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Betrieb & Gewerkschaft

Den Widerstand in Betrieb und Gewerkschaft entwickeln

Von W. Walrave/D. Berger | 29.09.2005

Mit dem Einzug der Linkspartei in den Bundestag kommen die Medien nicht mehr so gut daran vorbei, auch anti-neoliberale Stellungnahmen wiederzugeben. Das erleichterte schon in der Vorwahlzeit so manche Diskussionen im Betrieb. Es hat eindeutig geholfen, entschieden linke Positionen zu enttabuisieren.

Mit dem Einzug der Linkspartei in den Bundestag kommen die Medien nicht mehr so gut daran vorbei, auch anti-neoliberale Stellungnahmen wiederzugeben. Das erleichterte schon in der Vorwahlzeit so manche Diskussionen im Betrieb. Es hat eindeutig geholfen, entschieden linke Positionen zu enttabuisieren.

Aber damit allein wird sich weder an den generellen Kräfteverhältnissen in der Gesellschaft wirklich etwas ändern, noch wird damit der Widerstand der Belegschaften in den Betrieben organisiert. Auch die Kampfkraft und die Kampfbereitschaft der Gewerkschaften gegen die Politik von Kabinett und Kapital werden damit noch lange nicht neu aufgebaut. Vor allem auf die Abkehr vom Konfliktvermeidungskurs kommt es aber an.

Verbetrieblichung

Noch ist unklar, in welcher Form die Vorstöße zur weiteren Zerbröselung und Aushöhlung des Flächentarifvertrages erfolgen werden. Angesichts der zurückweichenden Haltung der Gewerkschaftsführungen bei allen Vorstößen und Erpressungen seitens des Kapitals (Arbeitszeitverlängerung ohne Lohnausgleich z. B. bei Siemens Bocholt, Dienstleistungstarifvertrag bei DC usw.) kam es bisher auf eine gesetzliche Regelung zur Erleichterung von “betrieblichen Bündnissen” nicht an. Dennoch: Der Flächentarif hat noch eine gewisse Bedeutung und je mehr er mit Zustimmung der Gewerkschaften ausgehöhlt wird, um so wahrscheinlicher wird auch eine Änderung des § 77,3 Betr.VG.
Die nächste Nagelprobe steht bei VW an. Auch hier soll wieder erpresst werden und auch hier rüstet die Gewerkschaft nicht zum Widerstand – schon gar nicht grenzübergreifend – sondern verhandelt über Lohnabschläge, um Aufträge von Spanien nach Deutschland zu holen. So baut man keine breite aktive Solidaritätsfront auf. So entwaffnet die Gewerkschaft die KollegInnen und bestärkt den Irrglauben, dass es keine Alternative zur Wettbewerbswirtschaft und zur Standortlogik gibt. Weiterer Stellenabbau, Massenentlassungen und sinkende Löhne sind die logische Folge.

Angesichts dieser generellen Konfliktvermeidungsstrategie wirken die Worte des ersten Vorsitzenden der IG Metall doch sehr hohl: Wenn jemand die Verbindlichkeit der Tarifverträge zerstöre, werde die IG Metall nicht tatenlos zusehen, sondern sich mit “gewerkschaftspolitisch geeigneten Mitteln” zur Wehr setzen (direkt, 14.9.05).
Statt dessen müsste heute schon offensiv für das politische Streikrecht eingetreten werden. Ja dieses muss notfalls auch ohne Gesetzesänderung durch eine massive Bewegung praktisch durchgesetzt werden.

Die zentralen Herausforderungen

Sollen die ungünstigen Kräfteverhältnisse geändert werden, muss die Gewerkschaftsbewegung wieder Handlungsfähigkeit und Handlungsbereitschaft unter Beweis stellen. An keiner Stelle ist das so wichtig wie in der Frage der Massenerwerbslosigkeit, die absolut entscheidend ist für den Widerstandswillen in den Betrieben wie auch für das allgemeine Kräfteverhältnis zwischen den Klassen. So lange die Gewerkschaften keinen Kampf um eine Arbeitszeitverkürzung in großen Schritten bei vollem Lohn- und Personalausgleich einleiten und wirklich dafür kämpfen, so lange können sie nur machtlos zuschauen, wie ihr Einfluss schwindet und sich die Lebensbedingungen der ArbeiterInnenklasse weiter verschlechtern.

