Ein mickriges Ergebnis mit Folgewirkungen
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Tarifabschluss im öffentlichen Dienst 2020

Ein mickriges Ergebnis mit Folgewirkungen

Von Jakob Schäfer | 28.10.2020

Sowohl für die Beschäftigten im Öffentlichen Dienst als auch für alle anderen Bereiche kam der diesjährigen Tarifrunde für Bund und Kommunen eine besondere Bedeutung bei. Hatten doch im Frühjahr die Vertreter*innen aller Parteien noch lauthals von der notwendigen Anerkennung dieser Beschäftigten (vor allem im Pflegebereich) gesprochen. Letztlich ist davon aber außer dem symbolischen Händeklatschen nichts übriggeblieben. Mit dem jetzt erzielten Ergebnis werden es die Gewerkschaften in anderen Bereichen nicht gerade leichter haben.

Das Tarifergebnis (ohne einzelne Bereiche) zusammengefasst:

  • 300 bis 600 Euro steuerfreie Corona-Prämie noch im Jahr 2020[1]
  • 1,4 % mehr Gehalt zum 1.4.2021, mindestens aber 50 Euro – 25 Euro für Auszubildende sowie Praktikantinnen und Praktikanten
  • 1,8 % mehr Gehalt zum 1.4.2022 – 25 Euro für Auszubildende sowie Praktikantinnen und Praktikanten.
  • Die Jahressonderzahlung wird für kommunale Beschäftigte in den Entgeltgruppen S 2 bis S 9 bzw. EG 1 bis 8 wieder erhöht: In den westlichen Ländern um fünf Prozentpunkte in 2022, in den östlichen Ländern um zwei Prozentpunkte in 2022 und drei Prozentpunkte in 2023.
  • Arbeitszeitangleichung Ost: 39,5 Stunden ab 2022, 38,5 Stunden ab 2025

Die Corona-Sonderzahlung wirkt sich nicht auf die Tabellenwerte aus.[2] Hier gibt es erst mal sieben Nullmonate. Rechnen wir die tabellenwirksamen Erhöhungen zusammen und beziehen sie auf ein Jahr, dann sind es für die meisten Beschäftigten gerade mal 1,4 % (das Angebot lag bei 1,2 %). Und selbst für die Pfleger*innen, für die etwas mehr rausgesprungen ist, sind es in den meisten Fällen gerade mal 3,6 Prozent [3], viel zu wenig, um dem Pflegenotstand zu begegnen.[4]

Im Grunde aber sind die jetzt vereinbarten Zuzahlungen immer noch eine Unverschämtheit…

Sicher: Die sogenannten Arbeitgeber wollten mehr Nullmonate, wollten eine noch längere Laufzeit, wollten die 2019 abgesenkte Jahressonderzahlung dauerhaft abgesenkt halten, wollten bei den Sparkassenbeschäftigten die Jahressonderzahlung gar um 20 Prozent senken[5], wollten die Regelungen zur Altersteilzeit (die am Jahresende ausgelaufen wären) nicht verlängern, wollten die Definition des Arbeitsvorgangs in § 12 des Tarifvertrages (ein Herzstück für die Eingruppierung im öffentlichen Dienst) neu fassen usw.

Doch zum Handwerk einer Tarifverhandlung gehört nun mal, dass man sich von den Forderungen der Arbeit“geber“ nicht ins Bockshorn jagen lässt. Klar war auch, dass die Politiker es kaum rechtfertigen könnten, für die Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen überhaupt keinen Zuschlag zuzugestehen. Im Grunde aber sind die jetzt vereinbarten Zuzahlungen immer noch eine Unverschämtheit angesichts der gewaltigen Belastungen (nicht nur in Corona-Zeiten) und der insgesamt viel zu niedrigen Bezahlung.

Außer der für 2022 und 2023 vorgesehenen kleinen Arbeitszeitverkürzung von jeweils einer halben Stunde für die Beschäftigten in Ostdeutschland (bis 2023 auf 39 h und ab 2025 auf 38,5 Stunden, also auf Westniveau) ist auf diesem Gebiet rein gar nichts erreicht worden. Auch die arbeitsfreie Zeit zwischen zwei Schichten wurde nicht verlängert. Und der Kampf um Aufwertung im Erziehungsdienst ist erst mal verschoben.

Schönrechnerei

Mit den langen Laufzeiten, wie wir sie seit Jahren erleben, gewinnen die sogenannten Arbeitgeber nicht nur Planungssicherheit, sie legen damit die Gewerkschaft auf längere Zeit an die Kandare. In dieser Zeit ist also mit keiner Gegenwehr zu rechnen, ganz gleich, was den Arbeit“gebern“ an Unverschämtheiten einfällt oder was sich sonst als Anlass ergeben würde. Vergessen wir nicht: Nur wenn Gewerkschaften real kämpfen (und dafür gibt es ja nach Lage der Dinge derzeit nur bei Tarifrunden eine Chance) können sie ihre (potentielle) Kraft in die Waagschale werfen. Und wenn man jetzt über 28 Monate an die Friedenspflicht gebunden ist, hat man bei weiterhin steigenden Mieten und Lebensmittelpreisen kaum Chancen, für Gehaltsaufbesserungen zu kämpfen.

