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Ökologie

Der Atomausstieg wird auf der Straße verhandelt

Von Tim Nießner | 01.11.2010

Die Anti-Atom-Bewegung ist so stark wie seit den 80er-Jahren nicht mehr. Um ihrem Protest Nachdruck zu verleihen, wollen tausende Menschen die Transportstrecke im Wendland unbefahrbar machen und sich an den Blockaden beteiligen.

Die Anti-Atom-Bewegung ist so stark wie seit den 80er-Jahren nicht mehr. Um ihrem Protest Nachdruck zu verleihen, wollen tausende Menschen die Transportstrecke im Wendland unbefahrbar machen und sich an den Blockaden beteiligen.

In Sachen Atompolitik ist in den letzten Wochen und Monaten viel passiert. Der von der damaligen rot-grünen Bundesregierung vor zehn Jahren ausgehandelte „Atomkonsens“ wurde abgewickelt, die Laufzeiten der AKWs verlängert und das Moratorium für die Erkundung des Endlagerstandorts Gorleben ist gekippt. Die schwarz-gelbe Bundesregierung setzt, trotz massiver Bedenken selbst aus ihrem eigenen Umweltbundesamt, auf den weiteren Ausbau des Salzstock Gorleben zum Endlagerstandort. Gegen die Atompläne der Herrschenden entsteht z. Z. bundesweit eine neue Anti-Atom-Bewegung, die sich vor der „alten“ Bewegung der 80er-Jahre nicht verstecken braucht. Schon im November 2008, anlässlich des letzten Castortransports, sammelten sich fast 20 000 Menschen, soviel wie schon lange nicht mehr, in Gorleben vor dem Zwischenlager. Im September 2009 waren es dann 50 000 in Berlin, am Tschernobyl-Jahrestag 2010 beteiligten sich 120 000 an einer Menschenkette und 20 000 bei Protesten an den Anlagen in Biblis und Ahaus. Am 18. September 2010 sprachen die Veranstalter­­Innen der Anti-Atom-Demo in Berlin dann von 100 000 Teilnehmer­­Innen. Immer mehr Menschen erkennen, dass der Ausstieg aus der Nutzung der Atomkraft auf der Straße erkämpft wird und nicht im Parlament.
Druck machen
Für den 6. November ruft ein breites Bündnis aus Umweltorganisationen und Bürgerinitiativen, Parteien, Gewerkschaften, Kirchen sowie Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren Energien zu einer Großdemonstration gegen den Castotransport in Dannenberg auf. Für einen Großteil der Demonstrierenden ist jedoch klar, dass man die Herrschenden nicht mit einer Demonstration umstimmen kann, sei sie noch so groß und noch so bunt. Daher werden sich tausende Menschen an den Aktionen des zivilen Ungehorsams in den Tagen nach der Demo beteiligen. Von allen Seiten, von der Bäuerlichen Notgemeinschaft bis zu den Autonomen, wird derweilen eine gegenseitige Akzeptanz und Unterstützung der verschiedenen Aktionsformen betont. Eine Spaltung der Bewegung in „friedliche“ und „gewalttätige“ Atomkraftgegner­­Innen scheint momentan keine Gefahr darzustellen. Dies ist ein enormer Fortschritt gegenüber der Bewegung in den 80er-Jahren. Es herrscht heute eine breite Einigkeit darüber, dass man, nach den massiven Demonstrationen in den letzten 2 Jahren, nun einen Schritt weitergehen muss. Die Argumente sind längst ausgetauscht, jetzt gilt es Druck zu machen.
Gemeinsam schottern gehen…
Neben den geplanten Sitzblockaden von X-tausendmalquer und Widersetzen ist Castor Schottern eine von zahlreichen Aktionen des zivilen Ungehorsams, die das Ziel haben, den Castor aufzuhalten und dazu auch bewusst die Spielregeln des bürgerlichen Staates zu übertreten. In der gemeinsamen Erklärung von Castor Schottern heißt es: „Mit Hunderten, Tausenden von Menschen, die aus unterschiedlichstem politischen und sozialen Alltag kommen, werden wir am Transporttag auf die Schienenstrecke gehen. Wir sind entschlossen, massenhaft den Schotter aus dem Gleisbett zu entfernen, also die Gleise zu unterhöhlen und sie damit für den Atommüllzug unbefahrbar zu machen. Wir wählen für die Aktion einen Schienenabschnitt, an dem an diesem Tag kein Zugverkehr außer dem Castortransport stattfindet.“

