den Respekt, den sie verdienen“ zu verschaffen, war das eine besonders unangenehme Kritik, zumal George W. Bush als Oberkommandierender der Streitkräfte letztlich für das Desaster im Irak verantwortlich ist.

Wenige Tage nach der Wahl, die den Demokraten wieder die Mehrheit in beiden Kammern des Parlaments bescherte, musste Rumsfeld tatsächlich gehen. Dass zahlreiche republikanische Politiker in Korruptionsskandale verwickelt sind, hat zur Niederlage der Republikaner beigetragen, vor allem aber war die Wahl ein Misstrauensvotum gegen die Irakpolitik Bushs.
Der gefährlichste Gegner war nicht die Friedensbewegung, die kaum noch größere Aktionen zustande bringt. Öffentliche Aufmerksamkeit erregender Widerspruch kam vor allem aus dem Establishment. Militär- und Geheimdienstangehörige versorgten die liberale Presse großzügig mit gezielten Indiskretionen. Zudem ist unbestreitbar, dass der Krieg im Irak nicht so läuft, wie Bush es versprochen hat. Neben dem Kampf islamistischer und arabisch-nationalistischer Gruppen gegen die irakische Regierung und die US-Truppen gibt es eskalierende Auseinandersetzungen zwischen den Milizen im Parlament vertretener Parteien, die mehr oder minder eng mit den USA kooperieren.
Sieg der Rechten
Da die Linke keine bedeutende Rolle spielt, dominierte in der Kriegskritik der Verweis auf „handwerkliche“ Fehler. Rumsfeld habe zu wenige Bodentruppen eingesetzt, den Wiederaufbau vernachlässigt und durch groß angelegte Razzien die Bevölkerung unnötig gegen die US-Truppen aufgebracht, bemängeln etwa die Kritiker im Militärapparat. Die Demokraten, die im Jahr 2003 dem Krieg mehrheitlich zustimmten, haben keine klare Alternative zur Politik Bushs. Um gemäßigte republikanische Wähler zu gewinnen, stellten sie überwiegend Konservative und Vertreter christlicher Werte als Kandidaten auf. Da auch bei den Republikanern der rechte Parteiflügel erfolgreicher war, ist der neue Kongress trotz veränderter Mehrheitsverhältnisse ebenso konservativ wie der alte. Ändern wird sich in der Irakpolitik daher erst einmal wenig, zumal kein Abzugsszenario in Sicht ist, dass es den USA erlauben würde, ihre Interessen im Nahen und Mittleren Osten zu wahren. Andererseits ist nicht ersichtlich, wie die USA den Krieg noch gewinnen könnten.

In einer von Klassengegensätzen und gesellschaftlichen Hierarchien geprägten Welt ist es nicht erstaunlich, dass ein Staat, der allen Konkurrenten militärisch so weit überlegen ist wie es die USA sind, diese Macht für seine politischen und wirtschaftlichen Interessen einzusetzen versucht. Erstaunlich ist vielmehr, wie wenig die USA im Irak, aber auch in Afghanistan und im Kampf gegen al-Qaida, erreicht haben.
Schwindende Dominanz
Das ist nichts Rumsfelds persönlicher Unzulänglichkeit zuzuschreiben. Die sinkende Integrationsfähigkeit des kapitalistischen Weltmarkts begünstigt die Warlordisierung, im Irak und in anderen Kriegs- und Bürgerkriegsstaaten glaubt kaum noch jemand an das Versprechen wachsenden Wohlstands. Damit verlieren auch die neu geschaffenen politischen Systeme an Integrationskraft, die Interessengegensätze werden nicht mit Worten im Parlament, sondern mit Kalaschnikows auf der Straße ausgetragen. Inkompetenz und Korruption beim Wiederaufbau im Irak haben diesen Trend verschärft, aber nicht verursacht.
Die Unfähigkeit der USA, die gewaltige Militärmaschine effektiv einzusetzen, ermuntert nun deren Feinde zu offensiveren Aktivitäten. Das verschafft den sozialdemokratischen Regierungen in Lateinamerika einen größeren Spielraum bei der Verstaatlichung und der Armutsbekämpfung, erlaubt es aber auch rechtsextremen Regimes wie denen des Iran oder Sudans, ihre militaristische Politik aggressiver zu betreiben.

Die politische Dominanz der USA, aber auch der anderen westlichen Staaten schwindet, ihre Hegemonie in der UNO und den internationalen Wirtschaftsorganisationen wird von stärker werdenden Konkurrenten in Frage gestellt. Ein an sich erfreulicher Prozess, der jedoch auch in Lateinamerika den Rahmen der kapitalistischen Produktionsweise nicht in Frage stellt und derzeit außerhalb dieses Subkontinents vornehmlich Warlords und Diktatoren begünstigt.

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