Aber auch die Gewerkschaftsführungen haben ein bürokratisches Interesse an langen Laufzeiten: Damit lässt sich ein Ergebnis optisch schönrechnen. Nach einem solchen Abschluss wird damit das Ergebnis plötzlich nicht mehr auf das Jahr umgerechnet, was bei der Aufstellung der Forderung noch eine wichtige Rolle gespielt hatte. Wenn wir das Verhandlungsergebnis zur aufgestellten Forderung in Beziehung setzen, dann hat die Ver.di-Führung (zusammen mit dem Beamtenbund) für die große Mehrheit der Beschäftigten gerade mal 30 Prozent der aufgestellten Forderung durchgesetzt.

War mehr drin?

Zur Beurteilung dieser Frage müssen drei Ebenen berücksichtigt werden.

Erstens hat sich die Coronakrise insgesamt spürbar lähmend auf alle Aktivitäten ausgewirkt. Dies beruhte vor allem auf der Angst, sich bei Streikkundgebungen oder sonstigen Mobilisierungen einem Infektionsrisiko auszusetzen.

Zweitens war auch die politische Kampfbereitschaft der Beschäftigten an vielen Stellen angeschlagen. Aus dieser Gemengelage ergab sich, dass die reale Kampfbereitschaft sehr unterschiedlich ausgeprägt war. So sind z. B. neue Krankenhausbelegschaften in den Kampf eingetreten, die bisher nicht sehr aktiv waren. All dies war an den meisten Orten eng damit verknüpft, wie engagiert die jeweiligen Gewerkschaftssekretäre eine Mobilisierung beförderten oder sich auf das Notwendigste beschränkten. Festzuhalten ist, dass es keine große Welle von unten gab, die den Apparat und vor allem die oberen Ränge der Gewerkschaftsbürokratie unter Druck gesetzt hätte. Dies hängt natürlich damit zusammen, dass es auf gesamtgewerkschaftlicher Ebene keine sichtbare kämpferische Strömung gibt, die für Unentschlossene eine Orientierungshilfe oder auch Ermutigung hätte sein können.

Drittens kommt allerdings der Politik der Gewerkschaftsführungen eine besondere Bedeutung zu (neben der federführenden Ver.di war dies noch die GEW, die allerdings nur in Teilbereichen betroffen war und allein hatte schon deswegen geringeres Gewicht hatte, sowie der Beamtenbund). Die Ver.di-Führung hat mit ihrer versprengten und zerstückelten Streiktaktik keine Mitreißeffekte erzielen können und offensichtlich auch nicht wollen. Somit blieb alles völlig unter der bürokratischen Kontrolle kleinerer Kundgebungen, mal hier, mal da. An keiner Stelle wurde versucht, über die eigene Gewerkschaftsgrenze hinaus andere Gewerkschaften oder gar die interessierte Öffentlichkeit für diese Mobilisierungen zu gewinnen. Außer einem kleinen, eher symbolisch zu nennenden gemeinsamen Aufruf mit Fridays for Future (in Sachen Verkehrswende) hat Ver.di rein gar nichts für mehr Durchsetzungskraft unternommen. Die Kundgebungen wurden außerhalb der gerade aufgerufenen Belegschaften in aller Regel nicht vorher publik gemacht. All dies ist nicht verwunderlich, denn, die Bürokratie setzt schon aus reinen Apparat-Interessen nicht gerne auf die Förderung von eigenständigen Aktivitäten von unten. Diese könnten ja ihrer Kontrolle entgleiten.

Der tiefere Grund für die extrem zögerliche Mobilisierung springt erst recht ins Auge, wenn man die Erklärungen des Vorsitzenden hört oder liest: Er nahm mehrfach Bezug auf die Kassenlage der Öffentlichen Hand. Die Sorge um die Staatsfinanzen hat die Ver.di-Führung mehr bewegt als die berechtigten Interessen der Beschäftigten. Wenn wir die verhandlungstaktischen Gegenforderungen der Arbeit“geber“ außer Acht lassen, dann beträgt die Spanne zwischen Angebot (laut Ver.di „respektlos“) und dem erzielten Abschluss (laut Ver.di „respektabel“) gerade mal 100 Millionen Euro (Handelsblatt). Dies sollte man in Beziehung setzen zu den offiziell errechneten Gesamtkosten von 4,9 Mrd. € für die Kommunen und 1,2 Mrd. € für den Bund.

