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Betrieb & Gewerkschaft

Der VW-Abschluss: Lohnverzicht für Linsengericht

Von D.B. | 01.12.2004

Nach Siemens und Daimler-Chrysler bildet der VW-Abschluss einen weiteren Meilenstein beim Abbau tarifvertraglicher Standards und einer um sich greifenden Einführung mehrerer Lohnlinien innerhalb desselben Betriebs.

Nach Siemens und Daimler-Chrysler bildet der VW-Abschluss einen weiteren Meilenstein beim Abbau tarifvertraglicher Standards und einer um sich greifenden Einführung mehrerer Lohnlinien innerhalb desselben Betriebs.

Der Abschluss bei VW hat deswegen eine neue Qualität, weil hier nicht nur einzelne Werke eines Konzerns betroffen sind, sondern der gesamte Konzern zu den schon bestehenden 2 Lohnlinien eine dritte hinzufügt, und zwar jetzt konzernweit.

Lohnverzicht ohne „Gegenleistung“

Nur auf den ersten Blick enthält der Vertrag eine Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2011. Die Revisionsklausel (§ 6 des Vertrages) ermöglicht es, „bei wesentlichen Änderungen der Grundannahmen oder wirtschaftlichen Rahmenbedingungen“ den ganzen Vertrag zu kündigen (6.3). Und: „Wird der Tarifvertrag gekündigt, so ist damit gleichzeitig die Vereinbarung zur Sicherung der Standorte und der Beschäftigung vom 21. September 1995 in ihrer jeweils gültigen Fassung zu diesem Zeitpunkt gekündigt.“
Die Bezirksleitung der IG Metall wird sich also kaum in dem „Überprüfungsgespräch“ (§ 6.1) einer „einvernehmlichen Anpassung des § 4 (Arbeitsplatzsicherung)“ widersetzen. Schon im Grundsatz ist ein Tarifvertrag zur „Arbeitsplatzsicherung“ (hier „Zukunftstarifvertrag“ genannt, herunterzuladen bei Labournet) eine grundverkehrte Angelegenheit. Warum gehen wir überhaupt davon aus, dass wir um den Erhalt der Arbeitsplätze bitten und betteln müssen, bzw. warum sind wir überhaupt bereit, dafür Zugeständnisse zu machen?
Ist es nicht vielmehr so, dass die KollegInnen grundsätzlich gar nicht für die Folgen der Konkurrenzwirtschaft verantwortlich gemacht werden können? Und zum anderen: In der gegebenen Wirtschaftsordnung und auf Grundlage der existierenden Gesetze und „gängiger Rechtsprechung“ kann heute kein Kollege/keine Kollegin mit einer Arbeitsplatzgarantie wirklich etwas anfangen. Kein Betrieb ist im Zweifelsfall wirklich gezwungen, diese Garantie einzuhalten. Die Geschäftsführung braucht nur glaubhaft darzulegen, dass die Umsatzzahlen rückläufig sind und dass „der Personalabbau unvermeidbar“ ist.
Wer als GewerkschaftsaktivistIn mindestens mal Arbeitsrecht I gemacht hat – und die Tarifverantwortlichen der IG Metall haben mehr als das gemacht – weiß, dass es eine solche verlässliche Zusage (also Garantie) gar nicht geben kann. Es sei denn für alle Beschäftigen würde eine (insolvenzsichere!) Vereinbarung getroffen, nach der sie bei Verlust des Arbeitsplatzes – sagen wir – 500 000 Euro bekommen. Mit einer solchen Garantie könnte mensch in der Tat was anfangen, aber selbst das würde für die nachkommenden Arbeitssuchenden selbstredend die Arbeitsplätze nicht erhalten.
Für die Laufzeit des Tarifvertrages (28 Monate) wurde für alle Beschäftigten eine deutliche Reallohnsenkung vereinbart. Nicht nur wird in dieser Zeit trotz fortschreitender Teuerung keine Lohnerhöhung vorgenommen. Auch die übliche Bonuszahlung (im Jahr 2004 lag sie bei 1500 Euro) wird auf einmalig 1000 Euro zusammengestrichen (d.h. im zweiten Jahr fällt sie ganz aus). Der Durchschnittsverdiener bei VW verliert in diesen 28 Monaten 3500 Euro, von der dauerhaften Wirkung der Nichtanhebung der Lohntabelle ganz zu schweigen. Dazu zählt z. B. auch die im Jahr 2002 vereinbarte Lohnerhöhung von 1,4 %, die als ERA-Strukturkomponente bisher nur als Einmalzahlung geleistet wurde und jetzt definitiv nicht in die Tabelle eingeht. Azubis bekommen künftig nur noch 730 statt wie bisher 940 Euro. In zwei Jahren spart VW 1 Mrd. Euro Lohnkosten, von den Auswirkungen auf die Zukunft ganz zu schweigen.
Hinzu kommt: Die Arbeitszeit wird flexibilisiert, was zur Folge hat, dass Überstundenzuschläge erst ab der 41. Stunde (bisher ab der 36.) gezahlt werden. Die Bandbreite der Arbeitszeitkonten wird von plus/minus 200 Stunden auf plus/minus 400 Stunden erhöht.

