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Länder

Der Klub der Auserwählten

Von Harry Tuttle | 01.01.2005

Der UN-Sicherheitsrat soll erweitert werden. Doch die vorgeschlagenen Reformen würden die Oligarchie der Mächtigen nur vervollständigen.

Die Angreifer kamen im Morgengrauen. Unterstützt von Panzerwagen und Hubschraubern rückten mehrere hundert Soldaten in das Slumviertel vor. Bei Kämpfen mit Milizen starben mindestens drei ZivilistInnen, anschließend rechtfertigte ein Militärsprecher die Aktion mit dem Argument, das Gebiet müsse „wieder ein friedliches Viertel werden.“
Die Rede ist nicht von Falluja, sondern von Cité Soleil, einem Armenviertel der haitianischen Hauptstadt Port-au-Prince. Dort tragen die Soldaten blaue Helme, sie sind Mitglieder der UN-Truppe MINUSTAH, die das Land stabilisieren soll. Darunter versteht man vornehmlich den Kampf gegen die Anhänger des im Februar 2004 von den USA und Frankreich gestürzten Präsidenten Jean-Bertrand Aristide, deren Hochburgen Slumviertel wie Cité Soleil sind. Obwohl der karibische Staatenbund CARICOM den Sturz Aristides verurteilte und trotz des Drucks der USA die Beziehungen zur neuen Regierung Haitis, deren Politik die renommiertesten Menschenrechtsorganisationen kritisierten, nicht normalisieren will, hat der UN-Sicherheitsrat die Festigung der neuen Machtverhältnisse durch eine Militärintervention beschlossen.

Globale Oligarchie

Die Position Frankreichs und der USA war ohnehin klar, Großbritannien stimmte wie üblich mit der US-Regierung, Russland und China haben keine Ambitionen in Haiti, und für die Haltung der karibischen Staaten interessierte sich niemand. Im wichtigsten UN-Gremium, das auch über Sanktionen und Gewaltmaßnahmen zur Wiederherstellung oder Aufrechterhaltung des Friedens entscheidet, herrscht eine Oligarchie. Allein drei der fünf ständigen Mitglieder, die durch ihr Veto jede Entscheidung blockieren können, sind westliche imperialistische Staaten.
Nach langen Verhandlungen hat im November ein UN-Komitee einen Reformvorschlag gemacht, der nun weithin als Maßnahme der Demokratisierung gefeiert wird: Der Sicherheitsrat soll um sechs neue ständige Mitglieder erweitert werden. Namen werden offiziell nicht genannt, doch ist klar, dass Deutschland und Japan dazu gehören sollen. Als Favorit für die Vertretung Lateinamerikas gilt Brasilien, dessen sozialdemokratische Regierung führend am Haiti-Einsatz beteiligt ist. Die Repräsentation Asiens soll durch Indien gestärkt werden, als Vertreter Afrikas sind Südafrika, und – weil auch ein islamischer Staat dabei sein muss – Ägypten im Gespräch.
Die imperialistische Oligarchie wäre damit vollständig, während die „Dritte Welt“ durch die aufstrebenden Regionalmächte vertreten werden soll. Brasilien aber wird im Sicherheitsrat ebenso wenig die Interessen Boliviens vertreten wie die USA die Interessen Mexikos. Es gilt als selbstverständlich, dass allein wirtschaftliche und militärische Macht das Zugangskriterium sein soll. Die so genannte Reform würde daher das Machtgefälle in der Weltpolitik weiter erhöhen.

Zweierlei Maß

Die Bundesregierung ist begeistert von der Aussicht, Deutschland werde zu den wenigen Auserwählten gehören. Ganz zufrieden ist Gerhard Schröder dennoch nicht, denn er vermisst ein Vetorecht. Da dürfe „nicht mit zweierlei Maß gemessen werden“, empörte sich der Kanzler, womit er natürlich nicht die bleibende Rechtlosigkeit von 180 UN-Mitgliedsstaaten meint, sondern das Privileg der fünf ständigen Mitglieder, an dem auch Deutschland teilhaben soll.
Für Deutschland und Japan, die Aggressoren des Zweiten Weltkriegs, wäre die Mitgliedschaft im Sicherheitsrat, möglichst noch termingerecht zum 60. Jahrestag des Kriegsendes, die endgültige Rehabilitierung. Sie würde den Nationalismus in beiden Staaten, die ihre Außenpolitik in den letzten Jahren rasant militarisiert haben, weiter stärken und die Regierungen zu einer noch aggressiveren Linie ermutigen.
Ein erstes Beispiel der potenziellen Folgen gab Schröder bei seinem Besuch in China. Dort setzte er sich für eine Aufhebung des EU-Waffenembargos ein, das nach dem Massaker an unbewaffneten Demonstranten auf dem Tiananmen-Platz in Peking 1989 verhängt wurde. Die Menschenrechtslage in China hat sich seitdem zwar eher verschlechtert, aber die Regierung in Peking muss schließlich für das deutsche Anliegen gewonnen werden.

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