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Die Linke

01.08.2003

Krise der traditionellen Arbeiterbewegung

Die sozialdemokratisch geprägte Arbeiterbewegung und die SPD unterliegen einer krisenhaften Veränderung, die mit dem aus Britannien entlehnten Schlagwort des Triumphes von ”New Labour” über ”Old Labour” bezeichnet werden kann. Dabei geht es nicht um die Anpassung an die bürgerlich-parlamentarisch regierte kapitalistische Gesellschaft, die längst vollzogen ist. Schon Lenin nannte die sozialdemokratischen Parteien ”bürgerliche Arbeiterparteien” und die sozialdemokratischen Führer mit einem Ausdruck des US-amerikanischen Sozialisten Daniel DeLeon ”labor lieutenants of capital”, deren Funktion es sei, die abhängig Beschäftigten in das System einzubinden und dieses System loyal mitzuverwalten. Heute geht es um einen neuen Schritt. In Deutschland kann dieser neue Schritt symbolisch mit dem Ende jener Sozialpläne bezeichnet werden, die noch bis vor kurzem massiven Arbeitsplatzabbau in den Kernschichten der Arbeiterklasse begleiteten und der Befriedung der Betroffenen dienten.

Solche Sozialpläne, die vielen gerade der älteren Betroffenen einen halbwegs ”sanften Übergang” vom Erwerbsleben über den Vorruhestand bis zur Rente ermöglichen, gelten heute als ”nicht mehr finanzierbar”. Im Gegenteil, diejenigen, die in der entsprechenden Übergangssituation leben, gehören gemäß der immer aggressiveren neoliberalen Propaganda zur Masse der angeblich die Statistik verfälschenden ”Scheinbarbeitslosen” und müssen so mit dafür herhalten, dass erste Schritte in Richtung der Privatisierung der Arbeitsvermittlung unternommen wurden.

Die Besonderheit der SPD gegenüber den normalen bürgerlichen Parteien wie auch die Erosion, die an dieser Besonderheit nagt, zeigte sich augenfällig beim ”Bündnis für Arbeit und Wettbewerbsfähigkeit”. Dieses Bündnis bindet die Gewerkschaftsführungen ideologisch verstärkt ein in die Konkurrenzlogik (”Standort Deutschland”) und führt in den Betrieben in vielen Fällen zu Verzichten auf Errungenschaften für ”Gegenleistungen” der Geschäftsleitungen wie den befristeten Verzicht auf betriebsbedingte Entlassungen oder das Versprechen, in einem gewissen Umfang zu investieren.

Die nur noch blassrosa getönte neoliberale Politik der Schröder-Regierung, die Sozialabbau und Privatisierung fortsetzte, bei Tarifrunden über die angeblich ”neutrale” Nichteinmischung hinaus vor zu hohen Lohnabschlüssen warnte und außenpolitisch ebenfalls in Kontinuität zur Kohl-Regierung die macht- und militärpolitischen Ziele der deutschen Bourgeoisie betreibt, führte jedoch zu ersten Haarrissen im Apparat. Ein Teil der Gewerkschaftsführungen kündigte der SPD die bisherige bedingungslose Nibelungentreue auf, kündigte Liebesentzug im Vorfeld der Wahlen, Zusammenarbeit mit Attac und Kritik an den neoliberalen Exzessen an. Die SPD-Führung, hierdurch erschreckt, nahm ein paar kosmetische Korrekturen an ihrem Wahlprogramm vor, was ihr wiederum einige Loyalitätsbekundigungen und Rückzieher einiger Gewerkschaftsführer eintrug.

Das grundsätzliche Problem, das an diesen kleinen Schwankungen deutlich wird, besteht in der Frage, ob der in seiner sozialen Basis stark veränderte sozialdemokratische Apparat in seiner Gesamtheit die Aufgabe der Kanalisierung und der Integration ins System dauerhaft weiter garantieren kann – auch dann, wenn sozialer Unmut einmal zu massiven Bewegungen führen sollten wie derzeit in Italien – oder ob dieser Apparat in seiner Anpassung an die heutigen neoliberalen ”Selbstverständlichkeiten” schon so weit gegangen ist, dass er dies nicht mehr schaffen könnte.

