TEILEN
Innenpolitik

Die antikapitalistische Linke und die Linkspartei: Blankovollmacht für Gysi-Lafontaine

Von B.B. | 01.07.2006

{mosimage} 

Die oppositionelle Linke in der sich vereinigenden Linkspartei hat innerhalb von nur neun Wochen drei bundesweite Treffen hinter sich gebracht. Mit ihrem Berliner Aufruf stellte die „antikapitalistische Linke“ den Vorständen von WASG und PDS eine Blankovollmacht für die Fusion aus. m 10. Juni traf sich die „antikapitalistische Linke“ aus WASG und Linkspartei-PDS (L-PDS) in Berlin. Davor tagten bereits eine Konferenz der „Linken Opposition“ der WASG am 20. Mai in Kassel und am 9. April ein „Linkentreffen“ ebenfalls in Berlin.

Die oppositionelle Linke in der sich vereinigenden Linkspartei hat innerhalb von nur neun Wochen drei bundesweite Treffen hinter sich gebracht. Mit ihrem Berliner Aufruf stellte die „antikapitalistische Linke“ den Vorständen von WASG und PDS eine Blankovollmacht für die Fusion aus.

Am 10. Juni traf sich die „antikapitalistische Linke“ aus WASG und Linkspartei-PDS (L-PDS) in Berlin. Davor tagten bereits eine Konferenz der „Linken Opposition“ der WASG am 20. Mai in Kassel und am 9. April ein „Linkentreffen“ ebenfalls in Berlin. Wo so viel Zeit, Energie, Geld und Nerven auf internen Sitzungen investiert werden, die z.B. für die Mobilisierung zum 3.6. fehlten, geht es mehr als nur um die Regierungsfrage. In Berlin und Kassel wurden Weichen für die Neuformierung der oppositionellen Linken in der Linkspartei gestellt.
Wer ist wer?
Innerhalb der WASG bzw. L-PDS bilden sich auf dem linken Flügel zwei unterschiedliche Strömungen heraus:

  • •    Das kleinere „Linkentreffen“ zu dem 60 Interessierte erschienen waren, ist stark von der SAV beeinflusst. Diese Oppositionsströmung in der WASG konzentriert ihre Kritik auf die Beteiligung der L-PDS an den neoliberalen Landesregierungen in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin.
  • •    Die „antikapitalistische Linke“, die sich mit 80 UnterstützerInnen in Berlin traf, ist schon deshalb größer, weil sie in der WASG und in der PDS wirkt. Hier arbeiten u. a. isl, DIDF und die Kommunistische Plattform (KPF) Sarah Wagenknechts zusammen. Ihre politische Grundlage unterscheidet sich qualitativ nicht von der der früheren PDS-Linken um Winfried Wolf.
  • •    Bei der strömungsübergreifenden Versammlung der „Linken Opposition“ der WASG in Kassel waren sich fast alle 280 Anwesenden einig, nach dem Parteitag in Ludwigshafen, der die Politik der WASG-Führung um Lafontaine-Ernst bestätigte, in der Wahlalternative weiter zu arbeiten. Es ging aber auch darum, welche der beide Richtungen – „Linkentreffen“ oder „antikapitalistische Linke“ – sich innerhalb der linken Opposition durchsetzen wird. Viele Einzelpersonen hatten sich bislang noch für keine der beiden Tendenzen entschieden. Dass die moderate „antikapitalistische Linke“ dem radikaleren „Linkentreffen“ das Wasser abgraben wird, ist nicht nur offensichtlich, sondern auch ihre Funktion (s. Kasten).

Vor der Fusion für die Fusion
Bis Mitte Juni unterschrieben 583 Mitglieder von L-PDS und WASG den Aufruf „Für eine antikapitalistische Linke“. Das ist bei ca. 17 000 Mitgliedern von WASG und PDS in West-Deutschland und 63 000 der PDS in Ost-Deutschland erschreckend wenig. Weil die Unterzeichnenden zu den aktiven Elementen gehören, sind sie auf der Funktionärsebene der WASG bislang überrepräsentiert, was zu einer Überschätzung des eigenen Einflusses führt. Die Masse der Mitglieder der Wahlalternative steht eindeutig hinter Lafontaine, Maurer und Ernst, so wie die der L-PDS hinter Gysi und Bisky stehen. Damit zeichnet sich ab, welchen Platz die „antikapitalistische Linke“ innerhalb der Linkspartei zugewiesen bekommt: Sie wird dort morgen eine ähnlich bescheidene Rolle spielen, wie sie gestern die Linke um Winfried Wolf und Sarah Wagenknecht in der PDS spielte.