Weitere Lohnlinie

Mittelfristig am verheerendsten wirkt sich die Einführung einer weiteren Lohnlinie aus – selbst ohne die LeiharbeiterInnen ist es jetzt schon die dritte bei VW. Zukünftig eingestellte KollegInnen erhalten mindestens 17% weniger. Der Ecklohn (zukünftig Eckentgelt) liegt dann nur noch bei 2562 Euro im Monat. In Arbeitszeit ausgedrückt: Sie müssen – wegen anderer Zuschlagsregelungen – 20% länger arbeiten, um auf dasselbe Geld zu kommen.
Bisher schon hatten die mit dem Projekt 5000 x 5000 eingestellten KollegInnen deutlich weniger Lohn und mussten länger dafür arbeiten. Mit dem jetzigen Abschluss zieht sich nun die Spaltung der Belegschaft durch alle 6 westdeutschen Werke hindurch. Künftig werden dann an derselben Werkbank Kollegen neben einander arbeiten, die für die gleiche Arbeit sehr unterschiedliche Löhne haben.
Dies wird den Zusammenhalt – der im Alltag aufgrund der Konkurrenz im Kapitalismus sowieso immer wieder neu hergestellt werden muss – beträchtlich erschweren. Welch verheerende Folgen das Hinnehmen unterschiedlicher Lohnlinien haben kann – fast schon zwangsläufig haben muss – hat das Beispiel UAW gezeigt (s. Kasten).

Huber treibt Differenzierung voran

Auch der VW-Abschluss liegt voll auf der Linie des für Tariffragen zuständigen zweiten Vorsitzenden der IG Metall, Bertold Huber. Er unterstützt diesen Tarifvertrag deswegen voll, weil damit sein Ansatz – nämlich die Konkurrenzfähigkeit der Betriebe zu erhalten oder zu verbessern – voll zum Tragen kommt. Vor anderthalb Jahren war er noch damit gescheitert, Tarifabschlüsse künftig so aufzuteilen, dass ein Teil von der Ertragslage der jeweiligen Unternehmen abhängig gemacht wird.
In typischer Bürokratenmanier wurde damals aber diese tolle „Idee“ nicht wirklich begraben, sondern für zwei Jahre offen gehalten. In den nächsten Monaten will Huber sein Konzept erneut vorlegen, um dann – so hofft er – endlich durchzusetzen, dass Tarifverträge in Zukunft generell so aussehen, dass ein Teil des Abschlusses „auf Betriebsebene ausgestaltet“ wird. Hier ist die gesamte Organisation gefordert, um auf allen Ebenen mit klaren Stellungnahmen Front zu machen, bevor dieser oberste Co-Manager in der IG Metall, der mächtigste Vertreter dieser Organisation überhaupt, durch das Vorantreiben weiterer solcher Abschlüsse wie bei VW oder gar über die Durchsetzung neuer Tarifrichtlinien Fakten schafft, die uns die Gegenwehr gegen die Unternehmerangriffe erheblich erschweren.
Wenn die IG Metall diesen Weg weiter beschreitet, blüht uns das Schicksal der amerikanischen UAW und dann steht die ArbeiterInnenklasse politisch und organisatorisch recht verloren da. Es gibt Alternativen, aber die müssen auch und gerade in der Gewerkschaft durchgesetzt werden, ganz besonders in der IG Metall, der nach wie vor wichtigsten Industriegewerkschaft in diesem Land.

„Vorbild“ US-A
utogewerkschaft: Mit Konzessionen in den Niedergang
Die große Wende zum Niedergang der UAW (United Autoworkers), der mächtigsten Gewerkschaft in den USA, kam 1979 mit den Tarifzugeständnissen gegenüber dem schwer angeschlagenen Konzern Chrysler. Zum ersten Mal wurde von den gemeinsamen Tarifstandards mit GM und Ford abgewichen: 6-monatiger Lohnstopp, Verzicht auf 6 bezahlte Urlaubstage und Aufschub von Rentenerhöhungen. 1980 – auch auf Druck des Kongresses – Verzicht auf weitere 17 Tage Urlaub und weiterer Lohnstopp. 1981 Verzicht auf weitere 3 Urlaubstage auf den automatischen Inflationsausgleich und Stundenlohnkürzung um 1,15 $.
Die Begründung war Arbeitsplatzrettung und „gemeinsam mit dem Management“ Chrysler wieder profitabel machen. „Gemeinsam“ wurden die Arbeitsplätze von 100 000 im Jahr 77 auf 39 000 im Jahr 82 abgebaut. Ab 1982 gab die UAW den Widerstand gegen die Übertragbarkeit dieser Regelungen auf die florierenden Konzerne GM und Ford auf, erlaubte eine vorzeitige Kündigung der dortigen Tarifverträge und stimmte dann ähnlichen Kürzungen zu. Ab 82 gab es mehrere Jahre keine Lohnerhöhungen mehr sondern nur noch Einmalzahlungen und an den Gewinn gekoppelte Jahresprämien (profit sharing). Zusätzlich zu den allgemeinen Lohnkürzungen wurden ab 1984 für Neueingestellte wesentlich niedrigere Löhne vereinbart. Zwischen 1983 und 85 wurden in der Zulieferindustrie in 261 Verträgen für 1,5 Mill. Beschäftigte gespaltene Tarifverträge abgeschlossen.
Heute gibt es allein bei Festangestellten in manchen Fabriken 3 oder 4 Lohnlinien für die gleichen Arbeiten. Immer wurden so genannte Beschäftigungsgarantien als Gegenleistung verkündet. Diese nahmen absurde Züge an. Wurden in einem gekauften oder neu gebauten Zulieferwerk des Konzerns zu den „ortsüblichen“ nicht tariflichen Löhnen 3 Arbeitsplätze hinzugefügt, durften 2 tarifliche Stammarbeitsplätze abgebaut werden.
In der Zulieferindustrie einschließlich der Teilefabriken ging der Organisationsgrad von 1978 bis 1988 von 82% auf 58% zurück. Die Beschäftigtenzahl bei den großen drei US Autokonzernen sank (trotz immer neuer „Beschäftigungsgarantien“) von 550 000 in 1984 auf 376 000 in 1997.
Die Konzessionspolitik der UAW – auch gegen heftigen innerorganisatorischen Widerstand –breitete sich auf alle Industrien aus, so dass die Reallöhne 1995 in den USA 18,9% unter denen von 1972 lagen.
Traurig aber wahr, diese Geschichte scheint sich in der BRD zu wiederholen. Vielleicht hat Mercedes-Benz mit Chrysler nicht nur die Fabriken sondern für die deutschen Konzerne auch das Know-how für den Umgang mit Gewerkschaftsführungen eingekauft, die im Co-Management ihre einzige Daseinsberechtigung sehen.
Wer die neuere Geschichte der UAW kennen lernen will (um zu sehen, welch düsteres Szenario sich für die IGM entwickeln kann) greife zu folgendem Buch:
Industrielle Beziehungen und betriebliche Auseinandersetzungen in Nordamerika, von Heiner Köhnen, Verlag Westfälisches Dampfboot

TiPP!

„Erpresswerk. Unser Kampf bei DaimlerChrysler im Juli 2004“

So heißt „eine Bilanz von Metallern an der Basis bei DaimlerChrysler Untertürkheim als 24seitige Broschüre mit der kritisch kommentierten Betriebsvereinbarung „Zukunftssicherung 2012“. Die beigefügte CD-ROM enthält: Die Betriebsvereinbarung im Originaltext; Die Betriebsvereinbarung kritisch kommentiert; 2 Filme: Aktionstag 15.7. 2004 / TV News 15.-25.7.2004; Fotos vom Aktionstag 15.7.04; IGM droht Aktivisten; Kontroverse in der IG Metall; Unsere Flugblätter; 50 ausgewählte Zeitungsartikel.
Im Vorwort: „Wir möchten euch mit diesem Heft und der CD-ROM eine Dokumentation unseres gemeinsamen Kampfs gegen die Erpressungspolitik des DaimlerChrysler-Vorstands zur Verfügung stellen. Wir meinen: diese Auseinandersetzung war nicht irgendeine, sondern die schärfste, die diese Belegschaft mit dem Konzern bisher geführt hat. Nie war die Stimmung unter den Kolleginnen und Kollegen so kämpferisch, noch nie war die Bereitschaft, noch viel weiter zu gehen, so groß – auch ohne offiziellen und „legalen“ Streik….“
Bezug gegen Spende ab 5,00 Euro über: Michael Clauss, Palmenwaldstraße 54, 73733 Esslingen (Schein in den Umschlag stecken) oder per Überweisung an Michael Clauss, LBBW, Kto 6662844, BLZ 60050101. In beiden Fällen Name und Adresse nicht vergessen!

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