Der Aufbau einer linken Alternative in den Gewerkschaften und außerhalb der Sozialdemokratie darf sich nicht darauf beschränken, den sogenannten ”Modernisierern” die Wiederbelebung der traditionellen sozialistischen Programmatik entgegenzuhalten, zumal nicht in Versionen, die oft schon zu ihrer Hochzeit unzureichend waren. Diese Wiederbelebung ist zwar durchaus notwendig, aber nicht hinreichend. Bestimmte Resultate früherer Versäumnisse haben sich vielerorts zur sozialen Realität verdichtet. Wo die Arbeiterbewegung ihre traditionellen Bastionen hat ersatzlos vor die Hunde gehen lassen, gibt es keine kampfstarken Belegschaften und auch kein kulturell der traditionellen Arbeiterbewegung verbundenes Milieu mehr. Offensichtlich versäumen es die Gewerkschaften in dieser neuen Situation, die aus dem Erwerbsleben herausgeschleuderten oder aus ihm von vornherein ausgegrenzten Menschen wirksam anzusprechen, zu mobilisieren und zu organisieren. In den entindustrialisierten Stadtvierteln und ”sozialen Brennpunkten” sind sie vielmehr gar nicht präsent, sondern geradezu unsichtbar.

Eine neue Partei

Linke Neuformierung ist vor diesem Hintergrund keine Spielwiese eines begrenzten linken Milieus; sie muss auch einen Umbau und eine Neuorientierung der Arbeiterbewegung insgesamt befördern. Diese bedarf einer neuen Radikalität und der Bereitschaft, die Kraft der organisierten Lohnabhängigen wirklich in die Waagschale zu werfen und sie zu mobilisieren, um ihre Interessen gegen das Kapital und seine Handlanger durchzusetzen. Sie bedarf zugleich dringend einer Ausweitung ihrer Themen und Handlungsfelder.

Nötig ist ein Prozess, wie er sich unübersehbar erstmals in Italien mit der spektakulären Ausdehnung des Genua Sozialforums andeutete. Zusammenfassung, Vernetzung, gemeinsames Handeln aller von der neoliberalen Offensive und ihren Auswirkungen Betroffenen, von den erwerbstätigen Lohnabhängigen bis zu den Erwerbslosen, von der studierenden Jugend bis hin zu den ImmigrantInnen, den Flüchtlingen und allen Erniedrigten und Beleidigten der Gesellschaft. Nötig ist dieser Prozess in einem internationalen Sinne, als Teil des Aufbegehrens gegen die neoliberale Globalisierung und gegen die weltweite Kriegführung der Staaten des reichen Nordens. Eine Handvoll großer Kapitalgruppen will ihre Interessen gegen den mehr oder weniger eigentumslosen Rest der Menschheit durchsetzen, um jene ölgeschmierte Gesellschaftsordnung aufrecht zu erhalten, die in den älteren Büchern, auf die wir uns beziehen, zu Recht Kapitalismus und zukunftsunfähig genannt wird.

Nur in der Aktion der abhängig Beschäftigten und der auf emanzipatorische Ziele orientierten sozialen Bewegungen besteht die Chance für die massenhafte Herausbildung
eines neuen antikapitalistischen Bewusstseins, das sich erneut das Ziel setzt, die Macht des Kapitals zu stürzen und eine Demokratie von unten, eine sozialistische Demokratie an deren Stelle zu setzen. Doch die Meinungsbildung in Bewegungen ist nicht gleichzusetzen mit einem politischen Formierungsprozess, alleine schon deshalb, weil ein Kennzeichen wirklich breiter Massenbewegungen das gemeinsame Handeln verschiedener politischer Kräfte und Meinungsströmungen ist. Mit einer politischen Neuformierung oder (im italienischen Sinn der ”rifondazione”) Neu(be)gründung der Linken meinen wir einen Prozess, der letztlich auf die Schaffung einer neuen politischen Partei und einer neuen Internationale hinausläuft, die den Sturz des Kapitalismus und die Eroberung der politischen Macht durch die abhängig Beschäftigten und Eigentumslosen will, zum Zweck des Aufbaus einer klassenlosen, von Ausbeutung und Unterdrückung freien Gesellschaft, zum Zweck einer universalen Emanzipation, die zugleich die einzige Alternative zu Untergang und Barbarei darstellt.

