Der Bundesvorstand der Wahlalternative versucht die sozialistische Linke von Anfang an zu disziplinieren. Aber was sucht die sozialistische Linke in der Wahlalternative?
Nach Gründung der grünen Partei 1980 spalteten sich einige sozialistische Organisationen, deren Minderheiten in die neue Partei eintraten. Der Schock über ihren Zersetzungsprozess saß in der Restlinken so tief, dass Anfang der 90er Jahre in Westdeutschland nur kleinere Gruppen und linke Einzelpersonen wie Winfried Wolf in der PDS ihr Glück versuchten. Im Gegensatz zu damals arbeiten heute in der WASG ganze oder größere Teile von Organisationen aus dem trotzkistischen Spektrum mit – mit Ausnahme des RSB.
Wahlalternative und „Reformismus”
An der Anziehungskraft der Inhalte der WASG kann der „Entrismus” von SAV, Linksruck, isl und GAM nicht liegen, denn die Wahlalternative steht heute programmatisch weit rechts von den ursprünglichen Grünen und der PDS in ihren Anfängen. Sicherlich hat jede der trotzkistischen Gruppen ihre eigenen Motive, doch ermöglicht eine ähnliche Grundhaltung zum „Reformismus” den Eintritt in die WASG. Obwohl nicht ausdrücklich erklärt, eint Linksruck, SAV, isl und GAM ein Verständnis von Reformismus, das diesen Begriff inflationär auf SPD, PDS, gelegentlich sogar auf Gewerkschaften anwendet und damit von seinem eigentlichen Inhalt als „sozialistisches Ziel über den Weg der Reformen” loslöst. Verbunden sind die Illusionen über die Stärke des „Reformismus” mit der Hoffnung auf einen „Differenzierungsprozess” in der ArbeiterInnenklasse, für den dann unterschiedliche parteipolitische Optionen in der Gewerkschaftsbürokratie oder Ablösungsprozesse von der SPD herhalten müssen.
Taucht dann mit der Wahlalternative eine Organisation auf, die „links” von der neoliberalen SPD steht, so entdecken die genannten Organisationen „eine historische Chance zum Aufbau einer Partei […] von Zehntausenden [ …] mit einem riesigen WählerInnen-Potenzial und […] der Möglichkeit, 2006 in den Bundestag einzuziehen“ (SAV), ein „politisches Erdbeben” zur Verschiebung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nach links, mit der eine neue Ära in der deutschen Linken anbreche (Linksruck), die rasante Bildung einer echten Linkspartei (isl) oder die Chance zum Aufbau einer neuen Arbeiterpartei, die eine wirkliche Alternative zu SPD und PDS darstelle (GAM). Dabei ist mit dem Übergang der sozialliberalen SPD zum Neoliberalismus ab Mitte der 90er Jahre einfach nur der gesellschaftliche Platz für eine sozialliberale Partei frei geworden. Den zu besetzen bemühen sich die rechtsreformistische PDS und die sozialliberale WASG zur Zeit noch getrennt, vielleicht aber bald – nach der NRW-Wahl – gemeinsam.
Unterschiedliche Taktiken
Es spricht sicherlich nicht für hiesige trotzkistische Organisationen, wenn sie z.B. die Regierungsbeteiligung der Mehrheit der Sektion der Vierte Internationale in Brasilien kritisieren, um im eigenen Land in die bürgerliche Partei WASG einzutreten. Dort wird dann je nach Taktik der komplette, der nicht ganz vollständige oder der abgespeckte Forderungskatalog präsentiert. Er reicht von einem „konsensfähigen Reformprogramm” (Linksruck) über ein „sozialistisches Programm” (SAV) bis hin zur Verteidigung der Schaffung von Arbeitermilizen (GAM), um die Neuauflage der 70er-Jahre-SPD zu einer „Linkspartei” oder einer „Arbeiterpartei” zu machen. Dabei müssen Widersprüche auftauchen:
• Während Linksruck, SAV und isl den außerparlamentarischen Kampf proklamieren, sehen sie es als großen Erfolg an, gegenüber dem WASG-Bundesvorstand die Beteiligung an den Landtagswahlen in NRW durchgesetzt zu haben.
• Die SAV appelliert an die hauptamtlichen GewerkschafterInnen in der WASG, sie sollten Teil der innergewerkschaftlichen Opposition werden und bundesweite Streiks organisieren. Doch genießt die Wahlalternative nicht nur die klammheimliche Sympathie von Peters und Bsirske, weil sie der SPD Wahldruck macht, sondern auch die Kritik und Energie der klassenbewussten GewerkschaftsaktivistInnen auf parlamentarische Gleise lenkt.
• Zwar haben die beteiligten trotzkistischen Organisationen oft genug wiederholt, dass der Aufbau einer sozialis-tischen Partei oder antikapitalistischen Kraft eine breite gesellschaftliche Bewegung des Protestes und der Kämpfe gegen den neoliberalen Kapitalismus benötigt – versuchen nun aber ohne den Rückenwind breiten gesellschaftlichen Widerstands als Arzt am Bett des Sozialliberalismus die WASG nach links zu drängen.
• Auch halten die Beteiligten eine Einheitsfront der Gewerkschaften, der sozialen und globalisierungskritischen Bewegung und der Linken gegen die neoliberale Offensive des Kapitals für notwendig. Doch um diese herzustellen, setzen sie mit der Partei WASG nicht nur am kürzesten, sondern auch am politisch falschen Hebel an.
• So wie sie in der WASG auftreten, wünschen sich die TrotzkistInnen den Erfolg der neuen Partei. Doch je mehr „Erfolg” die Wahlalternative haben wird, desto mehr wird sie sich parlamentarisieren, desto höher wird der Anpassungsdruck auf die Linke wirken und desto weniger Spielraum wird dort der „harten” revolutionären Linken bleiben.
Druck von oben
Mit seiner Kampagne gegen die SAV ist offensichtlich, dass der Bundesvorstand der WASG die Bildung eines linkssozial-istischen Flügels verhindern will. Dass die SAV dem Bundesvorstand dafür manche Vorwände liefert, z.B. eine klassenkämpferische Gewerkschaftspolitik propagiert und dafür einen von den Medien erkorenen „Streikführer” von Opel aus der erzsozialpartnerschaftlichen Gruppe um den früheren Betriebsratsvorsitzenden Jaszczyk präsentiert, wird ihr niemand als Plus anrechnen. Wenn wir von außen die Rechte der SAV in der WASG verteidigen, sollten wir dabei nicht vergessen, dass die Mitarbeit von revolutionären Organisationen in einer bürgerlichen Partei selbst eine Quelle der Zersetzung sozialistischen Bewusstseins ist.