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Länder

Die Flüchtlingsfrage ist eine Systemfrage

Von Politisches Sekretariat des RSB | 28.10.2015

Auch unabhängig vom Fortgang des Kriegs in Syrien und dem Irak ist doch eines absolut sicher: Die Flüchtlingsströme auch und gerade nach Europa werden in der kommenden Zeit anhalten.

Das Elend ist auch dort groß, wo kein Krieg wütet. Zu groß sind auch die Verheerungen, die durch kapitalistische Ausbeutung, imperialistische Beherrschung und ökologische Zerstörungen verursacht werden.

Nach allen Prognosen von Klimaforscher­Innen werden die Zahlen von Klimaflüchtlingen in den nächsten Jahrzehnten noch steigen. Und auch die Auseinanderentwicklung zwischen Arm und Reich wird weiter zunehmen, sowohl innerhalb der verschiedenen Länder wie auch zwischen den Industrieländern und der unterentwickelt gehaltenen „Dritten Welt“. Der Druck zur Auswanderung oder auch zur Flucht wird nicht abnehmen, sondern sich im Gegenteil noch verstärken.

Die Politik der Herrschenden in einem Dilemma

Zurzeit – wenn auch wohl nur kurzfristig – ist die offizielle Politik in einer gewissen Defensive, in Deutschland und in Europa, und zwar aus zwei Gründen, die eng miteinander zusammenhängen:

Erstens: Weiterhin ist die Politik der Festung Europa nicht aufgegeben und weiterhin wirkt sie sehr brutal. Was von der europäischen Wertegemeinschaft zu halten ist, sehen wir nicht zuletzt an den wieder eingeführten Grenzkontrollen, Stacheldrahtzäunen und Wasserwerfern. Das wird sich auch so schnell nicht ändern, auch nicht mit einem „Einwanderungsgesetz“, von dem wir nichts Gutes zu erwarten haben.

Diese Politik kann die gewaltigen Flüchtlingsströme nicht aufhalten. Waren nach der Änderung des Grundgesetzes (1993 weitgehende Abschaffung des Grundrechts auf Asyl nach Art. 16 GG) jahrelang die Zahlen der hier ankommenden Geflüchteten und darüber der Asylbewerber­Innen (ein eigentliches Flüchtlingsrecht gibt es hier nicht) zurückgegangen (bis auf deutlich unter 100 000; im Jahr 2006 wurden gerade mal 21 029 Asylanträge gestellt), so sind es 2015 jetzt schon mehr als vor der Änderung von Art. 16 GG (der Höhepunkt damals war 1992 mit über 438 000 Anträgen, danach wirkte eine ganze Zeit lang die Festung Europa; inzwischen ist der Flüchtlings- bzw. Auswanderungsdruck bei den Betroffenen deutlich angestiegen).

Zweitens: Die Bevölkerung ist zwar richtiggehend gespalten in Rassist­Innen und solche, die entweder der Sache gegenüber indifferent sind oder Geflüchtete willkommen heißen. Aber im krassen Gegensatz zu den 1990er Jahren gibt es heute eine riesige Hilfsbereitschaft von Tausenden und Abertausenden Menschen. Hier wirkt ganz offensichtlich menschliche Regung und Solidarität angesichts der seit Monaten und Jahren anhaltenden Berichte über die Ertrunkenen und die Tatenlosigkeit der offiziellen Politik gegenüber diesem massenhaften menschlichen Leid. Nicht wenige sehen auch ganz klar, dass es sich nicht nur um „Tatenlosigkeit“ handelt, sondern um bewaffnete Aktionen gegen Hilfesuchende. Aufgrund der wachsenden moralischen Empörung in einem beachtlichen Teil der Bevölkerung sind sowohl die großen Medien wie auch die herrschenden Politiker­Innen in die Defensive geraten. Die CSU ist heute Vorreiterin einer Politik, die mehr und mehr Länder zu „sicheren Drittstaaten“ erklärt, aber selbst das steht heute unter einem gewissen Druck der kritischen Öffentlichkeit.

Die Wiedereinführung von Grenzkontrollen auch von deutscher Seite ist noch keine völlige Umkehr der – im Vergleich zu früheren Jahren – massenhaften Aufnahme von Geflüchteten, aber ein wichtiger Baustein im angestrebten Rollback. Dazu gehört auch der Einsatz der Bundeswehr vor den Küsten Afrikas zur Zerstörung von Booten, die von Flüchtenden genutzt werden könnten.