Für eine solche neue politische Kraft ist nicht nur wichtig, dass sie Teil der Klassenkämpfe der Lohnabhängigen und aller kapitalismuskritischen und emanzipatorischen Bewegungen ist. Wichtig ist ebenfalls, dass sie die Lehren aus den vergangenen Anläufen zieht, aus den Revolutionen und Konterrevolutionen des 19. und 20. Jahrhunderts, die Lehren aus dem Scheitern von Sozialdemokratie und Stalinismus, die Lehren auch aus der bisherigen Erfolglosigkeit der alternativen kleineren organisierten Strömungen. Wichtig ist weiterhin, dass sie sich von Anfang an auf kontinentaler und internationaler Ebene gemeinsam mit allen dafür in Frage kommenden Kräften zusammentut. Wichtig ist außerdem, dass sie auf Grundlage einer klaren Programmatik selbst pluralistisch und demokratisch organisiert ist und in ihrem Willensbildungsprozess allen emanzipatorischen, sozialistischen und revolutionären Strömungen Raum gibt, die eine neue von Kapitalismus, Patriarchat und allen Formen der Ausbeutung und Unterdrückung freie Gesellschaft aufbauen wollen. Eine solche Partei wird eine wirkliche ”Avantgarde”-Partei sein, nicht im Sinne selbsternannter Avantgarden, sondern weil sie die wirkliche gesellschaftliche Vorhut organisiert. Diese Partei kämpft in den von unten entstehenden demokratisch selbstbestimmten Strukturen der Lohnabhängigen sowie aller Ausgebeuteten und Unterdrückten um Mehrheiten für ihre Positionen und Vorschläge. Ansätze zur Schaffung einer solchen neuen Kraft gibt es bereits in einer Reihe von Ländern. Die Europäische Antikapitalistische Linke gehört zu den Vernetzungs-Strukturen, die sich die Schaffung einer solchen Kraft zum Ziel setzt.

Die Erfahrung hat gezeigt, dass eine solche neue politische Kraft nicht ”bei kalter Temperatur” entstehen kann, bei relativer Passivität der abhängig Beschäftigten und Unterdrückten. Sie kann also auch nicht allein durch den guten Willen der vorhandenen linken Kräfte entstehen. Es reicht nicht, dass diese sich an den Tisch setzen und beschließen, sich zusammenzutun, um sie aus der Taufe zu heben. Das ist klar – doch darf das nicht zur Ausrede werden, um nichts für das Entstehen einer solchen Kraft zu tun und sich der Routine des Aufbaus bzw. des Dahinvegetierens der bestehenden herzlich unzureichenden Strömungen, Organisationen und Kleinstgruppen zu überlassen. Erste Aufgabe ist, sich das Problem ernsthaft zu stellen und solche Verbindungen der gemeinsamen Aktion und auch der gemeinsamen Reflexion unter Linken herzustellen, die den Aufbau einer solchen neuen linken Kraft begünstigen und vorbereiten.

Bestehende Parteien und Organisationen

Wer in Deutschland von linker Neuformierung spricht, muss sich zuerst auf die PDS beziehen, auf die einzige Partei mit sozialistischem Anspruch, die Zehntausende Mitglieder hat und durch ihre Wählerschaft und Präsenz in den Parlamenten bis hin zur Bundesebene öffentlich als Kraft links von SPD und Grünen wahrgenommen wird.

Auf dieser PDS lasteten von Anfang an verschiedene Besonderheiten, die sich daraus ergeben, dass sie Nachfolgepartei der SED, der vormals herrschenden Staatspartei der DDR ist. Nach wie vor hat sie den Löwenanteil ihrer ca. 85 000 Mitglieder und die allermeisten Wählerinnen und Wähler in den östlichen Bundesländern. Dass viele dieser Mitglieder früher SED-Mitglieder waren, bedeutet für uns nichts Negatives, obwohl wir die bürokratische SED-Herrschaft bekämpft haben. Immerhin sind es die besten ehemaligen SED-Mitglieder, diejenigen, die wirklich an etwas geglaubt haben und ihren Idealen treu geblieben sind, als dies keine Vorteile mehr versprach. Dennoch sind sie in der Regel nicht nur biologisch alt, sondern auch ideologisch vergangenheitsbezogen und in mancher Hinsicht konservativ. Die Partei ist nicht im Feuer des Klassenkampfs entstanden, nicht in sozialen Bewegungen, sondern im Kampf darum, beim Zusammenbruch der DDR und der alten SED zu retten, was zu retten ist. Sie ist in Betrieben, Unis, Schulen, Bewegungen kaum verankert und darum – solange die Wählerstimmen dafür reichen – der Sogkraft der Institutionen der bürgerlich-parlamentarischen Demokratie in besonderem Maße ausgesetzt.

