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Innenpolitik

Der Zug zur Börse

Von Walter Wiese | 01.10.2006

Seit Mitte 2003 ist der Zug unterwegs, der an der Börse Halt machen soll. So richtig im öffentlichen Bewusstsein wahrgenommen wurde das erst im Laufe dieses Jahres. Die Fachleute hingegen arbeiteten jahrelang intensiv und wohlüberlegt an der Frage, wie sie den Börsengang der DB AG den formell Entscheidungsberechtigten, den Bundestagsabgeordneten, restlos schmackhaft machen können.

Seit Mitte 2003 ist der Zug unterwegs, der an der Börse Halt machen soll. So richtig im öffentlichen Bewusstsein wahrgenommen wurde das erst im Laufe dieses Jahres. Die Fachleute hingegen arbeiteten jahrelang intensiv und wohlüberlegt an der Frage, wie sie den Börsengang der DB AG den formell Entscheidungsberechtigten, den Bundestagsabgeordneten, restlos schmackhaft machen können.

Die Vorbereitung lief nach klassischem Muster ab: Der Verkehrsausschuss des Bundestages ließ sich ein Gutachten erstellen, das (selbstverständlich von „Fachleuten“) im Februar 2006 vorgelegt wurde. Es ist der Öffentlichkeit ebenso wie eine Kurzfassung1 zugänglich. Das Gutachten beschäftigt sich wohl gemerkt nicht mit der Frage, ob Börsengang ja oder nein, sondern entwickelt Modelle und Varianten, die unterschiedlich zügig die Bahn an die Börse fahren lassen.
Die Privatisierung von Staatsbahnen ist so häufig noch nicht praktiziert worden, der Börsengang noch weniger. Klar festzuhalten ist aber, dass jeweils danach die Bahn das Bedürfnis nach Mobilität immer weniger befriedigt hat. Eines der extremsten Beispiele ist Argentinien, wo das Streckennetz nach der Privatisierung in den 1990er Jahren um über 90% reduziert wurde.
Das erste große Beispiel gab es allerdings in den USA (in den 20er Jahren des vorigen Jahrhunderts), als die dortigen Bahninteressen den politisch einflussreicheren der Öl- und Autokonzerne hoffnungslos unterlegen waren. Heutzutage ist in den USA das Bahnfahren eine exotische Angelegenheit.

Auch in England hat sich die Privatisierung in den 80/90er Jahren des vorigen Jahrhunderts dramatisch ausgewirkt. Es fanden nicht nur Ausdünnungen von Wegstrecken und Dienstleistungen statt, sondern es entstanden unübersichtliche Fahrpläne und ein unübersichtliches und uneinheitliches Tarifsystem. Staatliche Auflagen verhinderten zwar den Abbau des Schienennetzes. Aber die Privaten nutzten es ohne große Instandhaltung, mit der direkten Folge verheerender Zugunglücke.
PRIMON
Das PRIMON-Gutachten (PRIMON= Privatisierung mit und ohne Netz) und die unmittelbar anschließenden Diskussionen haben zu drei Varianten für den Börsengang geführt2.  Dabei sieht das Integrierte Modell die Überführung im Wesentlichen so vor, wie heute der DB-Konzern strukturiert ist. Das Eigentumsmodell sieht eine Ausgliederung des Eigentums an der Schiene vor, das einem Wirtschaftsunternehmen zugeschlagen wird, dessen Gesellschafteranteile vom Bund gehalten werden. Das Getrennte Modell sieht eine Trennung von Schiene und Betrieb vor. Die Transportunternehmen der DB-Holding werden dabei materiell privatisiert.

Die Gutachter haben auch die rechtliche Situation in Deutschland und der EU beachtet mit dem Ergebnis, dass der Börsengang unterschiedlich schnell, abhängig von vorzubereitenden Beschlüssen (Gesetzgebung, etc.), vorgenommen werden kann. Selbstverständlich sind auch die EU-Richtlinien 2001/12-14 zu beachten, nach denen das Getrennte Modell die „Idealvorstellung“ bietet. Klar, denn es bietet die schnellste Renditemöglichkeit mit dem geringsten Risiko (also ohne den Ballast eines aufwendig zu unterhaltenden Schienennetzes).
Privatisierung
Privatisierung und (quasi als Steigerung) Börsengang implizieren hohe Renditeerwartungen der Eigentümer (Aktionäre) von 10 bis 15%, die einen ungeheuren Effizienzdruck auf das Unternehmen ausüben, dem nur über organisatorische Veränderungen und absolute Gewinnorientierung entsprochen werden kann.
Die Tarifgemeinschaft der Bahngewerkschaften Transnet und GDBA (Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten) sehen sich diesem Druck der „neuen DB AG“ ausgesetzt. Dabei erscheint ihnen das „Integrierte Modell“ als das günstigste für eine Beschäftigungssicherung. Aber: Der Börsengang als solcher wird nicht kritisiert.
Nachdem die Schlichter (oder Schlächter?) Schröder und Biedenkopf im Tarifstreit verkündet hatten, dass der aktuelle Vertrag nicht bis 2010 gilt, wenn die Bahn eine andere Struktur erhält, haben die Gewerkschaften für den ersten Tag nach der Friedenspflicht (28. September ‘06) Aktionen angekündigt.
Auf den Vorwurf mancher Politiker und Medienvertreter, dass sie durch ihre Haltung das deutsche Parlament unter Druck setzen, beantworten sie mit dem Hinweis, dass es hier um tarifliche Ausein­andersetzungen gehe und nicht um die Mehdorn-Bahn: „Es ist das Unternehmen von 220.000 Menschen in diesem Land.“ Nicht mit dem Parlament werde verhandelt, sondern mit den DB AG- Konzernvertretern!3.
Wir alle sind betroffen
Die zu erwartenden Folgen des Börsengangs werden nicht nur die Bahn-KollegInnen auszubaden haben. Auch die KundInnen der Bahn sowie benachteiligte Regionen werden sich wegen der zu erwartenden Streichungen von Bahnfahrten und der Beseitigung entsprechender Infrastruktur nach anderen Verkehrsmitteln umschauen müssen. Es ist zu befürchten, dass diese Regionen in Folge der Reduzierung des Schienenpersonenverkehrs (SPV) weiter abgehängt werden.
Zwar muss die öffentliche Hand weiterhin (noch!) – im Rahmen ihrer Pflicht zur Daseinsvorsorge – einen gewissen Bahnbetrieb zum Personentransport bereitstellen. Aber die Erfahrung lehrt, dass es (mit dem Hinweis auf nicht vorhandene Rentabilität) keine einklagbare Untergrenze für Streckennetz und Zugverbindungen gibt.

