Die Mitte Dezember beginnende Tarifrunde in der Metall- und Elektroindustrie hat es in sich. Der Kapitalist*innenverband Gesamtmetall nutzt die „Corona-Krise“ zur Verschärfung des Klassenkampfs von oben. Was setzt die IG Metall (IGM) dem entgegen? Die Antwort auf diese Frage wird letztendlich nicht am Verhandlungstisch, sondern in den Betrieben gegeben. Denn Tariffragen sind Machtfragen.
IGM-Pragmatismus
Die IGM-Tarifkommissionen in der Metall- und Elektroindustrie haben am 17. November ihre an die Empfehlung des Vorstandes angelehnten Forderungen beschlossen. Der IGM-Vorstand wiederum hat die Forderungen nun genehmigt:
- Verbesserung der gekündigten Tarifregelungen zur Beschäftigungssicherung durch Arbeitszeitabsenkung mit Teilentgeltausgleich (z. B. als 4-Tage-Woche).
- Tariflicher Rahmen für betriebliche Zukunftstarifverträge, die Regelungen in den einzelnen Betrieben zur Sicherung von Standort und Arbeitsplätzen festlegen.
- 4 Prozent mehr bei Entgelten und Ausbildungsvergütungen bei einer Laufzeit von 12 Monaten. Verrechnung dieses Volumens für Maßnahmen zur „Beschäftigungssicherung“ wie etwa einem Teilentgeltausgleich bei Arbeitszeitabsenkungen.
- Außerdem Regelungen zur Verbesserung der Ausbildung und zur unbefristeten Übernahme für alle Auszubildenden – auch für die dual Studierenden.
- Schließlich „Schritte zur Angleichung der Arbeitsbedingungen in der ostdeutschen Metall- und Elektroindustrie“, wo nach wie vor die 38-Stundenwoche gilt.
Das sind alles keine revolutionären Forderungen. Im Gegenteil. Zwar ist es positiv, dass die IGM-Spitze die 4-Tagewoche ins Gespräch gebracht hat. Aber eben nicht mit vollem Lohnausgleich – und schon gar nicht mit (vollem) Personalausgleich. Da war die Diskussion in den 1980er Jahren schon wesentlich weiter.
Zudem spricht der erste Vorsitzende der IGM, Jörg Hofmann, von einer faktischen weiteren Aufweichung des Flächentarifvertrags: „Mit Zukunftstarifverträgen sollen passgenaue betriebliche Lösungen gefunden werden, die Zusagen für Investitionen, Standorte, Beschäftigung und Qualifizierung enthalten. Die Vorschläge zur 4-Tage-Woche und zu Zukunftstarifverträgen sind Antworten auf die digitale und ökologische Transformation.“
Was diese Zusagen wert sind, zeigen die aktuellen Konflikte um die „Beschäftigungssicherung“ bei Opel und Daimler. Die dortigen Konzernvorstände wollen trotz geltender Regelungen, tausende Arbeits- und Ausbildungsplätze vernichten.
Kapitalist*innen-Träume
In einem Interview mit der FAS vom 22.11.2020 redet Stefan Wolf, mittlerweile Vorsitzender von Gesamtmetall, einer weiteren Senkung der Arbeitskosten das Wort. Er sagte: „Die von der IG Metall geforderte Viertagewoche mit Teil-Lohnausgleich wäre grotesk. Dadurch würden die Arbeitskosten je Stunde steigen. Die müssen aber dringend runter.“
Aber damit nicht genug. Wolf erwartet ausdrücklich Verzicht seitens der Beschäftigten: „Es gibt viele Möglichkeiten. […] hier in Baden-Württemberg gibt es zum Beispiel Spätzuschläge schon ab zwölf Uhr mittags. Da kann man rangehen. Es gibt viele Vergünstigungen, Sonderzahlungen, Pausenregelungen. Vielleicht kann man auch mal dran denken, dass man für das gleiche Geld wieder ein bisschen mehr arbeitet.“
Neben unbezahlter Mehrarbeit kann sich Gesamtmetall aber auch eine flexible Absenkung der Arbeitszeit vorstellen – ebenfalls ohne Lohnausgleich.
„Sinnvoll“, so Wolf, „wäre eine Flexibilisierungs-Automatik im Flächentarif: Wenn ein Unternehmen in der Krise beispielsweise unter eine bestimmte Ertragskennzahl fällt, dann sollte es automatisch die Möglichkeit bekommen, individuelle Regelungen zu vereinbaren, die vom Flächentarifvertrag abweichen und direkt zwischen Geschäftsleitung und Betriebsrat ausgehandelt werden. Die IG Metall muss dabei nicht mit am Tisch sitzen, denn dadurch wird es in der Praxis oft kompliziert.“
Das Motto der Kapitalisten ist klar: Die Höhe der Profite ist unantastbar. Deshalb sollen Tarifverträge noch mehr ausgehebelt und die Gewerkschaft weiter geschwächt werden.
Aktive Gegenmacht?
Die IG Metall-Führung steht vor mehreren Herausforderungen: 1. Sie muss sich von ihren Sozialpartnerschafts-Träumen verabschieden. 2. Sie muss unter Corona-Bedingungen neue und alte Formen der Mobilisierung miteinander verknüpfen 3. Sie muss die noch viel zu weit verbreitete Lähmung im Apparat und in der Basis überwinden. Und sie muss 4. glaubhaft deutlich machen, dass sie den Arbeitskampf nicht scheut.
Wird es gelingen, den Gegenmachts-Anspruch der aktiven ehren- und hauptamtlichen Gewerkschaftsmitglieder allen Hemmnissen zum Trotz auf die Straße zu bringen? Die ersten Monate des kommenden Jahres werden eine Antwort auf diese Frage geben. Wir sollten dazu beitragen, dass sie positiv ausfällt.
Aus Avanti² Rhein-Neckar Dezember 2020