Als die PDS sich zur Zeit ihrer Gründung zur organisatorischen Kontinuität mit der SED bekannte, begründete Gregor Gysi dies unter anderem mit der noblen Absicht, zur eigenen Geschichte zu stehen. Er nannte aber auch die wirklichen, etwas profaneren Gründe: die Hoffnung, wenigstens einen Teil des SED-Vermögens ins ”neue Deutschland” hinüberzuretten, samt der Möglichkeit, einer Reihe ”verdienter Kader” dort eine sanfte Landung zu ermöglichen. Heute zeigt sich: Auf lange Sicht wäre ein radikaler Trennungsstrich und Neuanfang politisch produktiver gewesen.

In den ersten Jahren gelangen der PDS einige Schritte des Aufbaus in den neuen Bundesländern, ohne dass dies allerdings die Situation der West-PDS als Wurmfortsatz der Ost-PDS wesentlich geändert hätte. Immerhin war die Partei programmatisch und teils auch von ihrem Verhalten her offen für die Integration von und die Zusammenarbeit mit anderen linken Kräften, auch solchen, die sich auf revolutionär-sozialistische Positionen beriefen. Im Zuge der laufenden Programmdebatte hat sich gezeigt, dass diese Offenheit zurückgefahren werden soll unter dem Deckmantel des Kampfs gegen ”kommunistischen Traditionalismus” und ”linksradikales Sektierertum”.

Das Bedürfnis dafür ergibt sich für die Mehrheit der Führung dieser Partei aus dem tieferliegenden Bedürfnis nach weiterer Anpassung an das bestehende politische System und der Suche nach einem Platz und einer Rolle im Rahmen des bestehenden kapit
alistischen Systems. Nach dem Tolerierungsmodell in Sachsen-Anhalt und der Koalition in Mecklenburg-Vorpommern kam der Eintritt in die Regierung Berlins als Juniorpartner der SPD, und dies auf Grundlage eines rabiaten Sparprogramms zu Lasten der Interessen der abhängig Beschäftigten und der weniger betuchten Teile der Bevölkerung. In der Praxis führte dies schon in unmittelbare Konfrontation mit Teilen der Gewerkschaftsbewegung. Dies markiert einen Einschnitt; und von der ”Regierungstauglichkeit” auf Bundesebene trennt die PDS nur noch ihr ”Nein” zu Auslandseinsätzen der Bundeswehr – ein ”Nein”, an dessen Durchlöcherung von hoher Stelle der Partei aus kräftig gebastelt wird.

Aufgrund der jüngeren Entwicklung werden die Strömungen der innerparteilichen revolutionär-sozialistischen, linkssozialistischen, marxistischen, kommunistisch gesonnenen Opposition es schwerer haben, eine Perspektive glaubwürdig zu vermitteln, in deren Mittelpunkt die Gewinnung von Mehrheiten in der PDS für klare systemoppositionelle, antikapitalistische und sozialistische Positionen steht. Dieses Konzept gehört auf den Prüfstand, und eine gemeinsame Diskussion darüber mit der antikapitalistischen, sozialistischen, kommunistischen, revolutionären Linken außerhalb der Partei liegt nahe.

Doch auch für diese linken Strömungen und Organisationen außerhalb der PDS – deren mitgliederstärkste nach wie vor die DKP ist – gilt, dass ihre Hoffnungen, Konzepte und Perspektiven kritisch diskutiert werden müssen. Kann eine dieser Organisationen glaubwürdig versichern, die Schaffung einer neuen, starken, glaubwürdigen sozialistischen politischen Kraft und die Schaffung von Mehrheiten in der Bevölkerung für ihre Vorschläge und Positionen könne sich aus dem eigenen Wachstum und Aufbau ergeben? Wenn dies aber niemand kann – und davon sind wir überzeugt – dann muss die partei- und strömungsübergreifende Zusammenarbeit und Debatte viel intensiver und zielgerichteter betrieben werden als bisher.