Eine unmittelbare Folge der hohen Erwerbslosigkeit und des auf den KollegInnen lastenden Drucks ist die Ausbreitung des Billiglohnsektors sowie die Frechheiten von Hartz IV: verschärfte Zumutbarkeitsregelungen, 1-Euro-Jobs usw. Aus diesem Grund hat die Forderung nach einem Mindestlohn, mit dem wir ein menschenwürdiges Leben führen können, eine so hohe Bedeutung.
Trotz jahrelanger Erfahrung mit den Folgen neoliberaler Politik und mit den Folgen ihres eigenen Einschwenkens auf die Standortlogik ist bei den Gewerkschaftsführungen keine Änderung ihrer Haltung in Sicht. Dazu haben sie ihren Frieden mit diesem System geschlossen und sind selbst materiell zu gut abgesichert. Das Sein prägt bekanntlich das Bewusstsein.

Andererseits wird es nicht reichen, nur betrieblich oder am Ort den Widerstand zu proben. Die gesamte Gewerkschaftspolitik muss umgestülpt werden! Dabei spielt der Kampf um die Verkürzung der Arbeitszeit und für einen akzeptablen Mindestlohn die alles entscheidende Rolle. Eine intensive Kampagne für die Ziele 30/10 ist angesagt: 30-Stundenwoche sofort bei vollem Lohn- und Personalausgleich. 10 Euro Mindeststundenlohn.

Der ÖD-Abschluss

Der Tarifabschluss vom 13. September offenbart zweierlei:

–    die gewaltige politische Schwäche des zentralen Leitungsapparats von ver.di, die sich in einer völligen Anpassung an den neoliberalen Mainstream in der Gesellschaft ausdrückt.
–    die Schwäche der Gewerkschaftslinken, die es weder vor dem Potsdamer Abschluss vom Februar noch in der Zeit bis zum Abschluss der Detailvereinbarungen vermochte, einen spürbaren Widerstand aufzubauen.

Dabei sind die Auswirkungen für 2,3 Mio. Beschäftige direkt (und indirekt für insgesamt 6 Mio. Beschäftigte) ganz gewaltig:  Die Arbeitszeit wird bedeutsam flexibilisiert (§ 6,6 und 6,7: Arbeitszeitkorridor bis 45 Stunden in der Woche und 12 Stunden am Tag) mit der Folge, dass es für die weiterhin anfallende periodische Mehrarbeit keine Zuschläge mehr gibt; die Arbeitszeit wird im Westen verlängert (39 h beim Bund), die regelmäßige Arbeitszeit wird grundsätzlich auf 6 Tage verteilt, so dass auch hier viele Beschäftigte Zuschläge verlieren; Urlaubs- und Weihnachtsgeld werden gekürzt; Orts- und Kinderzuschläge werden abgeschafft. Kein Wunder, dass der Marburger Bund aus der Tarifgemeinschaft ausgetreten ist (s. Artikel auf S. 11).

Die Einführung eines Leistungsentgeltes ab 1.1.2007 (§ 18) wird nicht etwa zu mehr Gerechtigkeit führen, sondern zu neu einsetzender Konkurrenz unter den Beschäftigten.
Besonders verheerend wirkt die Tatsache, dass die Gewerkschaft beim Potsdamer Abschluss im Februar der Einführung eines Niedriglohns (mit 1286 Euro mindestens 300 Euro unter dem bisher niedrigsten Gehalt) zugestimmt hat und dies in den Detailvereinbarungen vom 13. September nicht korrigiert wurde. Dass damit Privatisierungen verhindert werden (die offizielle Begründung) ist eine blanke Illusion. Im Gegenteil: Je billiger die entsprechende Arbeitskraft schon vor der Privatisierung ist, um so attraktiver ist der entsprechende Betrieb für “private Anleger”.

Gewerkschaftsführung und Gewerkschaftslinke

Die kampflose Preisgabe wichtiger Positionen durch die Gewerkschaftsführung für so viele Beschäftigte beruht auf folgender Grundlage:

