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Länder

Ecuador: Neue Verfassung – neues Selbstbewusstsein?

Von Thadeus Pato | 01.12.2008

„Heute hat Ecuador für ein neues Land gestimmt. Die alten Strukturen wurden durch eine zivile Revolution über den Haufen geworfen“. Mit diesen Worten kommentierte Präsident Raffael Correa das Ergebnis des Verfassungsreferendums vom 28. September. Nun kann mensch sicherlich einiges gegen die neue Konstitution einwenden, aber klar ist, dass es die derzeit demokratischste Verfassung in ganz Südamerika ist.

„Heute hat Ecuador für ein neues Land gestimmt. Die alten Strukturen wurden durch eine zivile Revolution über den Haufen geworfen“. Mit diesen Worten kommentierte Präsident Raffael Correa das Ergebnis des Verfassungsreferendums vom 28. September. Nun kann mensch sicherlich einiges gegen die neue Konstitution einwenden, aber klar ist, dass es die derzeit demokratischste Verfassung in ganz Südamerika ist.

Ob diese am 28. September 2008 angenommene neue Verfassung den Weg zu einem „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ bahnt, wie Correa ankündigt, muss sich erst noch zeigen. Klar ist jedenfalls, dass die große Mehrheit der EcuadorianerInnen dafür ist: Bei einer für das Land hohen Wahlbeteiligung von 76% lag die Zustimmung bei rund 65%; unter 30% votierten mit Nein. Und zweifellos ist die neue Konstitution in mehrerlei Hinsicht brisant. Einiges davon würde man sich auch in anderen Ländern wünschen. So sollen in Zukunft gewählte „Bürgerräte“ eine Art „vierte Gewalt“ darstellen und für eine externe Kontrolle des Staatsapparates, insbesondere im Hinblick auf die allgegenwärtige Korruption, sorgen. Besonders hervorzuheben ist außerdem das völlige Verbot von Subunternehmen, was die Rechte der ArbeiterInnen entscheidend stärkt. Festgeschrieben ist auch die Souveränität des Staates  die strategischen Ressourcen betreffend, und damit sind nicht nur die Bodenschätze gemeint, sondern beispielsweise auch die Kontrolle über die Nutzung von Sendefrequenzen durch die Medien. Erstmals wird die Natur zum Rechtssubjekt erklärt und das aus der indigenen Bevölkerung stammende Konzept vom „guten Leben“ (sumak kawsay) weist die Profitmaximierung als oberste Priorität des Wirtschaftens klar zurück.

Überhaupt liegt der Schwerpunkt der Verfassung auf der Stärkung sozialer Gerechtigkeit und der Anerkennung der eigenständigen indigenen Kultur mit ihren Gesellschafts- und Rechtsprinzipien. Und sie ist antiimperialistisch insofern, als sie die Stationierung ausländischer Truppen auf Dauer verbietet. Gesundheitsversorgung und Bildung werden kostenfrei, als Maßnahme gegen den Großgrundbesitz ist der Zugang zu Agrarland zukünftig staatlich reglementiert. Da die Stellung des Präsidenten gegenüber dem Parlament (in dem Correa keine Mehrheit hat) gestärkt wird und künftig die Währungspolitik dem Präsidenten und nicht mehr der Zentralbank untersteht, wird erwartet, dass demnächst der US-Dollar, der unter „neoliberaler“ Ägide im Jahr 2000 als offizielle Währung den Sucre ersetzte, wieder abgeschafft wird.