Die Kombination aus offensichtlich gewordener Unfähigkeit bzw. mangelnder Bereitschaft der offiziellen Politik, hier helfend einzugreifen und die Politik der Abschottung aufzugeben, auf der einen Seite und das massenhafte Engagement vieler Menschen auf der anderen Seite ist keine alltägliche Erscheinung. Sie bildet für die überschaubare Zeit eine gute Grundlage, um über linke Kreise hinaus bestimmte politische Analysen und Vorschläge zu verbreiten. Dabei liegen die Schwerpunkte unseres Engagements:

  • auf der Verteidigung von Geflüchteten gegen rassistische Angriffe.
  • in der praktischen Hilfe bei Behördengängen und dergleichen
  • in der praktischen Hilfe im Alltagsleben (angefangen bei Deutschkursen bis zur Arbeitssuche, der Verteilung von Hilfsgütern usw.)


Welche unmittelbaren Forderungen vertreten wir?

Weg mit der Festung Europa! Keine Abschottung! Schaffung von legalen Einreisemöglichkeiten. Keine von der EU installierte oder geförderte „Auffanglager“ in den Herkunftsländern der Flüchtenden bzw. in den Transitländern!

  • Keine weitere Verschärfung des Asylrechtes – Wiederherstellung des Asylrechtes von vor 1993!
  • Weg mit der rassistisch motivierten Ausweitung der „sicheren Herkunftsländer“, etwa des Westbalkans, wo gerade Sinti und Roma unterdrückt werden.
  • Ausreichende materielle Hilfe für die Geflüchteten (menschenwürdiger Wohnraum usw.); keine Sachleistungen bei der Hilfe für den Lebensunterhalt.
  • Beschlagnahmung ungenutzter Wohnungen.
  • Arbeitsrechtliche und sozialrechtliche Gleichstellung mit anderen Bedürftigen
  • Für eine uneingeschränkte Arbeitserlaubnis.


Welche Perspektiven?

Wir wollen deutlich machen: Es geht nicht darum, einen „gerechten“ Verteilungsschlüssel für die Aufnahme von Flüchtlingen in Europa durchzusetzen. Wir hinterfragen die Trennung der Bevölkerung durch Grenzen generell. Allein die Kategorisierung in „Wirtschaftsflüchtlinge“ und solche mit „legitimen“ Fluchtmotiven ist perfide. Die Fluchtursachen müssen bekämpft werden. Sie liegen in der die Ungleichheit erzeugenden Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung, sprich: im Kapitalismus. Dieses System ist verantwortlich für Hunger, Elend, Krieg und Umweltzerstörung. Jedes einzelne dieser Momente für sich allein genommen erzeugt schon Millionen von Flüchtlingen.

Es braucht eine andere Gesellschaftsordnung, die allen Menschen ein auskömmliches Leben ermöglicht.

Welche grundlegenden Veränderungen sind deshalb nötig und müssen erkämpft werden?

a) Ein absolutes Verbot des Waffenexports. Schluss mit der Rüstungsproduktion.
b) Kein Einsatz der Bundeswehr. Deutschland raus aus der NATO. Bundeswehr abschaffen. NATO auflösen.
c) Schluss mit den ungleichen Handelsbedingungen (z. B. alles, was sich aus dem Lomé-Abkommen ableitet oder beispielsweise das Fische
reiabkommen der EU mit den westafrikanischen Staaten, was der dortigen Fischerei die Existenzgrundlage raubt usw. Die Beispiele für unfaire Handelsbeziehungen gegenüber den Ländern der „Dritten Welt“ sind endlos, von den ganz normalen Auswirkungen der kapitalistischen Konkurrenz mal ganz abgesehen.

d) Weg mit IWF, Weltbank und WTO, nicht nur wegen der Strukturanpassungsprogram­me des IWF, sondern auch, weil die Abkommen der WTO die Konkurrenzbedingungen verschärfen.
e) Kein TTIP, CETA, TISA oder vergleichbare Verträge.

TiPP
Zu Nahrungsmittelexporten nach Afrika, zum Land-Grabbing usw. siehe auch H.-U. Hill in Inprekorr 2/2015; www.inprekorr.de.

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