–    Der zentrale Gewerkschaftsapparat (hier von ver.di) hat das Geschehen – und zwar vor allem die      absolut entscheidende Tarifpolitik – völlig unangefochten in der Hand.
–    Die Mitgliedschaft wird weitgehend unwissend un
d unbeteiligt gehalten. Das geht sogar so weit, dass die Gewerkschaft sich auf eine Aufspaltung des Flächentarifs einlässt. Die Abschlüsse von Potsdam (Februar) und jetzt vom 13. September lassen zu, dass die KollegInnen der Länder nicht betroffen sind. Dort sind aufgrund der Strukturen und des geringen Organisationsgrades die meisten Betriebe und Ämter nur unter schwierigsten Bedingungen kampffähig. Deshalb wittern die Länder ihre Chancen und wollen dort noch schlechtere Bedingungen als im Potsdamer Abschluss durchsetzen. De facto lässt der zentrale Apparat von ver.di die KollegInnen im Regen stehen.
–    Weder in der Tarifpolitik noch in anderen zentralen Feldern ist es der Gewerkschaftslinken gelungen, gegen den Ausverkauf durch die verdi-Führung Front zu machen, eine alternative Gesamtlinie zu entwickeln, unter den KollegInnen bekannt zu machen oder zumindest in so entscheidenden Fragen wie der des jetzigen Tarifabschlusses bundesweit wirksam eine Gegenposition zu beziehen und Druck aufzubauen.

Genau darauf aber kommt es an. Wenn dies auf absehbare Zeit nicht gelingt, wird die Organisierung der Gegenwehr immer schwerer.So manchen GewerkschaftsfunktionärInnen aus dem unteren und mittleren hauptamtlichen Apparat ist es angesichts der sich häufenden Niederlagen und dem damit verbundenen Bedeutungsverlust der Gewerkschaften sehr unwohl. Statt aber eine gemeinsame Kraftanstrengung zu unternehmen und in organisierter Form für die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften zu kämpfen, schauen viele von ihnen… auf die Linkspartei. Sie soll’s richten! Nur wie? Etwa mit ein paar Reden im Bundestag?Wie wir dem Info der Gewerkschaftslinken Nr. 7 entnehmen und wie die Diskussionen am Ort bestätigen: Die Linkspartei ist schwer zu gewinnen für einen offen kritischen Kurs gegenüber den Gewerkschaftsvorständen. Dennoch sollte die Gewerkschaftslinke auf diese Partei zugehen und die gewerkschaftlich organisierten KollegInnen auffordern, zum Aufbau einer klassenkämpferischen Strömung in den Gewerkschaften beizutragen.

Schlussfolgerungen für die Gewerkschaftslinke

  1. Die Gewerkschaftslinke muss sich – wenn sie in das Geschehen eingreifen will – ein bundesweit bekanntes inhaltliches Profil geben. Dazu sollte nach unserer Ansicht die geplante Verabschiedung einer kurzen, klaren Plattform dienen als vorläufige Grundlage für die Herausbildung einer organisierten Strömung in den Gewerkschaften.
    Mit dieser Plattform und anderen veröffentlichten Positionen (etwa dem Info sowie evtl. einer kleinen Broschüre zur Arbeitszeitverkürzung und zum Mindestlohn) und mit der Organisierung aktiver Solidarität mit kämpfenden Belegschaften muss dann in den gewerkschaftlichen Strukturen und in den Betrieben für die Ziele der Gewerkschaftslinken geworben werden.
    Nur über diesen Weg können neue Kräfte für die Mitarbeit in der Gewerkschaftslinken gewonnen werden. Und nur darüber lässt sich die Gewerkschaftslinke regional ausdehnen und am Ort stärker verankern.
  2. Der Schwerpunkt der Plattform wie auch der politischen Arbeit dieser Strömung muss in den beiden o. g. Feldern liegen: eine unablässige Agitation und Propaganda für einen breiten Kampf um die Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohn- und Personalausgleich sowie für einen akzeptablen Mindestlohn.
  3. Die Positionen der Gewerkschaftslinken müssen massenhaft und zeitnah zu den Anlässen verbreitet werden. Dies gilt ganz besonders im Vorfeld und während der Tarifrunden: ein handliches Info, das bundesweit in kurzen Zeitabständen zur Verfügung gestellt wird und durch lokale oder regionale Meldungen ergänzt werden kann.
  4. Die Gewerkschaftslinke muss sich aktiv, zentral und lokal in die Vorbereitung und Durchführung des APO-Kongresses am 19./20. November einklinken. An allen Orten sollten sich Vorbereitungskomitees bilden, die partei- und gewerkschaftsübergreifend alle Kräfte repräsentieren, die an der Organisierung des Widerstands interessiert sind. Diese Strukturen sollten als breite Aktionseinheiten wirken, die in der Lage sind, eine große Mobilisierung im Frühjahr hinzubekommen, die noch größer wird als die vom 1. November 2003, als 100 000 in Berlin demonstrierten. Dazu sollten gezielt gewerkschaftliche Gremien gewonnen werden.
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