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Linke

Die Antideutschen: Weder links noch antinational

Von Jochen Sussa | 21.06.2012

Ob „Right or wrong, my country“, „Deutschland, Deutschland über alles…“ oder ein Sarkozy, der „das Vaterland“, „die Arbeit“ und die „Bewahrung unserer Lebensweise“ beschwört. Egal in welcher Landesfarbe, beim Nationalismus geht es immer um die Unterordnung der „99 %“ unter ein abstraktes Ganzes, unabhängig davon, ob es gute Gründe dafür gibt oder nicht. Und weil wir revolutionäre Sozialist_innen die Welt ein bisschen anders sehen, sind wir ja auch heimatlose Gesell_innen.

Ob „Right or wrong, my country“, „Deutschland, Deutschland über alles…“ oder ein Sarkozy, der „das Vaterland“, „die Arbeit“ und die „Bewahrung unserer Lebensweise“ beschwört. Egal in welcher Landesfarbe, beim Nationalismus geht es immer um die Unterordnung der „99 %“ unter ein abstraktes Ganzes, unabhängig davon, ob es gute Gründe dafür gibt oder nicht. Und weil wir revolutionäre Sozialist_innen die Welt ein bisschen anders sehen, sind wir ja auch heimatlose Gesell_innen.

Es mag ja sein, dass die Antinationalen einst mit besten Absichten angetreten sind, einiges dafür zu tun, um in den Zeiten der Vereinigung der beiden Deutschland ein Viertes Reich zu verhindern. „Nie wieder Deutschland“ hieß die provokante Parole.

Aber offensichtlich schwindelte es den Vertretern dieser Richtung vor ihrem eigenen Mut. Auf der Suche, die eigene Heimatlosigkeit zu überwinden, wurden sie fündig und fanden ihre neue Heimat im Staat Israel mit eigener Fahne, eigener Hymne und vor allem eigener Armee. Für diese sich „antideutsch“ nennenden Gruppen steht im Zentrum die Solidarität mit dem Staat Israel, oder mehr noch die Solidarität mit der israelischen Politik. Und was soll denn daran antinational sein, sich eine andere Nation als Bezugspunkt zu setzen?
Der Wertkritiker Robert Kurz analysierte (2003), dass es den Antideutschen in Wahrheit nicht um Israel und den Nahostkonflikt gehe, für den sie sich ebenso wenig interessierten wie für die wirklichen Verhältnisse in Afghanistan oder anderswo. Für ihn folgt die, so nennt er es, „neurotische Überidentifikation“ mit dem Staat Israel aus der Befürwortung des westlichen Krisenimperialismus. Der Publizist Franz Schandl drückt es so aus: „Antideutsch ist der deutsche Sonderweg ehemaliger Linksradikaler nach rechts“.

Jüngste Auswüchse dieser Aktivitäten waren im April diesen Jahres zu sehen, als die Scheibe des Büros des Instituts für Palästinakunde mit Aufklebern verkleistert wurden, die einen Panzer der Israelischen Armee in Aktion zeigten mit der Aufschrift „Antifaschismus muss praktisch werden“. Verantwortlich dafür zeigte sich eine Gruppe „Antifaschistische Aktion“. Die auf dem Aufkleber zum Ausdruck kommende Gewaltfantasie ist man sonst nur von rechten Gruppen gewohnt und zeigt nur, wie weit solche Gruppen weggerückt sind von humanitären Positionen, von Solidarität mit den Schwachen und Unterdrückten. Ein anderer Aufkleber zeigt britische Kampfflugzeuge und die Aufschrift „Antifa heißt Luftangriff“.
Die Ursprünge
Mag ja der Beginn der Antideutschen als Strömung der bundesdeutschen Linken durchaus ehrenwert gewesen sein. Von der aus der Kritischen Theorie herkommenden Initiative Sozialistisches Forum (Freiburg) und anderen Gruppen wurde in den 80er Jahren eine Diskussion angeschoben, über die man durchaus nachdenken konnte: Sei es über nationale, heimatbewegte Strömungen in der Friedensbewegung und deren soziale Zusammensetzung, sei es über Antisemitismus in der Linken. Es wurde davor gewarnt, dass mensch sich bei der Kritik israelischer Politik nicht falscher Stereotype bediene und sich nicht mit den falschen Freunden verbünde. Heute wird aus diesen Kreisen aber jegliche Kritik Israels als antisemitisch diffamiert.

Mit zu den Anfängen gehörte die „Nie wieder Deutschland“-Demonstration gegen den „Taumel“ der Wiedervereinigung, der dann doch in keinem „Vierten Reich“ endete. Auch Rassismus und Asyldebatte führten nicht zu einer reaktionären Herrschaftsform mit teilweise faschistischen Zügen, sondern endete im „Aufstand der Anständigen“. Die Kriegsbefürwortung im Golfkrieg 1991 mit Sadam Hussein als Wiedergänger Adolf Hitlers und Auschwitz im Wüstensand, dies alles sind markante Stationen antideutschen Denkens. „Das reale Deutschland erschien im ‚antideutschen‘ Diskurs nunmehr nicht mehr als Sitz der zu kritisierenden Verhältnisse, sondern als Komplize eines sich woanders austobenden Übels.“ (Bernhard Schmid, 2004). Der Gegenstand der Kritik verlagerte sich in den Nahen Osten.