Manche der kleineren Organisationen wie SAV, Linksruck oder RSB (der sich sogar wie wir als Teil der IV. Internationale versteht) berufen sich auf ganz ähnliche oder die gleichen theoretischen und programmatischen Traditionen wie wir. Warum, könnte man von außen fragen, tun wir uns nicht erst mal mit diesen Gruppen zusammen? Wir beziehen uns positiv auf die "trotzkistische" theoretische und programmatische Tradition und haben keinen Grund, das zu leugnen (obwohl das Etikett ”Trotzkismus” in der Regel mit missgünstiger Absicht aufgeklebt wurde), aber wir beziehen uns auch kritisch darauf, so wie dies auch die große Mehrheit der IV. Internationale tut. Die Geschichte des Trotzkismus ist eine Geschichte, derer sich niemand schämen muss, aber er ist keine Erfolgsgeschichte. Mit denjenigen, die die Lösung in der Einheit der revolutionär(st)en Trotzkisten – in der Einheit mit sich selbst – sehen, verbindet uns weniger als mit manchen, die vom Trotzkismus noch nie was gehört oder gelesen haben. Wir haben kein Interesse an der Schaffung künstlicher selbstbezogener Milieus, die ihr Selbstbewusstsein daraus ziehen, ”immer recht gehabt” zu haben und neuen Rekruten drei bis vier Dutzend althergebrachter Wahrheiten einzutrichtern. Auch Gruppen, die sich auf den Trotzkismus beziehen, messen wir daher an ihrem Verhältnis zu den realen Bewegungen und an ihrer Bereitschaft, sich konstruktiv in den Prozess der linken Neuformierung einzubringen.

Programmatische Erneuerung

Sowenig linke Neuformierung sich jenseits realer Bewegung künstlich schaffen lässt, sowenig kann sie jenseits programmatischer Positionsbildung als formale Anforderung an die Bereitschaft sich zusammenzuschließen formuliert werden. Fünf Essentials einer neuen politischen Kraft der Linken aus unserer Sicht wären etwa:

1. Das Ziel einer anderen, eine solidarischen, einer klassenlosen sozialistischen Gesellschaft, Sozialisierung, Kommunalisierung und Demokratisierung von Privat- und Staatseigentum statt Privatisierung. Brechung der Macht des Kapitals durch Vergesellschaftung der Industrien, Banken und Versicherungen zugunsten einer sozialistischen Demokratie.

2. Klare Abgrenzung von erziehungsdiktatorischen Modellen, die mit den bürokratischen Herrschaftsformen in den vormals angeblich ”real-sozialistischen” Ländern in Verbindung gebracht werden; klares Bekenntnis zur Wahrung und Ausdehnung aller demokratischen Rechte und Freiheiten von Anfang der sozialistischen Umwälzung an, einschließlich des Mehrparteiensystems im Rahmen neuer, von den abhängig Beschäftigten und heute Unterdrückten geschaffener demokratischer Institutionen.

3. Bekenntnis zum Primat der außerparlamentarischen Bewegung und entsprechende Praxis über einen längeren Zeitraum. Zweck sozialistischer Politik ist die Förderung eines Selbstbefreiungsprozesses der abhängig Beschäftigten und aller Ausgebeuteten und Unterdrückten, in dessen Verlauf durch Selbstaktivität und Selbstorganisation von unten die Keimformen einer qualitativ neuen Art von Demokratie entstehen, die ihrerseits eine Dynamik in die Richtung der Beseitigung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen in sich trägt. Für uns heißt Politik in den Institutionen der bürgerlichen Demokratie, diese in den Dienst der Mobilisierung jener zu stellen, die ansonsten nur als Objekt der Entscheidungen von oben und bestenfalls als Stimmvieh behandelt werden.

4. Frontstellung gegen jeglichen Nationalismus und gegen nationalbornierte Politik und nationale ”Standort”logik, für konsequenten Internationalismus und Teilnahme an den internationalen Mobilisierungen gegen die kapitalistische Globalisierung, Teilnahme am linken Neuformierungsprozess in Europa und in der ganzen Welt. Diese Haltung beginnt ”vor der eigenen Haustür”, beim bedingungslosen Kampf für die Interessen der Flüchtlinge und der EinwanderInnen und für die Herstellung der Klassensolidarität mit ihnen. Dazu gehört nicht nur die Gegnerschaft zur NATO und zu Bundeswehreinsätzen im Ausland, sondern auch die Ablehnung der Bundeswehr als stehendes Heer sowie aller politischen und gegen Fluchtbewegungen von Menschen gerichteten Repressionskräfte des Staates.

