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Der Kampf um die Quellen

Von Harry Tuttle | 01.01.2007

Die Dominanz über den Irak sollte eine bessere Kontrolle des Ölpreises ermöglichen. Doch die Strategie der USA ist gescheitert. Phil Carroll war begeistert: „Die Möglichkeiten der Industrie, zu wachsen und immer weiter zu wachsen, sind praktisch unendlich.“ Der ehemalige Vorstandvorsitzende des Ölkonzerns Shell gehörte zu den von der US-Regierung ausgesuchten Experten, die nach Möglichkeiten suchen sollten, den irakischen Ölsektor zu privatisieren.

Die Dominanz über den Irak sollte eine bessere Kontrolle des Ölpreises ermöglichen. Doch die Strategie der USA ist gescheitert.

Phil Carroll war begeistert: „Die Möglichkeiten der Industrie, zu wachsen und immer weiter zu wachsen, sind praktisch unendlich.“ Der ehemalige Vorstandvorsitzende des Ölkonzerns Shell gehörte zu den von der US-Regierung ausgesuchten Experten, die nach Möglichkeiten suchen sollten, den irakischen Ölsektor zu privatisieren. Diese Idee stieß nicht überall auf Begeisterung. „Wenn sich die Iraker weiter vor Ideen und Erfahrung verschließen, werden sie scheitern“, nörgelte Carroll.
Damals, im Sommer 2003, schien der Irakkrieg noch ein gutes Geschäft zu sein. Zu den Kriegszielen gehörte es, den Irak zu einem neuen „swing producer“ zu machen, zu einem Staat, der durch die gezielte Drosselung und Senkung der Produktion den Ölpreis in einem „vernünftigen“ Rahmen halten sollte. Denn Saudi-Arabien, das diese Rolle damals spielte und noch immer spielt, galt als zunehmend unzuverlässig.

Die Versorgung der kapitalistischen Weltwirtschaft mit Öl ist zu wichtig, als dass sie dem Spiel der Marktkräfte überlassen werden könnte. Auch wirtschaftsliberale Regierungen bestehen daher auf einer politischen Lenkung des Ölhandels, ein komplexes Netzwerk von Regierungs- und Konzernvertretern versucht seit den sechziger Jahren dafür zu sorgen, dass  die Konjunktur nicht durch zu hohe, die Stabilität der Öl produzierenden Staaten aber auch nicht durch zu niedrige Preise gefährdet wird.
Ein fetter Anteil
Eine vollständige Privatisierung der irakischen Ölwirtschaft, die den Konzernen auch die Entscheidung über die Fördermenge überlassen hätte, war daher wohl nie beabsichtigt. Unter staatlicher Oberaufsicht sollten jedoch Kontrakte an westliche, nicht zuletzt US-Konzerne vergeben werden, um die Fördermenge innerhalb weniger Jahre zumindest zu verdoppeln. „Amerikanische Unternehmen werden einen fetten Anteil am irakischen Öl bekommen“, hatte der irakische Exilpolitiker Ahmed Chalabi im September 2002 versprochen. Von ihm erwartete die US-Regierung, dass er so etwas wie die irakische FDP gründen werde, eine Partei der Geschäftswelt, die aus eigenem Interesse mit den USA kooperieren würde.

Doch Chalabi schloss sich der schiitischen Koalition an und überwarf sich mit der US-Besatzungsverwaltung. Diese Behörde tat auch wenig, um das Wachstum einer den USA freundlich gesonnenen irakischen Bourgeoisie zu fördern. Fast alle Aufträge für den Wiederaufbau gingen an ausländische, vor allem US-Konzerne.

Diese Konzerne erhielten meist „cost plus contracts“, Verträge, die ihnen einen festgelegten Profit garantierten. Die Zahlung erfolgte zudem unabhängig von der Lieferung. So erhielt Halliburton sein Geld, obwohl von den 200 in Auftrag gegebenen Krankenhäusern nur vier gebaut und kein einziges eröffnet wurde. Da Halliburton auch an die Demokraten spendet, ist es unwahrscheinlich, dass die derzeit in den USA laufenden Untersuchungen staatlicher Kommissionen Folgen haben werden
Stärker sind die Folgen im Irak spürbar. Dass die Versorgungslage eher schlechter ist als vor dem Krieg, bringt die Bevölkerung gegen die USA auf. Die wirtschaftliche Misere trug dazu bei, dass sich keine Parteien etablieren konnten, die Klasseninteressen vertreten. Noch immer gibt es im Irak keine bedeutende auf nationaler Ebene agierende Partei. Die parlamentarische Politik besteht größtenteils aus dem Machtkampf ethnisch-konfessioneller Organisationen, die sich in drei große Blöcke teilen: die schiitische Koalition, die kurdischen Parteien KDP und PUK sowie die unterrepräsentierten Sunniten.
Wer das Öl hat, hat die Macht
Die meisten Parteien haben nichts gegen die Zusammenarbeit mit ausländischen Konzernen, bestehen aber darauf, dass sie die Verfügungsgewalt über die verbleibenden Öleinnahmen, derzeit etwa 35 Milliarden Dollar pro Jahr, behalten. Denn auf dieser Kontrolle beruht ihre Herrschaft, sie ermöglicht es ihnen, Geld, Jobs und Privilegien zu verteilen und auf diese Weise eine Klientel an sich zu binden.

Der Verteilungsstreit hat bislang die Verabschiedung eines Gesetzes über die Ölwirtschaft verhindert. Es müsste eine Lösung gefunden werden, die sowohl die arabisch-sunnitische Minderheit, auf deren Territorium es kein Öl gibt, an den Einnahmen beteiligt, als auch den Forderungen der Kurden und Schiiten gerecht wird, die eine Kompensation für Jahrzehnte der Benachteiligung unter Saddam Hussein erwarten.

Befasst mit der Erstellung des Ölgesetzes ist Finanzminister Bayan al-Jabr, der das Innenministerium verlassen musste, weil er in allzu offener Weise schiitische Todesschwadronen mit Polizeiuniformen ausgestattet hatte. Zudem geht die Fraktionierung im Staatsapparat längst über die Dreiteilung Schiiten, Kurden Sunniten hinaus. Einzelne Parteien und Milizen kontrollieren die Ministerien. Die Konzerne, die nicht wissen, wer einen rechtsgültigen Kontrakt unterschreiben kann und ob ihre neu gebauten Anlagen nicht gleich wieder in die Luft gesprengt werden, warten auf ein besseres Investitionsklima. Die US-Politik im Irak ist gescheitert, derzeit debattiert das Establishment nur noch verschiedene Wege der Schadensbegrenzung. 

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