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isl

Die Klassenfrage bleibt zentral

01.08.2003

ArbeiterInnenklasse, gesellschaftliche Normalität und radikaler Systemwechsel

Als vor einigen Jahren im Entwurf zu einem neuen Grundsatzprogramm des Deutschen Gewerkschaftsbundes die Behauptung aufgestellt wurde, der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital wäre nicht mehr der entscheidende Gegensatz in der modernen Gesellschaft, blieb der Widerspruch sehr schwach. Ein Teil der gesellschaftlichen Opposition tröstete sich mit "neuen" Analysen: die Linke innerhalb der grünen und ökologisch motivierten Bewegung verteidigte ihre Auffassung, dass "Menschheits"- oder "Gattungsfragen" zum wichtigsten Ausgangspunkt für gesellschaftliche Veränderung geworden wären. Andere, kleinere linke Strömungen theoretisierten einen bereits final fortgeschrittenen Verfaulungsprozess der kapitalistischen Produktionsweise, ein Absterben der "Arbeit" und eine gesellschaftliche Polarisierung an der Frage, ob an diesem System weiter mitgewirkt werden solle. "Post-politische" Verweigerungsbewegung stünde gegen die kollektive Mitmachgemeinschaft aus Kapital, Industriearbeiterschaft, traditioneller Linker und Gewerkschaftsbewegung. Drittens tauchten auch in der globalisierungskritischen Bewegung nicht gerade neue theoretische Ansätze auf: der Widerspruch zwischen Reich und Arm, zwischen Nord und Süd, zwischen "Multitude und Empire" wären Schlüsselfragen, kombiniert mit neuen Erklärungsversuchen, wie die Ausbeutung funktioniere und warum das von Marx formulierte Wertgesetz seine überragende Gültigkeit verloren hätte.

Geradezu mit Leidenschaft wurde die Behauptung von der Entschärfung des Widerspruchs zwischen Lohnarbeit und Kapital von der Sozialdemokratie aufgegriffen und fortgeschrieben. Eine ganze Generation neuer sozialdemokratischer Führer definierte sich über die erneute Auflage einer ”Dritte-Weg-Theorie”. New Labour, die Schröder-SPD und fast alle übrigen europäischen Parteien der Sozialistischen Internationale spürten Aufwind, eine schnöde Rechtsentwicklung und Unterwerfung unter die bürgerliche Politik als modern verkaufen zu können. Ihr kurzfristiger "Erfolg", in fast allen Ländern Europas die Regierung zu stellen oder zu führen, ist schon wieder verrauscht. Mehr als eine traurige Episode der unendlichen Geschichte sozialdemokratischer Unterwerfung unter das Diktat der Konzerne und Militärstrategen der Bourgeoisie ist es nicht geworden. Aber es hat aus deutscher Sicht immerhin dazu geführt, dass ein großer Teil der Grünen, der Gewerkschaftsbewegung und aktuell auch der PDS wieder brav in den von der SPD getrampelten Pfaden stapft. Nimmt man dazu die historisch gesehen verbrecherische Großtat der SPD, dem deutschen Imperialismus die Tür zu neuer ungebremster Großmachtpolitik und militärischen Welteinsätzen geöffnet zu haben, so scheint diese Episode sozialdemokratischer Politik aus der Sicht der Herrschenden glänzend abgeschlossen zu sein.

Für die isl ist der Widerspruch zwischen Lohnarbeit und Kapital nach wie vor die entscheidende Frage über die Zukunft der Menschheit – was nicht bedeutet, dass es der einzige Widerspruch sei, der unsere Gesellschaften durchzieht. Seine Bedeutung nimmt nicht ab, sondern kontinuierlich zu. Sämtliche gesellschaftlichen Probleme sind nur richtig einzuordnen und zu lösen, wenn sie im Kontext dieses Widerspruchs gesehen werden. Wenn beispielsweise ein Konzern wie Siemens heute weltweit 480 000 Lohnabhängige und die davon abhängigen Familien sowie zahllose Zulieferer in 190 Ländern ausbeutet oder wenn der Vorstandsvorsitzende von Nestlé sich damit brüstet, sein Konzern hätte unmittelbaren Einfluss auf den Geschmack (!) von 2 Milliarden Menschen, wird deutlich, dass Produktion und Konsumtion auf dem gesamten Globus überwiegend unter der Herrschaft des Kapitals ablaufen und die Menschen mit ihrer persönlichen und kollektiven, sexuellen, politischen und kulturellen Bewegungssehnsucht davon bestimmt werden.