Während sich das „Linkentreffen“ noch nicht festgelegt hat, ob es in die fusionierte Partei eintreten wird (bzw. dabeibleiben wird), hat sich die Versammlung der „antikapitalistischen Linken“ bereits vor der Fusion für die Fusion entschieden. Mit ihrer Erklärung des Treffens vom 10. Juni „Gegenmacht organisieren – Gesellschaft verändern“ legte sich die „antikapitalistische Linke“ auf die Arbeit in der zukünftigen gemeinsamen Linkspartei fest – unabhängig von den anstehenden Diskussionen und konkreten Bedingungen des Fusionsprozesses. Eine angepasstere Haltung zum Vereinigungsprozess ist kaum vorstellbar. Zu dieser Blankovollmacht, die ihr die „antikapitalistische Linke“ für die Fusion ausstellte, können sich Gysi und Lafontaine eigentlich nur beglückwünschen.
Hochburgen und Schwachstellen
Schwach sind die AntikapitalistInnen im Bundesvorstand von WASG und L-PDS vertreten. Ihre „Hochburgen“ liegen in den Parlamenten und Landesvorständen. Die Linksfraktion von PDS und WASG im Bundestag zählt 54 Abgeordnete, von denen acht den antikapitalistischen Aufruf unterschrieben. Sieben der acht gehören zur PDS, keiner zur WASG. Drei der 13 PDS-Landtagsabgeordneten von Mecklenburg-Vorpommern unterschrieben den Aufruf, ein weiterer ist fraktionslos. In Berlin unterzeichnete von 33 PDS-Abgeordneten keiner, in Brandenburg von 29 keiner, in Sachsen-Anhalt keiner von 26, in Thüringen 3 von 28, in Sachsen 5 von 31 PDS-MdL. Die Unterschriften deuten den Weg die AntikapitalistInnen in der vereinigten Partei an. Die meisten der zweiundzwanzig „antikapitalistischen“ Abgeordneten fielen in ihrer Parlamentstätigkeit nicht gerade durch Antikapitalismus oder Abweichung vom Kurs der Fraktion auf. Entsprechend sehen die „Minimalbedingungen“ der „antikapitalistischen Linken“ für die Beteiligung an kapitalistischen Landesregierungen aus (s. Kasten).

Die „antikapitalistische Linke“ stützt sich mehr auf die PDS als auf die WASG. Neben den Positionen in der L-PDS Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen und Thüringen ist sie beim Jugendverband Solid vertreten. In der Wahlalternative dominiert sie den WASG-Landesvorstand von NRW. Das „Linkentreffen“ führt die WASG-Landesverbände Berlin, Bremen und Mecklenburg-Vorpommern. In den Landesstrukturen von Sachsen-Anhalt, Brandenburg, Hessen, Saar, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Bayern sind die oppositionellen Linken nur schwach vertreten.

Zurzeit gewinnt die „Linke Opposition“ nicht neue Positionen, sondern verliert alte. Nach dem Ludwigshafener Parteitag traten fünf antikapitalistische Linke mit Protest gegen den Kurs der Parteimehrheit aus dem Landesvorstand der WASG Niedersachsen zurück. Das zeugt nicht gerade von großem Rückhalt an der Basis, der natürlich in einem Flächenland viel schwieriger zu organisieren ist als in Stadtstaaten wie Bremen oder Berlin. Die Bastionen des „Linkentreffens“ in der WASG Berlin und Mecklenburg-Vorpommern werden als erste der Fusion mit der L-PDS zum Opfer fallen.

