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Die militärisch-politischen Auswirkungen des Libanonkrieges

Von B.B. | 01.09.2006

Der zweite Libanonkrieg brachte Israel eine Niederlage ein. Sie rückt den Angriff der USA auf den Iran in greifbare Nähe. Der Libanonkrieg 1982 zwang die PLO zum Abzug nach Tunis; der Libanonkrieg  2006 Israel zum Rückzug aus dem Südlibanon. Weder hat Israel zwei gefangene Soldaten befreit, noch die Hisbollah zerschlagen, noch deren Raketen vernichtet. Zum ersten Mal in der Geschichte des Nahen Ostens hat Israel eine militärisch-politische Niederlage in einem offenen Krieg erlitten – mit weitreichenden Folgen.

Der zweite Libanonkrieg brachte Israel eine Niederlage ein. Sie rückt den Angriff der USA auf den Iran in greifbare Nähe.

Der Libanonkrieg 1982 zwang die PLO zum Abzug nach Tunis; der Libanonkrieg  2006 Israel zum Rückzug aus dem Südlibanon. Weder hat Israel zwei gefangene Soldaten befreit, noch die Hisbollah zerschlagen, noch deren Raketen vernichtet. Zum ersten Mal in der Geschichte des Nahen Ostens hat Israel eine militärisch-politische Niederlage in einem offenen Krieg erlitten – mit weitreichenden Folgen.
Der „Sieg“ der Hisbollah
Die größten Auswirkungen wird der Rückzug Israels auf das Bewusstsein der Menschen im Nahen Osten haben. Im Libanon bejubelt nicht nur die schiitische Hisbollah den Rückzug als „Sieg“ über Israel. Trotz aller Zerstörungen begrüßen viele LibanesInnen den „Sieg“, weil die Schiiten Landsleute sind; die IslamistInnen, weil die Hisbollah islamistisch ist; die meisten AraberInnen, weil die SüdlibanesInnen AraberInnen sind und weltweit viele MuslimInnen, weil der Schiismus zum Islam gehört. Viele AraberInnen leben mit dem Gefühl „machtlos“ „dem Westen“ ausgeliefert zu sein; MuslimInnen damit, den Fußabtreter für rassistische „Terrorismushetze“ abgeben zu müssen. Der Rückzug Israels wird das Prestige der Hisbollah enorm verstärken und zum Mythos ihrer „Unbesiegbarkeit“.

Dieser „Sieg“ ist natürlich kein Sieg für die Linke. Der Feind des US-Imperialismus und seines Hauptverbündeten ist nicht automatisch unser Freund! Vom Nahen Osten wird in absehbarer Zukunft – im Gegensatz zu Lateinamerika – keine progressive, emanzipatorische Bewegung ausgehen. Der „Sieg“ der Hisbollah stärkt den politischen Schiismus, den Islamismus und den arabischen Nationalismus, nicht etwa eine sozialistische Vision. Er eröffnet keine Friedensperspektive oder „Lösung“ des Nahost-Konfliktes, sondern nur eine neue Runde der Auseinandersetzung. Als erste haben die PalästinenserInnen darunter zu leiden, an denen Israel Rache für die erlittene Schmach nehmen wird.
Zerbrochener Mythos
Der Krieg fällt als Niederlage auf seine Urheber zurück. Es war allein die Entscheidung der israelischen Regierung Olmert, statt auf Verhandlungen zur Befreiung der beiden Soldaten zu setzen, in den Libanon die Methoden des Staatsterrorismus (Zerbombung der Infrastruktur) zu exportieren, die im Gaza täglich so „erfolgreich“ gegen die PalästinenserInnen angewandt werden. Selbst der israelische Generalstab war gegen den Einmarsch, zögert ihn hinaus … und wurde deshalb umstrukturiert.