Die Lohnarbeit nimmt nicht ab, und die "Arbeit" stirbt nicht ab. Die absolute Zahl der Menschen, die ihre Existenz nur durch den Verkauf ihrer Arbeitskraft sichern können, wächst kontinuierlich. Das gilt unabhängig von der konkreten Form der Lohnabhängigkeit: ob Fabrikarbeit, Verwaltungs- oder Dienstleistungsarbeit in Büros, Landarbeit, Tagelöhnerei, Scheinselbständigkeit (Ich-AGs) oder zeitweise Erwerbslosigkeit. Heute ist bereits die Mehrheit der Weltbevölkerung ganz oder teilweise direkt lohnabhängig.

Nur scheinbar im Widerspruch dazu steht die Tatsache, dass gleichzeitig die Erwerbslosigkeit zunimmt. Aber auch Menschen, die aus dem Erwerbsleben ausgegrenzt sind, sind immer noch Teil der lohnabhängigen Klasse: nämlich dazu verdammt, ihre Arbeitskraft zu verkaufen, um leben zu können. Die Tendenz, die man in Gewerkschaften wie auch in der Erwerbslosenbewegung antrifft, Erwerbslose nicht mehr als Teil der Arbeiterklasse zu begreifen, ist falsch und vertieft die Spaltung zwischen Erwerbstätigen und Erwerbslosen, die die Gewerkschaften seit Beginn der Wirtschaftskrise in den 70er Jahren so massiv geschwächt hat.

Die ursprüngliche Akkumulation von Kapital, mit anderen Worten: Die Enteignung von unmittelbaren ProduzentInnen und ihre Verwandlung in LohnarbeiterInnen bestimmt auch heute noch die Entwicklung in vielen Teilen der Erde. In den früheren staatsbürokratisch gelenkten Wirtschaften Osteuropas und Asiens, die keinen Privatbesitz an großen Produktionsmitteln und keinen "Arbeitskräftemarkt" kannten, findet sie flächendeckend statt, mit dem Ergebnis einer gigantischen Privatisierung und Konzentration des gesellschaftlichen Reichtums in sehr wenigen Händen, der Entwürdigung von Millionen gut ausgebildeter Menschen, gesellschaftlicher Massenarmut und einer Brutalität der neuen Kapitalistenklasse, wie wir sie in Westeuropa aus früheren Jahrhunderten kennen.

Der Konflikt, der abhängig Beschäftigte hierzulande gegen Unternehmensleitungen und die ihre Interessen exekutierenden Regierungen bringt, ist grundsätzlich derselbe, der die ArbeiterInnen und Kleinbauern und Kleinbäuerinnen in den Ländern des Südens gegen die großen Konzerne aus dem Norden aufbringt. Nur weil dies so ist, weil es hier eine objektive gemeinsame Interessenbasis gibt, haben sich so verschiedene Gesellschaftsgruppen und Bevölkerungsschichten aus allen Erdteilen in einem gemeinsamen Weltsozialforum zusammenfinden können. Das Sozialforum ist der unmittelbare Ausdruck dieses gemeinsamen Nenners.

Wir akzeptieren nur diese ökonomisch begründete Definition der ArbeiterInnenklasse als der Klasse, die zum Verkauf ihrer Arbeitskraft gezwungen ist. Es ist der meist verbreitete und politisch folgenreichste Fehler linker Gesellschaftsanalyse, diese objektive Definition durch subjektive und "politische" Begriffe zu ersetzen. Er ist immer Ausgangspunkt mehr oder weniger folgenreicher Fehlstrategien, die die Welt nach ihren jeweiligen politischen Wünschen und Interessen formen wollen und dabei die Menschen zu BefürworterInnen oder GegnerInnen ihrer jeweiligen Glaubensgemeinschaft degradieren. Hier treffen sich Sozialdemokraten, die anstelle von ArbeiterInnen nur noch "Arbeitnehmer", "Sozialpartner" oder gar Teile einer "Wertschöpfungsgemeinschaft" kennt, mit der Ultralinken, die als Arbeiter nur noch den politisch bewussten revolutionären Proleten anerkennen, der notfalls, weil in der Realität zu wenig vorhanden, schriftstellerisch vermehrt werden muss, um seinen Beitrag zu den sich angeblich ständig verschärfenden Widersprüchen leisten zu können.