Statt z. B. die Milliardenhilfen für Lufthansa (9 Milliarden), die Autoindustrie, Zulieferer usw. anzuprangern und zu erklären, dass das Geld nicht dem Kapital in den Rachen zu werfen ist, hat die Gewerkschaftsführung die Logik der Gegenseite akzeptiert. Somit verbietet es sich für die Gewerkschaftsführung quasi schon von selbst, auf die Kraft einer breiteren Mobilisierung zu setzen. Und wir sollten nicht vergessen, dass Ver.di diese Tarifrunde gar nicht wollte, sondern sie gerne auf das nächste Frühjahr verschoben hätte.

Beschäftigte im ÖPNV hängen gelassen

Bekannt war, dass die sogenannten Arbeitgeber keinen einheitlichen Manteltarifvertrag für alle im ÖPNV Beschäftigten wollen. Sie lieben es, wenn diese nicht gemeinsam agieren können, weil sie in 16 unterschiedlichen Tarifbezirken für Tarifforderungen kämpfen müssen. Ver.di war – nach langer Vorbereitungszeit – eigentlich in die diesjährige Tarifrunde mit dem Ziel gestartet, dass hier endlich ein gemeinsamer bundesweiter Manteltarifvertrag durchgesetzt wird (die einzelnen Tarifverträge auf Landesebene waren deswegen zum 30.Juni gekündigt worden). Im Verbund mit der diesjährigen allgemeinen Tarifrunde Bund und Kommunen lag es also auf der Hand, diese Dinge wirklich miteinander zu verknüpfen. Schließlich geht es bei den Forderungen um mehr Ruhezeiten zwischen den Schichten, bessere Schichtpläne (mehr Personal) usw. um sehr ähnliche Bestimmungen, wie sie auch im Pflegebereich und ähnlichen Diensten eine große Rolle spielen.

Wer die Verkehrswende will, der weiß auch, dass es dafür mehr Personal braucht. Und das bekommt man nur, wenn die Arbeitsbedingungen besser werden und wenn mehr gezahlt wird.

Die Beschäftigten im ÖPNV gehörten – auch in dieser Tarifrunde wieder! – zu denjenigen, die sich am geschlossensten an den Warnstreiks beteiligt haben. Es lag geradezu auf der Hand, genau diese Kampfkraft im Zusammenhang mit der allgemeinen Runde zu nutzen und diese Streiks auszudehnen, bis die Gegenseite einknickt. Aber das war offensichtlich nicht im bürokratischen Interesse. Jetzt sind die Bezirke doch wieder gezwungen, den Kampf alleine zu führen (also ohne den gesamten Öffentlichen Dienst als Mitstreiter im Rücken zu haben).

Dabei hätte Ver.di dieses Mal mehr als in allen Jahren davor die Öffentlichkeit auf ihrer Seite gehabt. Wer die Verkehrswende will (und eine solche wollen ja angeblich fast alle Parteien), der weiß auch, dass es dafür mehr Personal braucht. Und das bekommt man nur, wenn die Arbeitsbedingungen besser werden und wenn mehr gezahlt wird.

Unterm Strich: Trotz aller Schwierigkeiten in Coronazeiten liegt die größte Verantwortung für die nicht genutzten Chancen beim Ver.di-Vorstand. Dies demonstriert mal wieder, wie dringend erforderlich es ist, dass in den Gewerkschaften – und nicht zuletzt in Ver.di – eine klassenkämpferische Strömung aufgebaut wird.

26.10.2020


[1] 600 Euro (S 2 bis S 8b bzw. EG 1 bis EG 8); 400 Euro (S 9 bis S 18 bzw. EG 9a bis EG 12); 300 Euro (EG 13 bis EG 15)

[2] Steuerfrei für alle, die im Jahr 2020 den Gesamtbetrag von 1.500 Euro beitragsfreier Corona-Prämien noch nicht ausgeschöpft haben..

[3] Ab März 2021 wird eine Pflegezulage von 70 Euro gezahlt, die ein Jahr später auf 120 Euro erhöht wird. Die Zulage in der Intensivmedizin wird auf 100 Euro erhöht, die Wechselschichtzulage steigt von 105 auf 155 Euro monatlich. In den Betreuungseinrichtungen wie Altenheimen wird die Pflegezulage mit einem Plus von 25 Euro auf Gleichstand mit den kommunalen Krankenhäusern gebracht.

[4] „Das ändert aber erst einmal nichts an dem großen Personalmangel in der Pflege“, räumt selbst Verdi-Vorsitzender Frank Werneke nach dem Abschluss ein

[5] Hier haben sich die Arbeit“geber“ jedenfalls zum Teil durchgesetzt, denn künftig wird ein Teil der Sparkassensonderzahlung in freie Tage umgewandelt. Die Beschäftigten müssen dann die Arbeit selbst nachholen und die Zahlung ist geringer.

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