Ganz klar wird aber von den Organisator­­Innen des Bündnisses, das wegen seiner angekündigten militanten Vorgehensweise in den letzten Wochen viele Schlagzeilen gemacht hat, die nötige Einheit der Bewegung betont. Christoph Kleine, Pressesprecher für das Bündnis Castor Schottern, dazu: „Die Kampagne Castor Schottern steht nicht in Konkurrenz zu anderen Aktionen gegen den Castortransport. Wir sind ausdrücklich solidarisch mit all den verschiedenen Aktionen und Aufrufen und wissen, dass der Erfolg nur gemeinsam errungen werden kann.“ Viele Menschen, die erst an den Gleisen den Schotter wegschaffen, werden anschließend sich an den Sitzblockaden und anderen Aktionen beteiligen und andersherum.

Diese Entwicklung in der Bewegung, hin zu offen angekündigten militanten Aktionen, an denen sich Menschen aus den unterschiedlichsten Spektren beteiligen können, ist unterstützenswert. Der RSB hat daher Anfang September beschlossen den Aufruf für die Aktion mitzutragen und nach Kräften zu mobilisieren.
… mit breiter Unterstützung
Die Idee für diese Aktionsform kam ursprünglich aus dem Spektrum der Interventionistischen Linken (IL), gegen Ende Oktober hatten sich allerdings schon 233 Gruppen und 1 001 Einzelpersonen dem Aufruf angeschlossen.

Das Reichweite des Bündnisses ist enorm, sie reicht vom Bund Deutscher Pfadfinder­­Innen und der Vollversammlung der Kirche von Unten, über Die Falken, den AStA der Uni Potsdam, verschiedenste Basisgruppen der sozialen und der Umweltbewegung bis zu Gruppen der autonomen und libertären Szene, sowie kommunistischen Organisationen. Unter den 1 001 Einzelpersonen, die den Aufruf unterstützen, sind auch Menschen wie Hannes Wader, Konstantin Wecker, Prof. Dr. Peter Grottian, Prof. Michael Brie, Mitglieder des Koordinierungskreises von Attac und 20 Abgeordnete aus Landtagen und dem Bundestag der Partei Die Linke. Dass Mandatsträger­­Innen und Gliederungen der Grünen nicht unter dem Aufruf stehen, hat damit zu tun, dass die Organisator­­Innen diese Partei für zu etabliert halten und deren Atomkompromiss aus dem Jahr 2000 ablehnen. Nichts desto trotz haben einige grüne Politiker­­Innen, wie die Europaabgeordnete Rebecca Harms, ihre Unterstützung öffentlich erklärt und zur Beteiligung an der Aktion aufgerufen.
Vielleicht nicht legal, aber legitim
Die Staatsanwaltschaft hat derweilen erste Ermittlungsverfahren gegen Castor Schottern-Aktivist­­Innen eingeleitet. Aus Sicht der Behörden handelt es sich um einen Aufruf zu einer Straftat. Durch eine Kriminalisierung des Protests und das Schüren von Ängsten soll schon im Vorfeld des Transports dafür gesorgt werden, dass niemand im November ins Wendland fährt. Von solchen rein politisch motivierten Ermittlungen hat sich bisher allerdings kaum jemand abschrecken lassen, ganz im Gegenteil. Die Ermittlungen und die Medienberichte darüber wirkten vielmehr wie eine riesige Werbetrommel für die Aktion. Hunderte Einzelpersonen und zahlreiche Gruppen unterschrieben den Aufruf, nachdem die Ermittlungen eingeleitet worden waren. In einer Stellungnahme zu den Ermittlungen heißt es auf der Homepage des Bündnisses: „Auch wenn wir wissen, dass die „Castor Schottern!“-Aktion nicht vom Gesetzbuch gedeckt ist: Unsere Aktion ist legitim und richtig! Wenn die Regierung gegen den Willen der Menschen mit
den Atomkonzernen mauschelt, um ihnen Milliardengewinne zuzuschanzen, wenn sie gemeinsam Gorleben als Endlager zementieren wollen, obwohl längst bekannt ist, dass der Standort nicht geeignet ist – dann ist Widerstand gerechtfertigt!“

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