Konstitutiv für die Existenz des Kapitalismus ist weder die Aneignung von massenhafter unbezahlter Arbeitskraft, noch die reproduktive Arbeit überwiegend von Frauen, noch die Vernutzung und Vergeudung natürlicher Ressourcen. Ganz sicher konnte und kann der Kapitalismus ohne diese Faktoren nicht existieren, aber Ausbeutung natürlicher Ressourcen und Aneignung unbezahlter – produktiver wie reproduktiver – Arbeit konnten und können auch ohne kapitalistische Produktionsweise stattfinden. Erst die Verwandlung der Arbeitskraft in eine frei verkaufbare Ware schafft die spezifisch kapitalistische Produktionsweise, die bis heute den Erdball und alle gesellschaftlichen Bereiche dominiert.

Ohne die Verwandlung der menschlichen Arbeitskraft in eine Ware und ohne die Aneignung des durch sie geschaffenen Mehrwerts kann die kapitalistische Produktionsweise nicht existieren. Das beweist die Tendenz des Kapitals, seiner Verwertung immer weitere gesellschaftliche Bereiche unterzuordnen (bisher öffentliche Dienstleistungen, Leistungen der Daseinsvorsorge, gemeinschaftliche Ressourcen in Ländern des Südens).

Eine grundsätzliche Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse muss deshalb an der Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Lohnarbeit ansetzen. Daraus ergeben sich zwingend politische und organisatorische Schlussfolgerungen:

– Die Befreiung der Menschheit vom Diktat des Kapitals und der Lohnarbeit ist ihrem Inhalt nach eine Welt umspannende, internationale Aufgabe.

– Die Befreiung vom Diktat des Kapitals und der Lohnarbeit kann nur gelingen, wenn sie Projekt von und für die überwältigende Mehrheit der Menschen ist; jegliche Form von Stellvertreteraktionen, Erziehungsdiktaturen von Minderheiten oder putschistischen Aufstandsstrategien werden ebenso scheitern wie Versuche, die Emanzipation geographisch oder politisch zu beschränken.

– Die Befreiung vom Diktat des Kapitals und der Lohnarbeit wird eine Vielzahl von Protestbewegungen vereinigen. Ihr Erfolg hängt aber in erster Linie von der Rebellion in den imperialistischen Zentren gegen die dort ansässigen Weltkonzerne und ihre Regierungen ab; sie stellen den gemeinsamen Gegner aller sozialen Proteste auf diesem Globus dar.

Die überwältigende Mehrheit der Menschen in Deutschland ist Teil der ArbeiterInnenklasse, d.h. gezwungen, zum Lebenserhalt die Arbeitskraft an kapitalistische Unternehmen zu verkaufen, oder er/sie ist Familienangehörige/r, Rentner/in oder Erwerbslose/r, für die prinzipiell dieselbe Abhängigkeit besteht. Auch in Deutschland lassen sich fast alle Kämpfe und sozialen Interessenkonflikte auf Kämpfe um die Rahmenbedingungen der Kapitalverwertung und des Verkaufs der Ware Arbeitskraft zurückführen: Es sind Kämpfe um Arbeitslohn, Arbeitszeit, Arbeitsbedingungen, aber auch um Bildung, Absicherung im Alter und gegen Krankheit und die Bedingungen der Reproduktion der Arbeitskraft in Freizeit und Konsum.

Diese Tatsache kann eine andere nicht verdunkeln: die sprunghaft zunehmende Tendenz zu vermehrten tiefen Spaltungslinien innerhalb der Arbeiterklasse. Diese Spaltungslinien sind zum Teil so alt wie die Klassengesellschaft selbst – das gilt vor allem für die Spaltung zwischen Männern und Frauen; zum Teil sind sie Folge der nationalstaatlichen Organisierung des Kapitals (Definition von Staatsbürgerschaft und Diskriminierung von Ausländern). Zum Teil sind sie aber Folge der Krisenhaftigkeit der kapitalistischen Entwicklung und der neoliberalen Offensive des Kapitals: die Abwehr von Flucht und Migration, die Spaltung in Erwerbslose und Erwerbstätige, in RentnerInnen und BerufsanfängerInnen, in prekär Beschäftigte und Menschen mit einem unbefristeten und ordentlich bezahlten Arbeitsvertrag, in ”Legale” und ”Illegale”, Ost- und Westdeutsche usw.

Diese Spaltungslinien bewirken teilweise sehr unterschiedliche Lebensbedingungen und auf den ersten Blick unterschiedliche unmittelbare Interessen, die das Kapital sich zunutze macht, um seine Interessen besser durchzusetzen (Beispiel: Riesterrente, bei der argumentiert wurde, das Festhalten am Umlageverfahren benachteilige die Jungen gegenüber den Alten, die nur auf Besitzstandswahrung aus seien).