Auch d
ie linke Vorherrschaft im Landesverband NRW dürfte nicht von langer Dauer sein, da die Mehrheit der Mitglieder in den Ortsverbänden nicht „antikapitalistisch“ gesinnt ist, sondern hinter Lafontaine steht. Wie schnell ein Wechsel erfolgen kann, zeigte das Beispiel der WASG Köln, wo die trotzkistische Mehrheit der linken Hochburg durch ehemalige Stamokap-Jusos in die Minderheit versetzt wurde. An der Schwäche der Linken in der Linkspartei werden auch diejenigen Mitglieder der DKP nichts ändern, die den Aufruf „Für eine antikapitalistische Linke“ unterschrieben haben. Deren absehbarer Eintritt in die Linkspartei unterstreicht nicht die Anziehungskraft des Antikapitalismus sondern die der Linkspartei.
Das Dilemma der Linken
Die Linke in WASG und L-PDS möchte gerne zweierlei gleichzeitig erreichen: Sie will antikapitalistische Botschaften vermitteln, aber auf parlamentarischen Einfluss und Gehör in den bürgerlichen Medien nicht verzichten. Dabei sind Medienecho und Mandate von den AntikapitalistInnen nicht selbst erarbeitet, sondern Abfallprodukte der Mutterparteien.
Die Mehrheit der WählerInnen und Mitglieder von WASG und L-PDS strebt in erster Linie nach Wahlbeteiligungen, guten Wahlergebnissen, parlamentarischer Vertretung … und Regierungsbeteiligungen. Je größer diese Erwartungen an die Linkspartei sind, desto kleiner die Möglichkeiten für eine antikapitalistische Politik in ihren Reihen. Würde sich die Linkspartei zu antikapitalistischen Positionen bekennen, dann würde sie fast allen parlamentarischen Einfluss verlieren. Dafür garantiert allein das bescheidene Niveau der Klassenkämpfe in der BRD.

Wer deshalb vertritt, dass antikapitalistische und reformistische Positionen in der Linkspartei zusammengehören, löst nicht diesen Widerspruch, sondern ist zum ersten Opfer im Anpassungsprozess geworden. Das schließt nicht aus, mit solch doppeldeutigen Positionen innerhalb der Linkspartei ein gewisses Milieu für die eigene politische Arbeit zu finden.
Der Antikapitalismus hat nicht in der Linkspartei, sondern nur außerhalb eine Chance. Dafür muss er sich von Anfang an mit dem linken Flügel der sozialen Bewegung und mit der Gewerkschaftslinken, d.h. mit den aktuellen Kämpfen, verbinden. Nur im Aufbau einer außerparlamentarischen Opposition findet sich das Potential für eine Sozialistische ArbeiterInnenpartei.

 

Fünf „Minimalbedingungen“ für kapitalistische Landesregierungen
Die Zustimmung der „antikapitalistischen Linken“ zur Beteiligung an kapitalistischen Landesregierungen ist billig zu haben. Ihre fünf „Minimalbedingungen“ lauten:

  • •    keine weiteren Privatisierungen,
  • •    kein Abbau öffentlicher Beschäftigung,
  • •    keine Förderung von sozialen Bildungsprivilegien,
  • •    keine Kürzungen bei den Schwächsten,
  • •    Entmilitarisierungs- und Konversionsprogramme auf Landesebene.

(siehe Erklärung „Für eine antikapitalistische Linke“, März 2006)

 

Achillesferse im Parteibildungsprozess?
Die Achillesverse im Parteibildungsprozess ist nach Meinung der „antikapitalistische Linken“ die Politik der etwas konsequenteren Linken in der WASG Berlin: „Die Parteineubildung der Linken in der Bundesrepublik gestaltet sich als widersprüchlicher und deshalb nicht immer einfacher Prozess. Während sich die Kooperation zwischen WASG und Linkspartei vielerorts konkretisiert und in die alltägliche Praxis übersetzt, wird die öffentliche Wahrnehmung von der Auseinandersetzung um die separaten Kandidaturen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern dominiert. Diese Auseinandersetzung erweist sich im doppelten Sinn als Achillesferse der neuen Linken. Erstens erschwert sie den Parteibildungsprozess und bietet den konservativen wie neoliberalen politischen Gegnern erhebliche Angriffsflächen. Zweitens erhöht sie die Barrieren für eine Diskussion um die berechtigte Kritik an der Regierungspraxis der Linken und die notwendigen Kurskorrekturen in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und in einigen Kommunen. Wir wollen uns dafür einsetzen, dass die Diskussion inhaltlicher Positionen zum angestrebten Profil der neuen gemeinsamen Partei wieder Oberhand gewinnt.“

(Aus: „Gegenmacht organisieren – Gesellschaft verändern. Dieses Land braucht weder eine gespaltene noch eine angepasste, sondern eine starke antikapitalistische Linke! Berlin 10. Juni 2006“)

 

Artikel teilen
Kommentare auf Facebook
Zur Startseite