„Um heute als ‚antideutsch‘ zu gelten, muss man zuallererst Fahnen hissen, man muss bedingungslose Solidarität mit Scharon und dem Staat Israel üben, Befreiung an US-amerikanische Konservative delegieren und ohnehin Front machen gegen einen als ‚deutsch‘ apostrophierten ‚barbarischen Antikapitalismus‘.“ (Gerhard Hanloser, 2004).
Debattieren?
Ärgerlich sind solche Gruppen, aber muss man sich mit ihnen beschäftigen? Oder sind sie nur ein Teil sich besonders radikal gebärdender Jugendkultur? Zum einen gibt es ein Reihe namhafter anti­deutscher PublizistInnen, die in Zeitschriften wie konkret und Jungle World eine gewisse Verbreitung finden, in Zeitschriften, in denen durchaus auch linke Positionen und Autoren zu finden sind. Das ehemalige antideutsche „Zentralorgan“ bahamas hat dagegen eine eher kleine Auflage.

Zum anderen wurden über diesen Weg Positionen der Kriegsbefürwortung in die Linke getragen. „Immerhin stellen die Antideutschen zusammen mit der Regierungslinken von Rot-Grün die erste Generation nach 1945 dar, die den Krieg wieder unter der politisch korrekten Fahne des Antifaschismus hoffähig machen wollte – Joschka Fischer und Co. 1999 in Jugoslawien, die Antideutschen 1991 und 2003 im Irak, 2001 in Afghanistan.

Dem ehemaligen ‚Vordenker der Antideutschen‘ und heutigen launischen Kritiker dieses Phänomens Wolfgang Porth ist nämlich durchaus Recht zu geben, wenn er auf die Frage „Wer sind die überhaupt, diese Antideutschen?“ die Antwort gibt: „Vielleicht alle und die Regierung vornedran.“ (Gerhard Hanloser, 2004)

„Ursprünglich verstanden die ‚Antideutschen‘ sich selbst als besonders radikale gesellschaftskritische Kraft. Nach eigener Auffassung handelte es sich bei ihnen um die Letzten, die sich noch nicht einem alles umfassenden gesellschaftlichen Konsens, einem „nationalen Konsens“ untergeordnet haben. Pikant ist dabei lediglich, dass es in jüngster Zeit, vor dem Hintergrund der Befürwortung des Krieges im Libanon, dabei zu offenkundigen Annäherungen einiger ihrer Hauptprotagonisten an das konservative Lager rund um die CDU gekommen ist. Einen der Hintergründe dafür bildet die Begeisterung für die US-amerikanischen Neokonservativen und die von ihnen propagierte und befürwortete militärische Offensive der USA (und Isr
aels) im gesamten Mittleren und Nahen Osten.“ (Bernhard Schmid, 2006)
Verglichen mit diesen Kräften sind manchmal aus dem Lager bürgerlicher Politiker eher gemäßigte Worte zu hören. Wenn zum Beispiel der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel beeindruckt durch die Erlebnisse bei seinem Besuch in Hebron die Behandlung der Palästinenser durch die Israelis mit Südafrikas früherem Apartheid-Regime verglichen hat. Oder der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier, der im Gespräch mit dem Bürgermeister von Jerusalem, Nir Barkat, wissen wollte, warum nur wenige arabische Vertreter im Stadtparlament säßen, und andeutete, dass es nicht nur an einer Seite liegen könne, dass die Verhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern wieder einmal ins Stocken geraten seien. „Entweder man ist Teil der Lösung, oder man ist Teil des Problems.“
Eine besonders unangenehme Rolle spielt die antideutsche Strömung in der Partei DIE LINKE in Form des Bundesarbeitskreises Shalom der Linksjugend [‘solid] (BAK Shalom).

„BAK Shalom versteht sich als „Plattform gegen Antisemitismus, Antizionismus, Antiamerikanismus und regressiven Antikapitalismus“. Unter Letzterem hat man jenen Antikapitalismus zu verstehen, der konkret wird und nicht auf der rein abstrakten Ebene der Kritik an „dem Kapital“ als „sich verwertender Wert“ (Marx) verbleibt. Wer also die stärkere staatliche Regulierung von Finanzmärkten fordert oder sich gegen den Ausverkauf kommunalen Eigentums an Hedge-Fonds einsetzt, würde laut BAK Shalom die „Totalität des kapitalistischen Systems verkennen“ und biete eine „offene Flanke zum Antisemitismus“ (siehe Web-Site BAK Shalom Begriffserklärung: Regressiver Antikapitalismus). Auch dem Antiimperialismus müsse man eine „kompromisslose Absage“ erteilen.“ (Jens Mertens, 2010)

Hierbei wird eine unsachliche Gleichsetzung von antikapitalistischen Vorstellungen in der deutschen Linken (und davon gibt es sicherlich sehr unterschiedliche) mit dem Antikapitalismus der Faschisten vorgenommen. Dieser enthält keine prinzipielle Kritik an der kapitalistischen Produktionsweise, am Markt, am Profit, am Kredit, an der Geldwirtschaft oder dem Privateigentum. Er teilt die kapitalistische Welt ein in die privaten Abzocker, die alles in die eigene Tasche schaufeln und in das gute, investierende Kapital, das Arbeitsplätze schafft und für die nationale Größe arbeitet. Das ist ihre Unterscheidung zwischen schaffendem und raffendem Kapital, wobei für Letzteres bei den Nazis dann der Jude stand. (siehe Freerk Huisken, 2012)

In der innerparteilichen Auseinandersetzung der LINKEN haben die Vertreter der antideutschen Positionen Einfluss bis in die Parteispitzen und tragen dazu bei, die Partei regierungsfähig zu machen und kapitalkritische, sozialistische Personen und Strömungen zu denunzieren und aus der Partei zu drängen.

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