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Der Krieg ist kein Sommerjob

Von Harry Tuttle | 01.02.2007

Das Kräfteverhältnis im Irak werden die von Bush entsandten Truppenverstärkungen nicht ändern. Hat der US-Präsident andere Pläne? Das Pentagon muss sich etwas einfallen lassen, um neue Rekruten zu gewinnen. Vor allem für arme und nichtweiße Amerikaner ist der „Job“ beim Militär eine, häufig die einzige Chance, eine gute Ausbildung zu bekommen und mehr als den Mindestlohn zu verdienen. Doch die Zahl der getöteten US-Soldaten im Irak hat 3000 überschritten.

Das Kräfteverhältnis im Irak werden die von Bush entsandten Truppenverstärkungen nicht ändern. Hat der US-Präsident andere Pläne?

„Sie werden etwa 2400 Dollar (sechs Wochen) oder 4000 Dollar (zehn Wochen) verdienen, ein Zimmer und Verpflegung werden gestellt. Wie ist das für einen Sommerjob?“ E-Mails mit diesem verlockenden Angebot erhielten zahlreiche Studierende in den USA. Der Absender war das Marine Corps, das versicherte, wer den „Sommerjob“ annehme, um seine „Führungsqualitäten“ zu testen, gehe „keine Verpflichtungen“ und müsse nicht einmal eine Uniform anziehen.
Das Pentagon muss sich etwas einfallen lassen, um neue Rekruten zu gewinnen. Vor allem für arme und nichtweiße Amerikaner ist der „Job“ beim Militär eine, häufig die einzige Chance, eine gute Ausbildung zu bekommen und mehr als den Mindestlohn zu verdienen. Doch die Zahl der getöteten US-Soldaten im Irak hat 3000 überschritten, und so mancher überlegt sich, ob es wirklich eine gute Idee ist, sich zu verpflichten. Zudem will Präsident George W. Bush die Zahl der Soldaten um 70 000 erhöhen.
Nutzlos und unpopulär
Es gibt zwar etwa 1,4 Millionen Militärangehörige, doch die meisten sind als Bürokraten oder  Techniker damit beschäftigt, die High-Tech-Kriegsmaschine zu organisieren. Die Kampftruppen sind vielfach bereits weit über die eigentlich vorgeschriebene Zeit hinaus im Einsatz. Dennoch beschloss Bush, 21 000 zusätzliche Soldaten in den Irak zu entsenden. Viel zu wenig, um das militärische Kräfteverhältnis zu ändern, wie fast alle Militärexperten betonen. Bushs Kritiker im Militärapparat gehen davon aus, dass dazu mindestens 150 000 zusätzliche Soldaten erforderlich wären.

Das aber würde die Wiedereinführung der Wehrpflicht erfordern, und wenn jeder männliche US-Amerikaner damit rechnen müsste, in den Irak geschickt zu werden, kämen auf die Regierung wesentlich härtere innenpolitische Auseinandersetzungen zu. Manche Kriegs­kritiker fordern gerade deshalb die Wehrpflicht. Denn Wehrpflichtige sind „naturgemäß jene, die zuerst Alarm schlagen“ und daher „unsere erste Verteidigungslinie gegen den Krieg“, schrieb der mittlerweile verstorbene ehemalige US-Oberst David H. Hackworth kurz vor dem Beginn des Irakkrieges.

Warum aber beschloss Bush eine Truppenverstärkung, die militärisch nutzlos und in den USA unpopulär ist? Im Irak und in den USA kursieren verschiedene Theorien. Viele schiitische Politiker glauben, dass die US-Regierung einen weiteren „regime change“ vorbereitet, einen parlamentarischen Coup zum Sturz des Premierministers Nuri al-Maliki. Andere Analytiker vermuten, dass die Truppenverstärkung nur eine Show ist, die den eigentlichen Plan, den schrittweisen Abzug oder zumindest den Verzicht auf offensive Aktionen, vorbereiten soll.

Immer penetranter betonen Vertreter der US-Regierung die „Eigenverantwortung“ der Irakis. Von Maliki wird verlangt, dass er für die geplante Offensive im Großraum Bagdad 18 Brigaden bereitstellt. Sollte er das nicht schaffen, behalten es sich die USA vor, den ganzen Einsatz abzublasen. Die irakische Armee aber ist kaum einsatzfähig. Offiziell werden den Rekruten großzügige Urlaubsregelungen zugestanden, weil sonst gar keiner den Job machen würde. Viele bleiben dem Dienst vorsichtshalber noch länger fern. Zudem gibt es zahlreiche „Geistersoldaten“, Offiziere kassieren den Sold für nicht existierende Rekruten, die sie auf ihren Listen führen. Und die aktiven Soldaten sind häufig Angehörige schiitischer Milizen, die nicht gegen ihre Freunde ohne Uniform kämpfen würden.
Noch ein „regime change“?
Das aber ist die zweite Vorgabe, die Maliki erfüllen muss: die Neutralisierung der schiitischen Milizen. Eben jenen Milizen verdankt er jedoch sein Amt, und wenn er sich von ihnen und den hinter ihnen stehenden Parteien lösen sollte, verliert er seine politische Basis. Wie weit die Infiltration des Staatsapparats schon gediehen ist, zeigte sich bei der Hinrichtung Saddam Husseins, als maskierte Anwesende Muqtada al-Sadr hochleben ließen. Der schiitische Islamist Sadr führt die derzeit wohl größte Miliz im Irak.
Wurden die Vorgaben für Maliki so hoch angesetzt, um den schwerfälligen irakischen Regierungsapparat anzuspornen, und wird die US-Regierung sich womöglich mit weniger zufrieden geben? Oder soll hier bewusst das Scheitern Malikis publikumswirksam inszeniert werden? Sollte das der Fall sein, könnte die US-Regierung daraus die Schlussfolgerung ziehen, dass es einer anderen, nicht schiitisch dominierten Regierung bedarf.

Dafür spricht, dass die US-Truppen in mehreren Fällen gegen tatsächliche oder vermeintliche iranische Agenten vorgingen. Fraglich ist allerdings, ob es eine Alternative zur derzeitigen Regierung gibt, die ja dem Kräfteverhältnis im Parlament entspricht. Möglich ist auch, dass Bush das zu erwartende „Versagen“ der irakischen Regierung zum Anlass nimmt, auf offensive Aktionen zu verzichten und nur noch den status quo zu wahren, bis im Januar 2009 sein Nachfolger die Verantwortung für das Desaster übernehmen muss.

Sicher ist zweierlei: Für die US-Regierung geht es nur noch um Schadensbegrenzung. Ein ungeordneter Rückzug würde der EU, Russland und China das Feld überlassen und den Iran stärken. Und obwohl es nicht gerade fair ist, den Irakis die Verantwortung zuzuschieben: Tatsächlich kann niemand anders als die irakische Bevölkerung, eine jenseits ethnischer, konfessioneller und Clanloyalitäten organisierte Bewegung, den Bürgerkrieg beenden. Die unabhängigen Gewerkschaften, Frauengruppen und sozialen Bewegungen sind allerdings durch den Milizenterror eingeschüchtert und dezimiert worden.

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