Die Niederlage im Libanon fällt nicht nur auf die Regierung Olmert zurück, die sie vermutlich nicht lange überstehen wird. Drastischer wird sich der Rückzug auf das Bewusstsein vieler Israelis auswirken. Israel pflegte den Mythos der militärischen Unbesiegbarkeit, der auf vier gewonnenen Nahostkriegen, auf der Überlegenheit seiner Luftwaffe, der Mobilität seiner Armee, dem hohen Standard seiner Ausbildung, der Informiertheit seiner Geheimdienste, dem Niveau seiner Technologie und auf seiner Atommacht beruhte. Je stärker Israels Überlegenheit im letzten Jahrzehnt durch das Entstehen eines militärisch-industrieellen Komplexes anwuchs, einem der bedeutendsten Hochtechnologiezentren der Erde, in dem sich zunehmend auch deutsche Konzerne tummeln, desto größer nun der Schock. Der Mythos der eigenen Unbesiegbarkeit ist ebenso zerbrochen wie der der Gewissheit der Unverwundbarkeit. Eine ernsthafte Krise des zionistischen Projektes kann die Folge sein.

Die Hisbollah „siegte“, weil die israelischen Streitkräfte mit ihren Hightechwaffen die schiitische Miliz kaum treffen konnten. Der militär-technologischen Überlegenheit hat die Hisbollah einen Waffenstandard aus dem 2. Weltkrieg (Katjuscha und Kalaschnikow), den Vorteil des bergigen Geländes, eine weitverzweigte Milizorganisation, das sich auf die Bevölkerung stützt, ein gut funktionierendes Kommunikationssystem und ihre religiöse Überzeugung entgegengesetzt. Dabei war der Rückhalt in der Bevölkerung entscheidend. Eine Miliz, die auf überzeugten Massen basiert, ist im Südlibanon so schwer zu schlagen, wie die Stadtguerilla im sunnitischen Dreieck des Irak – auch wenn das Bewusstsein religiös-politisch und nicht marxistisch ist. Letztere sieht den „Sieg“ der Hisbollah als direkte Ermutigung im Kampf gegen die US-Besatzung.
Der „pazifistische“ Imperialismus
Während die USA laufend Waffen und Munition an Israel sandte, tritt der EU-Imperialismus, der Israel freie Hand bei seinem Krieg ließ, wieder einmal als  Friedensstifter im Nahen Osten auf. Natürlich hilft auch die BRD, einer der wichtigsten Waffenlieferanten Israels, mit einer Fregatte, Aufklärungsflugzeugen, Polizei zur Kontrolle der syrisch-libanesischen Grenze und Pionieren am „Friedensprozess“ und am „Wiederaufbau“ d.h. bei der Sicherung eines EU-Vorpostens. Die Hisbollah wird vielleicht einige Gerätschaften aus dem Südlibanon abziehen, aber ihre Miliz wird weder durch die libanesische Armee noch durch die UN-Truppen entwaffnet und aus der Region vertrieben werden können. Die freiwillige Abgabe der Waffen würde ihre Spaltung bedeuten.
Steht ein Angriff auf den Iran bevor?
Der Schiismus, der seinem Wesen nach politisch ist, gewann seine Anziehungskraft aus einer politischen Revolution, die die Monarchie des Schah, aber nicht das kapitalistische System im Iran stürzte. Die Ausschaltung der demokratischen und linken Opposition im eigenen Land und der verlustreiche Golfkrieg gegen den Irak schwächten die Ausstrahlung der islamischen Revolution, die durch das Bündnis der Schiiten mit dem us-amerikanischen Besatzungsregime im Irak ernsthaft in eine Krise zu geraten drohte. Der Sieg der Hisbollah im Libanon hat die Lebensfrist des iranischen Regimes verlängert.

Mit der Niederlage Israels ist im Nahen Osten ein Patt entstanden. Entweder wird es, so die Option der EU, den Weg zu neuen Verhandlungen z.B. über die Golanhöhen freimachen oder die USA und Israel zu einem verzweifelten Versuch treiben, durch einen Angriff auf den Iran – mit oder ohne taktische Atomwaffen – das Kräfteverhältnis zu ihren Gunsten radikal zu verändern. Letzteres ist leider zu befürchten.

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