Die Segmentierung und Prekarisierung der lohnabhängigen Klasse ist dabei nicht allein Ergebnis objektiver ökonomischer Entwicklungen, sondern auch der vergangenen Klassenauseinandersetzungen, der Versäumnisse und des Versagens von Gewerkschaftsführungen in diesen Kämpfen. Ihr früheres subjektives Handeln ist zu einem Teil der objektiven Gegebenheiten geworden, die wir heute vorfinden.

Die Arbeiterklasse ist heute großen Angriffen der Unternehmer ausgesetzt. Was sich hinter den modischen Begriffen ”Neoliberalismus” und ”Globalisierung” verbirgt, ist in der Substanz eine knallharte Unternehmeroffensive mit zwei grundsätzlichen Zielsetzungen: erstens sollen die Löhne generell gesenkt werden, und zweitens sollen die allgemeinen Standortbedingungen des Kapitals im eigenen Land in Bezug zum weltweiten Konkurrenzkampf verbessert werden, einschließlich aller militärischer Optionen.

Die Operation ”Senkung der Löhne” (die einschlägige Parole lautet: ”Die Arbeit ist zu teuer”) tritt auf mehreren Schlachtfeldern an:

* die kollektiven Schutzeinrichtungen – das historisch-moralische Element im Preis der Ware Arbeit
skraft – sollen weitgehend abgeschafft werden: die EU organisiert mit ihren Nationalen Aktionsplänen geradezu einen Wettlauf um die billigsten sozialen Sicherungssysteme – d. h. um den niedrigsten Standard im Schutz bei Erwerbslosigkeit, im Alter, gegen Krankheit. Wer sich in Zukunft sozial absichern will, soll dies zusätzlich aus eigener Tasche bezahlen;

* die Lohnersatzzahlungen (Arbeitslosengeld und -hilfe) werden drastisch gekürzt bzw. abgeschafft, die Sozialhilfe aufgegeben zugunsten eines neuen Fürsorgeprinzips: die damit verbundene Senkung der Armutsgrenze soll den Druck auf die Löhne steigern und die Einführung eines breiten Niedriglohnsektors ermöglichen, in dem deutsche mit polnischen oder koreanischen Löhnen konkurrieren;

* zwischen das "Normalarbeitsverhältnis", das zunehmend ausgehöhlt wird, und die Erwerbslosigkeit legt sich damit eine wachsende Schicht prekärer Beschäftigungsverhältnisse, die eine neue soziale Realität in der ArbeiterInnenklasse schaffen: Heimarbeit, Zeitarbeit, Scheinselbständigkeit, nur noch befristete Beschäftigung und somit den ständigen Druck, sich zu jedem Preis und jeder Arbeitsbedingung zu verkaufen, weil der tarifliche und gesetzliche Schutz der Arbeitskraft gesprengt wurde. Damit wird zugleich die Arbeitsdisziplin erhöht und ein Mittel geschaffen, das die Beschäftigten davon abhalten soll, sich gewerkschaftlich zu organisieren;

* die weltweite Konkurrenz um den höchsten Profit drängt zu stetiger Steigerung der Produktivität, d.h. des Ausbeutungsgrads, und Senkung der Lohnkosten – z.B. durch die Aushöhlung der Flächentarifverträge und Einführung produktivitätsorientierter Löhne;

* die Senkung arbeitsrechtlicher Standards (wie Kündigungsschutz, Urlaubsregelungen, Jugendschutz etc.);

* die Einschränkung gewerkschaftlicher Rechte;

* die Senkung und Privatisierung der Kosten für Bildung und Ausbildung.

Die gewerkschaftlichen Konzepte, die in der Nachkriegszeit auf dem Boden eines anhaltenden ”Wirtschaftswunders” als erfolgreich gegolten haben, reichen heute hinten und vorn nicht mehr. Der Sozialstaat BRD fußte auf dem Flächentarif, auf der Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, der Rentenanpassung an die Lohnentwicklung, der Abkehr von der Fürsorge durch ein Sozialhilfegesetz, das die Orientierung am tatsächlichen Bedarf festschrieb, auf der Einführung einer Arbeitslosenhilfe, die Langzeiterwerbslose vor dem Fall in die Armut bewahrte, und schließlich auf bedeutenden Lohnsteigerungen in den 70er Jahren und dem Einstieg in die 35-Stunden-Woche in den 80er Jahren. Diese gesetzlichen wie tariflichen Maßnahmen konnten durchgesetzt werden vor dem Hintergrund von Wirtschaftswachstum und einer relativen Vollbeschäftigung.