Auch auf die Umwelt wird sich der Börsengang in Folge der Gewinnausrichtung negativ auswirken (siehe „Ein entschiedenes Nein zur Autogesellschaft“ in internationale theorie  Nr. 29). Das persönliche Bedürfnis nach Mobilität weiterhin bestehen bleibt (s. die an gleicher Stelle angeführten Untersuchungsergebnisse des Städteplaners Wagner), aber dieses Bedürfnis wird immer weniger mit Hilfe der Bahn befriedigt werden (können). Die Folge wird die Steigerung des motorisierten Individualverkehrs sein.
Im Kapitalismus gibt es keine gesellschaftliche Planung zur Befriedigung des Mobilitätsinteresses, Markt- und Renditeorientierung bestimmen die Strukturen. Gewinner dabei sind das jetzt auch bei der Bahn nach Anlagemöglichkeiten suchende Kapital sowie die indirekt dadurch geförderte Autogesellschaft, v. a. die Automobilindustrie, der Straßenbau usw.
Vor diesem Hintergrund ist auch nicht damit zu rechnen, dass verstärkt Güter auf der Bahn transportiert werden. Auch das PRIMON-Gutachten erwartet in diesem Bereich, unabhängig vom Börsengang der DB AG, keine Verbesserung. Ja der LKW-Verkehr wird weiterhin dramatisch zunehmen, ganz besonders dann, wenn nach den Vorstellungen der EU die 60 Tonner-Trucks zugelassen werden. Deren Einsatz ist nicht nur hinsichtlich ihres relativen und absoluten Energieverbrauchs, Straßenverschleiß etc., sondern auch wegen der
Verkehrsunsicherheit äußerst bedenklich.
Was ist zu tun?
Grundsätzlich sind die Aktionen der Gewerkschaften zur Verteidigung der Arbeitsplätze zu unterstützen. Aber die Proteste waren bisher fast nur symbolischer Art. Wichtig ist es jetzt, bei diesen Aktionen grundsätzlich die Frage der Privatisierung aufzuwerfen, und für eine völlig Umkehr in der Verkehrspolitik einzutreten: Weg von der Straße, hin zum Ausbau des gesamten ÖPNV, vor allem dem schienengebundenen Verkehr, weil er der ökonomischste und der umweltschonendste ist.

1    www.bmvbs.de
2    W. Wolf: In den letzten Zügen. Bürgerbahn statt Börsenwahn. AttacBasisTexte 22.
3    www.transnet.org.

 

Medienberichte über den geplanten Börsengang stellen ihn so dar, als gäbe es nur noch die Frage nach den Modellvarianten. Dies entspricht dem vorherrschenden Mainstream des Neoliberalismus, der auch in der Frankfurter Rundschau zum Ausdruck kommt. Ihr bösartiger Kommentar vom 14.09.06 („Ein Schritt zu weit“) zur Ankündigung der Gewerkschaften, am 28. September Aktionen durchzuführen, bezeichnet diese als „Nötigung des Deutschen Bundestags, die Volksvertretung des demokratischen Souveräns“ und empört sich, „dass die Organisationen  mit ihren Drohungen maßlos überziehen“.
Im Gegenteil muss mensch die Gewerkschaften gerade dafür kritisieren, dass sie die Arbeitsplätze meinen mit einer bestimmten Variante des Börsengangs sichern zu können. Das ist eine völlige Fehlorientierung. Entschiedener Widerstand ist erforderlich und der ist nur möglich, wenn
  • • eine umfassende Aufklärung über die Auswirkungen einer Privatisierung erfolgt (auf die Arbeitsplätze, das Streckennetz, das Verkehrsangebot, die Sicherheit, die Umwelt usw.)
  • • der Kampf für einen Tarifvertrag mit umfassender Beschäftigungssicherung aufgenommen wird;
  • • eine breite Kampagne für eine andere Verkehrspolitik entwickelt wird (gegen die Autogesellschaft) und wenn für all diese Maßnahmen
  • • ein breites Bündnis aufgebaut wird, das dem Bahnvorstand, den Möchtegernbahnaktionären und den Politikern die Hölle heiß macht.

 

 

 

 

 

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