Insgesamt ist diese neue Verfassung so demokratisch, so sozial und deshalb so brisant, dass sie in den hiesigen offiziellen Medien weitgehend totgeschwiegen oder allenfalls berichtet wurde, Correa habe nur seine persönliche Macht erweitern wollen. Es könnte ja jemand auf die Idee kommen, beispielsweise kostenlose Gesundheitsversorgung und Bildung auch hierzulande in das Grundgesetz aufzunehmen.
Neues Selbstbewusstsein
Dass auch Ecuador nicht länger bereit ist, den Hinterhof der USA und die Wundertüte für das internationale Finanzkapital zu spielen, zeigte sich sehr bald. Am 25. November ließ Raffael Correa eine neue Bombe platzen: Er verkündete, eine Kommission habe mehr als ein Jahr lang die Legitimität der Auslandsschulden überprüft und zahlreiche Unregelmäßigkeiten bei den zwischen 1976 und 2006 aufgenommenen Krediten gefunden. Ecuador habe die Absicht, 3,8 Mrd. Dollar (3,0 Mrd. Euro) „korrupte, illegale Schulden“ nicht zurückzuzahlen – das wären mehr als ein Drittel der derzeitigen Schulden des Landes von 10,6 Milliarden Dollar. Correa hat gute Argumente für diese Maßnahme. Zum einen hat eine Überprüfung ergeben, dass es nach dem de-facto-Bankrott Ecuadors im Jahr 2000 bei der Umschuldung zahlreiche Merkwürdigkeiten gegeben hat – für die Correa bereits ankündigte, den damaligen US-hörigen und korrupten Präsidenten Sixto Duran Ballen zur Verantwortung ziehen zu wollen. Zum anderen zieht die ecuadorianische Regierung auch die unter der Militärdiktatur aufgelaufenen Schulden in Zweifel. Eine Mitarbeiterin der Prüfungskommission, Karina Saenz, lieferte eine schlagende Begründung: „Wegen Refinanzierungen, Schuldentausch und Zinsanhebungen sind die Schulden von damals von 200 Millionen auf 4,16 Milliarden gestiegen, obwohl Ecuador seither 7,1 Milliarden abbezahlt hat“. Prompt schlug das internationale Finanzkapital zurück: Die Ratingagenturen stuften Ecuador auf CCC – das heisst wenig kreditwürdig – herunter, womit eine externe Kreditfinanzierung praktisch ausgeschlossen ist.

Einen Tag später relativierte die Außenministerin allerdings: Ecuador werde die Abzahlung seiner Auslandschulden nur einstellen, falls gerichtlich nachgewiesen würde, dass die Schulden illegal seien, erklärte Maria Isabel Salvador. Hintergrund ist eine Gemengelage. Die Bonds, um die es in erster Linie geht, werden zum einen in Höhe von 800 Millionen ausgerechnet von Venezuela abgesichert, das zahlen müsste, wenn Ecuador nicht zahlt – und Hugo Chavez ist der stärkste Bündnispartner Correas. Zum anderen übt Brasilien Druck aus. Ecuador kauft derzeit mit brasilianischem Kredit Kampfflugzeuge der Firma Embraer, hat aber gleichzeitig einen Kredit der brasilianischen Bank BNDES von 261 Millionen Dollar ebenfalls angefochten. Die Stimmung zwischen Correa und seinem brasilianischen Amtskollegen Lula da Silva ist ohnehin nicht die Beste, weil Correa vor Kurzem die beiden brasilianischen Konzerne Petrobras und Odebrecht wegen gewisser Unregelmäßigkeiten des Landes verwiesen hat.
Und die Aussichten?
Entscheidend wird nicht sein, ob Correa seine neuen Befugnisse nutzt, sondern, ob es der breiten Volksbewegung, die ihn an die Macht brachte, gelingt, die Bewegung von unten zu einigen und zu stärken. Die wichtigste Rolle spielen dabei die Organisationen der indigenen Bevölkerung, denen Correa seine starke Position zu verdanken hat. Aber durch das Nebeneinanderher verschiedener Eigentums- und Wirtschaftsmodelle entsteht ein gefährlicher Schwebezustand, der ja auch in Bolivien und Venezuela bereits zu einem gewissen Erstarken der Rechten führte: So spricht Correa von drei Eigentumsformen, der „privaten, der sozial-solidarischen und der staatlichen“. Eine konsequentere Umverteilungs- und Entprivatisierungspolitik ist die einzige Möglichkeit, ein Rollback zu verhindern.

Denn ob es sich sowohl die einheimische Bourgeoisie wie die ausländischen Konzerne weiter stillschweigend gefallen lassen werden, dass z. B. die venezolanische Umweltministerin für die Klimasünder des Nordens so peinliche Vorschläge macht wie den, das Öl in den (geschützten) Urwäldern des Landes im Boden zu lassen u
nd für diesen Beitrag zum Klimaschutz völlig zu Recht Kompensationszahlungen des Nordens zu verlangen, ist zu bezweifeln. Die USA versuchen schon fleißig, das Land von Kolumbien aus zu destabilisieren. Allerdings ist es jetzt mit ihrer Militärbasis in Manta, die sie im Jahr 2000 einrichteten, endgültig vorbei, der Vertrag ist gekündigt.

Und ebenso entscheidend wie die Frage der Eigentumsverhältnisse wird sein, ob Ecuador seine durch die Öleinnahmen entstandenen Möglichkeiten nutzt, um mit diesen Revenuen eine nachhaltige Wirtschaft aufzubauen, die eine tragfähige Basis für die Zeit nach den fossilen Brennstoffen bietet. Wir dürfen gespannt sein.

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