5. Ausarbeitung der Umrisse eines Aktionsprogramms im Interesse der Lohnabhängigen, der Frauen, der Jugendlichen und aller Ausgegrenzten mit Antworten auf die dringendsten Probleme: Gegen Erwerbslosigkeit und Sparpolitik, gegen die Angriffe auf den Lebensstandard, gegen die Militarisierung der Politik – Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich, o
ffensive und egalitäre Tarifpolitik der Gewerkschaften bis hin zu Festgeldforderungen und automatischer Anpassung der Löhne an die Preisentwicklung, garantiertes Mindesteinkommen für alle, flächendeckende und qualitativ ansprechende Ausstattung mit Kindertagesstätten, Kindergärten und Ganztagsschulen, die jeder und jedem Erwachsenen ohne Nachteil ein normales Erwerbsleben ermöglichen, Konversion der Rüstungsproduktion und aller übrigen schädlichen Produktionen, öffentliche gesellschaftlich und ökologisch nützliche Beschäftigungsprogramme, dafür Umverteilung von oben nach unten, also das Geld denen wegnehmen, die es haben, zuerst mittels einer scharf progressiven Einkommenssteuer und einer Wiedereinführung der Vermögenssteuer, demokratische Diskussion und Entscheidung der ganzen Bevölkerung über die Verwendung der öffentlichen Gelder, wobei die Erfahrungen des Beteiligungshaushalts in Porto Alegre ein Vorbild oder wenigstens ein wichtiger Bezugspunkt sein können.

Das letzte dieser Essentials ist wichtig, um einen Weg zwischen der Logik der Anpassung und der Logik eines sterilen Propagandismus zu finden. Dafür ist es notwendig, an der Strategie der Übergangsforderungen anzuknüpfen, die auf dem vierten Weltkongress der Kommunistischen Internationale formuliert und später vom Stalinismus ausradiert und seither als ”trotzkistische Spezialität” abgetan wurde. In diese Tradition gehören auch die klassischen Formulierungen von Rosa Luxemburg in ihrer Streitschrift zu ”Sozialreform und Revolution”.

Die Abgrenzung vom ”Reformismus” besteht nicht darin, dass der Reformismus für Reformen kämpft und der revolutionäre Sozialismus nicht. Im Gegenteil: Der Reformismus muss auf Reformen – auf Verbesserungen im Rahmen des bestehenden Systems – oder sogar auf die Verteidigung bestehender Errungenschaften in dem Maße verzichten, wie er sein Schicksal an den Fortbestand des Kapitalismus und an die Profitinteressen des Kapitals knüpft.

Dagegen schlagen wir den Kampf für die Verteidigung von Errungenschaften und für Verbesserungen der Lebenslage der abhängig Beschäftigten, der Unterdrückten und Ausgegrenzten vor – ohne Rücksicht auf die Profitinteressen des Kapitals und auf die Belastbarkeit des kapitalistischen Systems. Hierfür soll die Entwicklung eines Systems von Sofort- und Übergangsforderungen dienen, die an den objektiv gegebenen und subjektiv empfundenen Interessen, sozialen und demokratischen Bestrebungen der abhängig Beschäftigten und Unterdrückten anknüpft und solidarische Lösungen entwirft, auch wenn dies Teillösungen sind. Denn nur im Kampf um konkrete Lösungen, auf Grundlage massenhafter kollektiver Eigenaktivität jenseits des Konkurrenzdrucks und jenseits der Bevormundung in den bestehenden Hierarchien, können große Massen von Menschen zu sozialistischen Einsichten kommen und den bewussten Kampf für eine neue Gesellschaft jenseits der kapitalistischen Klassengesellschaft aufnehmen.

Die Ausarbeitung und Konkretisierung eines solchen konkreten Aktionsprogramms ist eine ständige Aufgabe der sozialistischen Linken und kann nur in engster Tuchfühlung mit der Masse der Gewerkschaftsaktiven und der Aktiven der emanzipatorisch orientierten und kapitalismuskritischen Bewegungen wirksam geleistet werden – aber eine erste Voraussetzung dafür ist natürlich, dass sich die emanzipatorische Linke dieses Problem überhaupt stellt, und dass sie es sich auch gemeinsam stellt und gemeinsam darüber diskutiert.

 

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