TEILEN
Betrieb & Gewerkschaft

Die IG Metall nach dem Streik

Von B.B. | 01.09.2003

Bereits in der letzten Avanti kritisierten wir die unzureichende Streikführung des ostdeutschen MetallarbeiterInnenstreiks für die 35-Stunden-Woche.

Bereits in der letzten Avanti kritisierten wir die unzureichende Streikführung des ostdeutschen MetallarbeiterInnenstreiks für die 35-Stunden-Woche.

In Stichworten lautete unsere Kritik: Unzureichende Vorbereitung des Streiks vor allem in Westbetrieben; Schwächung der Kampffront durch frühzeitige Angebote an die Gegenseite und vorzeitiger Abschluss bei Stahl sowie Haustarifverträge in kampfstarken Betrieben.
Ein politischer Streik
Der Streik in Ostdeutschland war schlecht geführt. Aber die Arbeitszeitverkürzung ist das genaue Gegenteil dessen, was Kapital und Regierung gebrauchen können. Sie setzen wie in NRW auf Arbeitszeitverlängerung. Es ging bei der Tarifrunde um die einzig aktuelle alternative Antwort auf die Massenerwerbslosigkeit. Und diese Alternative versuchten Regierung & Kapital öffentlich zu diskreditieren. Genau an diesem Punkt hatte der gesamte IGM-Vorstand die politische Brisanz der Arbeitszeitfrage vollkommen unterschätzt. Gesamtmetall erlaubte keinen Kompromiss.

Aber es ging auch um die neoliberale Offensive. Eine halbwegs erfolgreicher Streik hätte alle Kräfte des Widerstands gegen die Agenda 2010 bestärkt. Die IGM unter einem Vorsitzenden Peters hätte jederzeit zum Zentrum neuer Proteste gegen den Neoliberalismus werden können, so gemäßigt ihre Haltung auch gewesen sein mag. Es handelte sich also nicht nur bloß um eine Tarifrunde, sondern um einen Streik mit großen politischen Auswirkungen.

Das hatte keiner so schnell verstanden wie Kanzler Schröder. Wir waren nicht bei dem Spitzengespräch, dass er mit IGM-Zwickel führte, aber höchstwahrscheinlich drohte der Kanzler mit der Änderung des § 77,3 BetrVG (Tarifvorbehalt), wenn nicht endlich der Streik beendet wird. Für diese Annahme spricht vor allem das offiziell angekündigte Projekt der Regierung im Rahmen der Agenda 2010 und Schröders Rede vor dem Bundestag. Und dann machte sich Herr Zwickel an die Arbeit.
Worum es bei der IG Metall ging
Das eigenmächtige Abblasen des Kampfes ist deswegen ein tatsächlicher Verrat, weil weder die betroffenen KollegInnen, noch die Tarifkommission, noch der Vorstand insgesamt dies so beschlossen hatten. Aber es war keine einsame Entscheidung des allmächtigen Vorsitzenden. Dem ging vielmehr eine Kampagne einflussreicher IGM-Vorstandsmitglieder aus der Automobilindustrie voraus. Sie fühlen sich in ihrem Standortdenken als Co-Manager dem "eigenen" Betriebe verpflichtet und hintertrieben ohne Skrupel offen die gewerkschaftlichen Positionen.

Um den Abbruch des Streiks, der in jedem Fall von der Mitgliedschaft als schwere Niederlage begriffen werden musste, irgendwo rechtfertigen zu können, entschlossen sich die ModernisiererInnen um Zwickel zu einer klaren Schuldzuweisung: Schuld am Scheitern des Streiks sei der IGM-Vize Peters. Er solle seine Kandidatur zum IGM-Vorsitzenden zurückziehen.

Hier unterlief den MondernisiererInnen ein folgenschwerer Fehler. Durch das Medienecho wuchs der Streit Zwickel – Peters über die Köpfe der Beteiligten hinaus und wurde zur öffentlichen Auseinandersetzung. Viele Vertrauensleute begriffen, dass es mehr als um Personen ging: Beibehaltung des traditionellen IGM-Kurses oder Umwandlung in eine IGBCE.
Es ging um mehr als um Personen
Die Spitze der "TraditionalistInnen" war und ist Teil des zentralen Apparats der IG Metall. Doch wurde in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung ihre Position neu bestimmt. Peters & Co. stehen nicht für eine Position der Gegenmacht, weil sie sich in der Vergangenheit dazu bekannt hätten. Sie standen während des Streiks dafür, weil sie mit sehr bescheidenen Forderungen und Mobilisierungen in der Praxis Positionen einnahmen, die nur deshalb Gegenmachtpositionen wurden, weil sie ungewollt in eine Phase der neoliberalen Offensive fielen und ihr völlig widersprachen.

Dabei standen und stehen sich in der IGM nicht nur zwei bürokratische Apparatfraktionen gegenüber. Die Metallgewerkschaft ist vielmehr von oben nach unten in mindestens drei Teile gespalten: die "ModernisiererInnen", die "TraditionalistInnen" und drittens in diejenigen, die möglichst schnell den Konflikt und Peters begraben wollten, weil sie die "öffentlichen Auseinandersetzungen" fürchten und das Meinungsmonopol der Führung in Frage gestellt sehen. Diese dritte Richtung will vor allem die Einheit der Meinungen statt die in der Aktion.
Wie verhalten?
In der Frage "TraditionalistInnen" oder "ModernisiererInnen" durfte die Gewerkschaftslinke nicht neutral bleiben. Der Ausgang entscheidet über eine recht unterschiedliche Politik mit allen Konsequenzen, die dies für die IGM und für die Kampfbedingungen der Klasse hat. Weil keine der Richtungen die andere ausbooten konnte, suchten und fanden sie einen vorläufigen Kompromiss. Für RevolutionärInnen, die ja die Gewerkschaften als potentielle Kampforganisation erhalten wollen, gab es während des Konflikts keine andere Wahl als die "TraditionalistInnen" zu unterstützen – ohne auch nur ein Jota von der Kritik an Peters & Co. zurückzunehmen. Die bisherige Strategie zur Verteidigung der elementaren Rechte der Lohnabhängigen reicht nicht aus. Wer die gewerkschaftliche Macht verteidigt, muss den Liquidierungskurs der Bürokratie entschiedener und wirkungsvoller bekämpfen. Die bürokratische Macht muss innerhalb der Gewerkschaften durch die Bildung einer klassenkämpferischen Gewerkschaftstendenz offen und deutlich herausgefordert werden.

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite