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Der unsichtbare Krieg

Von Harry Tuttle | 01.01.2006

Folter und Entführungen gehören zu den Praktiken der CIA im „Krieg gegen den Terror“. Waren auch deutsche und europäische Sicherheitsbehörden an diesen Verbrechen beteiligt?

Folter und Entführungen gehören zu den Praktiken der CIA im „Krieg gegen den Terror“. Waren auch deutsche und europäische Sicherheitsbehörden an diesen Verbrechen beteiligt?

Ihre Zahl und ihr Auftrag sind geheim. Ob einige von ihnen getötet worden sind oder sie andere getötet haben, ob sie Gefangene gemacht haben und was mit diesen Gefangenen geschehen ist, soll die Öffentlichkeit nicht erfahren. Seit vier Jahren führt das Kommando Spezialkräfte (KSK) fast ununterbrochen Krieg in Afghanistan, unterstellt nicht der International Security Assistance Force (Isaf), deren offizieller Auftrag die Sicherung des Friedens und des Wiederaufbaus ist, sondern den Kampftruppen der USA, die gegen Taliban- und al-Qaida-Kämpfer vorgehen.
Wer war „Sam“?
Sicher in diesem für die Öffentlichkeit unsichtbaren Krieg ist allerdings, dass die Elitetruppe, die Mitte der neunziger Jahre offiziell vor allem für Geiselbefreiungen gegründet wurde, nichts unternommen hat, um den von der CIA entführten Khaled al-Masri aus dem US-Gefängnis in Afghanistan zu befreien. Möglicherweise war der Vernehmer mit norddeutschem Akzent, der sich Masri als „Sam“ vorstellte, sogar ein KSK-Mitglied.
Der deutsche Staatsbürger Masri wurde im Dezember 2003 von CIA-Agenten in Mazedonien entführt, nach Afghanistan verschleppt und dort gefoltert. Die Vernehmer hatten, möglicherweise von deutschen Behörden, Informationen über die Islamistenszene in Ulm, in der auch Masri verkehrte, ohne sich jedoch an ihren Aktivitäten zu beteiligen. Im Mai 2004 wurde er freigelassen.

Sicher ist bislang, dass die Bundesregierung nichts unternommen hat, um bei der juristischen Verfolgung der Entführer zu helfen, und dass in mindestens einem Fall ein in Guantánamo Inhaftierter von deutschen Beamten verhört wurde. Anders als in den USA, wo der „Freedom of Information Act“ (FOIA) es ermöglicht, die Veröffentlichung vieler Staatsdokumente gerichtlich zu erzwingen, funktioniert die Geheimhaltung in Deutschland fast perfekt. Für die Überwachung geheimdienstlicher Operationen soll ein parlamentarisches Kontrollgremium genügen, dessen Mitglieder zur Verschwiegenheit verpflichtet sind.

Deshalb ist unklar, wie weit die Komplizenschaft der Bundesregierung mit den CIA-Operationen der rendition (Übergabe) geht, in deren Rahmen Häftlinge in US-Gefängnisse außerhalb des Landes gebracht oder an Staaten überstellt werden, die für ihre brutalen Foltermethoden bekannt sind. Die „geheimen“ Flüge – es ist bekannt, dass Fluggesellschaften wie Premier Executive Transport Services Tarnfirmen der CIA sind – mit einem Zielort oder einem Zwischenstopp in Europa dienten offenbar vor allem dem Gefangenentransport.

Die rendition ist keine Erfindung George W. Bushs, und sie ist auch keine Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001. Präsident Bill Clinton genehmigte sie, und spätestens seit 1998 wird sie angewendet. Im Juli 1998 wurde Ahmed Osman Saleh in Albanien unter Überwachung von CIA-Agenten entführt, die ihn den ägyptischen Behörden übergaben. Saleh wurde gefoltert und 18 Monate später hingerichtet.
Keine Rechte für „feindliche Kämpfer“
Die Zahl der von der rendition Betroffenen scheint sich jedoch seit Ende 2001 stark erhöht zu haben. Manchen Schätzungen zufolge sind bis zu 10 000 Menschen betroffen, und dass es mehr als 400 CIA-Flüge allein nach oder über Europa gab, belegt zumindest, dass es sich nicht um Einzelfälle handelt.
Mit der Erfindung der Kategorie des „feindlichen Kämpfers“, für den weder die in der Genfer Konvention festgelegten Regeln des Kriegsrechts noch das Strafrecht gelten, hat die US-Regierung die Grundlage für eine Inhaftierung auf unbegrenzte Zeit und die Anwendung der Folter geschaffen. Um die Gefangenen dem Zugriff der US-Justiz zu entziehen, die die Gesetzlosigkeit im „war on terror“ nicht immer gutheißt, werden sie außerhalb des Territoriums der USA festgehalten, vor allem in Guantánamo, Afghanistan und im Irak.

Die Regierung hat offiziell erklärt, dass sie sich bei der Behandlung der Gefangenen nicht an die Genfer Konvention gebunden fühlt. „Wir foltern nicht“, hat Bush wiederholt erklärt, doch seit 2002 versucht die US-Regierung durchzusetzen, dass bestimmte „Zwangstechniken“ nicht als Folter gewertet werden können: Scheinangriffe mit Hunden, der Zwang, lange Zeit in schmerzhaften Positionen zu stehen oder zu knien, Reiz- und Schlafentzug, „leichte“ Schläge, Nacktheit in der Öffentlichkeit und Dauerbeschallung mit extrem lauter Musik gehören dazu. „Ich stehe acht bis zehn Stunden am Tag. Warum wird das Stehen auf vier Stunden begrenzt?“ fragte der Verteidigungsminister Donald Rumsfeld, den offenbar ein Testosteronüberschuss am Sitzen hindert. Noch Anfang Dezember verteidigte der CIA-Direktor Porter Goss die „innovativen“ Verhörmethoden.
Tod durch Strangulation
Sie entsprechen den wissenschaftlichen Erkenntnissen der CIA in der Folterforschung. Das 1983 erstellte „Human Resource Exploitation Manual“, dass die im „schmutzigen Krieg“ gegen die lateinamerikanische Linke gewonnenen Erkenntnisse reflektiert, bezeichnet die „klassischen“ Foltermethoden als ineffektiv. Der Gefangene erzählt, was seine Vernehmer hören wollen, aber nur selten die Wahrheit. Moderne „Zwangstechniken“ dagegen sind eher eine Art Gehirnwäsche, die bei dem Gefangenen eine Regression verursachen und ihn dazu bewegen sollen, einen Vernehmer als Vaterfigur zu akzeptieren, der er sich offenbart.
Doch nicht alle bekannt gewordenen Folterfälle entsprechen diesem Muster. Der US-Bürgerrechtsorganisation ACLU gelang es unter Berufung auf den FOIA, Zugang zu den Autopsieberichten 44 verstorbener Gefangener zu bekommen. In 21 Fällen stellten die Pathologen Fremdverschulden fest, diagnostiziert wurde meist „Strangulation“ oder „Erstickung“ in Verbindung mit Verletzungen durch äußere Gewalteinwirkung wie Rippenbrüchen. „Diese Dokumente sind ein unwiderlegbarer Beweis dafür, dass US-Vernehmer Gefangene zu Tode gefoltert haben“, sagte der ACLU-Anwalt Amrit Singh.

Was sich wahrscheinlich in diesen Fällen abgespielt hat, zeigt der in einem US-Militärgerichtsverfahren behandelte Tod Manadel al-Jamadis. Er war 45 Minuten nach seiner Einlieferung in das Abu-Ghraib-Gefängnis am 4. November 2003 tot, bei der Autopsie wurden ein Erstickungstod und Rippenbrüche festgestellt. Jamadi war geschlagen und an den Handgelenken in einer Position aufgehängt wurde, die ihm das Atmen unmöglich machte. Der mutmaßlich verantwortliche CIA-Agent Mark Swanner – neben einem Übersetzer war nur er in Jamadis Zelle anwesend – wurde bislang nicht angeklagt.

Jamadi h
ätte, wenn die gegen ihn erhobenen Vorwürfe stimmen, wichtige Aussagen machen können. Swanner handelte entgegen den Folterrichtlinien der CIA. In diesem und wahrscheinlich auch anderen Fällen scheinen die Täter, ermutigt durch die Regierung und der Straffreiheit gewiss, eigenmächtig gehandelt zu haben.
Verschwundene Gefangene
Es gibt jedoch auch Indizien dafür, dass die Folter nicht allein zur Gewinnung von Informationen, sondern auch zur Abschreckung eingesetzt wird. Denn die Übergabe von Gefangenen an Staaten wie Syrien, Ägypten und Saudi-Arabien entspricht ebenfalls nicht den Folterrichtlinien der CIA. Dort wird „klassisch“ gefoltert, mit Elektroschocks und ähnlichen Methoden, die nach Ansicht aller Experten ungeeignet zur Informationsgewinnung sind. Möglicherweise ist die rendition in solche Staaten aber auch ein bequemer Weg, sich der Gefangenen zu entledigen, sei es durch eine offizielle Hinrichtung wie im Fall Saleh, durch einen Mord oder unbegrenzte Haft ohne Kontakt zur Außenwelt. Soweit bekannt, ist kein an ein arabisches Land ausgelieferter Gefangener wieder freigelassen worden.

Folter ist in bürgerlichen Demokratien weder neu noch selten. Neu ist jedoch die dreiste Offenheit, mit der „Zwangstechniken“ gerechtfertigt werden. Eine Regierung, die ihre Folterpraktiken geheim halten und leugnen muss, wird sie sparsamer anwenden. Ihre Legitimierung und bereits die „freie“ Debatte über ihre Anwendung führen dagegen zu einer weiteren Verrohung von Staat und Gesellschaft. Alan Dershowitz, Rechtsprofessor in Harvard, fordert bereits von Richtern ausgestellte „Foltervollmachten“, und einer im November im Magazin Newsweek veröffentlichten Umfrage zufolge lehnen nur 32 Prozent der US-Bevölkerung Folter unter allen Umständen ab. Auch in Deutschland unterstützten bei verschiedenen Umfragen zwischen 63 und 90 Prozent den Frankfurter Vizepolizeipräsidenten Wolfgang Daschner, der einem Gefangenen Folter angedroht hatte.
In Europa verbirgt sich hinter der Kritik an der US-Politik häufig nicht humanitäres Engagement, sondern der Wunsch, die EU als „humane“ Weltmacht zu empfehlen. Die Kritik europäischer Politiker ist nicht nur deshalb verlogen, weil die Haftbedingungen in vielen EU-Abschiebegefängnissen nicht besser sind als in Guantánamo und weil es keine besondere Aufregung verursachte, dass in der Côte d’Ivoire stationierte französische Soldaten im Mai diesen Jahres auf Anweisung ihres Generals einen verwundeten Gefangenen während des Transports ins Krankenhaus ermordeten.
Ein Außenminister der Geheimdienste
Wegen des Interessenkonflikts Frankreichs und Deutschlands mit den USA in der Irakpolitik gerät oft in Vergessenheit, dass auch die EU am „war on terror“ beteiligt ist. Deutschland war nach den USA der Staat, der am meisten Soldaten im Ausland einsetzte, bis Großbritannien mit der Beteiligung am Irakkrieg den zweiten Platz zurückeroberte, und ist noch immer führend im Afghanistan-Einsatz. Dass die Kooperation mit Folterregimes nicht gescheut wird, belegt das Verhör Haimar Zaydars in einem syrischen Gefängnis. Der deutsche Auslandgeheimdienst BND ist sowohl in Afghanistan als auch im benachbarten Pakistan präsent, und mit Frank-Walter Steinmeier ist der ehemalige Regierungsbeauftragte für Geheimdienste Außenminister geworden.
Aufklärung über geheime Regierungsaktivitäten ist die Voraussetzung für die Unterbindung illegaler Praktiken. Die überwiegend staatstragende deutsche Presse ist in dieser Hinsicht jedoch weitaus zurückhaltender als die US-Medien. Notwendig wäre zudem ein Gesetz nach dem Muster des FOIA. Doch deutsche Politiker verstehen unter Informationsfreiheit nur die Freiheit, im Privatleben der Bürger herumzuschnüffeln.

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