Heute ist dieser Hintergrund nicht mehr gegeben. Die Produktivität wächst seit vielen Jahren schneller als das Bruttosozialprodukt. Im Zusammenhang damit, dass die Konkurrenz auf den Weltmärkten sich verschärft, führt dies dazu, dass die Millionenarbeitslosigkeit – die offene und die verdeckte – weiter zunehmen wird.

Kapital und Regierungen stellen heute alle Elemente, die den alten Sozialstaat ausgemacht haben, bis hin zur Sozialpartnerschaft, grundsätzlich in Frage. Die Europäische Union koordiniert Politiken ihrer Mitgliedstaaten, die ein europaweites Lohn- und Sozialdumping in Gang setzen – verbunden mit der Konkurrenz um die niedrigsten Steuersätze.

Um diese gesellschaftszerstörerische Tendenz wieder umzukehren, bedarf es einer Vielzahl von Kämpfen für tarifliche und gesetzliche Forderungen, im nationalen wie im internationalen Maßstab, die miteinander koordiniert werden müssen, damit sie eine zusammenhängende Strategie ergeben.

Das wichtigste Sofortziel, für das es den Kampf zu organisieren gilt, ist unter diesen Bedingungen die Ausschaltung der Konkurrenz innerhalb der Arbeiterklasse:

* durch gleichmacherische Lohnforderungen, so für Festbeträge, die die Schere zwischen den Einkommen verringert, und für "positive Diskriminierung", also für besondere Förderung ungleich und schlechter behandelter Teile der ArbeiterInnenklasse;

* durch weltweit gleichen Lohn für gleiche Arbeit; europaweit ein einkommensunabhängiges und individuelles Mindesteinkommen (Grundeinkommen) für Menschen ohne Erwerbsarbeit in Höhe von 50% des BIP pro Kopf; ein europaweiter Mindestlohn, der darauf aufsetzt;

* durch Beibehaltung und Ausbau des Solidarprinzips in der Sozialversicherung: nach Einkommen progressive Beteiligung aller Bevölkerungsschichten an der Finanzierung einer gesetzlichen Vorsorge für Gesundheit und Alter, Bildung;

* durch radikale Arbeitszeitverkürzung europaweit und Umverteilung aller gesellschaftlich notwendigen Arbeit. Hierzu müssen die Gewerkschaften eine neue Kampagne starten – zum Beispiel unter der schönen Parole "Halbierung des Arbeitstages bei vollem Lohnausgleich";

* die Kampagne muss verbunden werden mit einer breiten Debatte über anstrebenswerte Produktionsziele und eine neue geschlechtliche wie internationale und regionale Arbeitsteilung;

* durch ein Niederlassungsrecht, verbunden mit dem Recht auf Inanspruchnahme sozialer Leistungen für alle, die hier ihren Lebensmittelpunkt haben;

* Einführung von weitgehenden Entscheidungsmöglichkeiten von Belegschaften über ihre Arbeitsbedingungen und Bürgerschaften/Gemeinden über die wirtschaftliche Verwendung von Steueraufkommen.

Alle politischen wie theoretischen Ansätze, die ihren Ausgangspunkt nicht in dem haben, was die verschiedenen Teile der lohnabhängigen Klasse miteinander verbindet, sondern in dem, was sie trennt, sind zum Scheitern verurteilt.

Die zentrale Aufgabe besteht darin, das objektiv gemeinsame Interesse zwischen den Lohnabhängigen auf der Welt herauszuarbeiten und dieses zur Grundlage des Handelns und der Organisation zu machen. Dabei müssen die Interessen der besonders Benachteiligten besonders berücksichtigt werden.

Die Einheit der ArbeiterInnenklasse herzustellen – ob mit oder ohne deutschen Pass, ob erwerbslos oder erwerbstätig, ob männlich oder weiblich, ob jung oder alt, ob mit unbefristeter oder mit befristeter Anstellung, ob mit oder ohne Studienabschluss -, und zwar keine hierarchische Einheit, sondern eine Einheit im Respekt der Vielfalt, ist die strategische Aufgabe schlechthin. Es gibt heute keine Organisation der unmittelbaren Interessenvertretung, die diese Einheit zum Ausdruck bringen würde. Auch die Gewerkschaften sind weit davon entfernt. Es müssen deshalb alle Beteiligten aktiv nach einem gemeinsamen Rahmen für gemeinsames Handeln suchen. Die Sozialforen können ein solcher Rahmen sein, wenn sie in dieser Funktion akzeptiert werden.

 

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