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Innenpolitik

Das Hartz IV-Optimierungsgesetz: Verarmung, Überwachung, Demütigung

Von Walter W. | 01.06.2006

Das „Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende” – kurz Optimierungsgesetz – verschärft die Situation der von Hartz IV-Betroffenen und Bedrohten erheblich und bereitet die definitive Liquidation des Sozialstaates vor. Die Arbeitslosigkeit ging nicht zurück, Einsparungen blieben aus, der inkompetente Verwaltungsapparat blähte auf und führte zu mehr Bürokratie.

Das „Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende” – kurz Optimierungsgesetz – verschärft die Situation der von Hartz IV-Betroffenen und Bedrohten erheblich und bereitet die definitive Liquidation des Sozialstaates vor.

Wahrscheinlich glaubten die neoliberalen IdeologInnen allmählich selbst ihren geschönten und gefälschten Statistiken, denn sonst hätten sie sich nicht so verrechnet. Die offizielle Arbeitslosenstatik wurde von 6,7 Millionen Berechtigten getoppt. Die Arbeitslosigkeit ging nicht zurück, Einsparungen blieben aus, der inkompetente Verwaltungsapparat blähte auf und führte zu mehr Bürokratie. Das Betreuungsinstrument „Fallmanagement” erwies sich schnell als Betreuungsfall und die neue homepage der Agentur für Arbeit als Reinfall. Das Trio infernale Schröder, Clement, Hartz käme nicht einmal in eine Trainingsmaßnahme der Arbeitsagentur! Ein neues Gesetz musste her, um den nicht nachweisbaren Leistungsmissbrauch durch eine „angepasste Verwaltungspraxis” zu bekämpfen. Clements zynische Kampagne gegen den „massiven Leistungsmißbrauch” im Sommerloch 2005 stand auf tönernen Füßen, nachdem der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur der „Frankfurter Rundschau” am 12.5.06 beichtete, dass es hierüber keine statischen Unterlagen gäbe.
Nachdem nun jeder ein Hartz IV-Opfer in Familie, Freundeskreis oder Nachbarschaft hatte, erwies der bekannte Florida-Rolf als illustre Randfigur. Von den damals betroffenen 2,8 Millionen Leistungsbeziehern seiner Kategorie bezogen ganze 900 Geld im Ausland.
Der optimale Kampf gegen die Arbeitslosen
Der Gesetzentwurf von 92 Seiten kann hier nur kurz dargestellt werden: die Schuldigen sind – das machen BILD und SAT 1 der Bevölkerung tagtäglich klar – die Betroffenen selbst. Dabei kann die Bundesagentur nur 20% aller Betroffenen rein rechnerisch einen Arbeitsplatz anbieten, wobei Angebote und Nachfrage nicht gegengerechnet werden können. 2 Millionen treten erst gar nicht bei der Arbeitsagentur an!
Arbeits- und Qualifizierungsangebot sollen vor der Überprüfung des Leistungsanspruch gemacht werden, um die Bereitschaft zur Arbeitsaufnahme zu überprüfen. Der ehemalige Sozialdemokrat Müntefering zerschlägt somit die Möglichkeit der freien Berufs- und Arbeitsplatzwahl. Diese Drohung wirkt tief in den Kreis der noch Beschäftigten hinein, weil er drastische Einschränkungen des Berufsschutzes beinhaltet. D.h. der „sozialdemokratische” Tanker steuert nach rechts … die „roten” Koalitionen in Berlin und Mecklenburg – Vorpommern folgen im Kielwasser.
Wer den Sozialstaat eliminiert, kann dies nicht tun, ohne Grundrechte und rechtsstaatliche Grundlagen zu unterminieren. Erstes Opfer ist der Datenschutz, denn in Zukunft ist ein Datenabgleich bei Banken in gesamten EU-Bereich möglich. Hartz IV-BezieherInnen aufgepasst (!) Transferiert Eure Milliarden schleunigst in die Karibik! Sachdienstliche Hinweise leisten Subventionsbetrüger und SteuerhinterzieherInnen aus den Chefetagen des Großkapitals bestimmt gerne.

Telefonkontrollen und vermehrte Hausbesuche runden das Bild ab. Letztere werden durch flächendeckende Außen- und Prüfungsdienste gewährleistet, die beim geringsten Verdacht, d.h. zum Beispiel durch eine Denunziation aus der Nachbarschaft, aktiv werden. Dabei liegt die Beweislast beim Denunzierten! Von Leistungskürzungen bis zu 60% ist die Rede.
Die Arbeitsgemeinschaften selbst sind nicht kontrollierbar und Einwände bei den Beschwerdestellen, soweit sie überhaupt vorhanden sind, haben keine aufschiebende Wirkung. Leistungskürzungen werden schon im Verdachtsfall prompt vollzogen. Partnerschaftliche Gemeinschaften werden den eheähnlichen Gemeinschaften rechtlich angeglichen als Reaktion auf ein Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf… und damit keiner auf den aufmüpfigen Gedanken kommt, den Rechtsweg bis nach Karlsruhe(Sitz des Bundesgerichtshofes) zu gehen.
Hier zeigt sich einmal mehr, dass der Neoliberalismus mehr ist als ein ökonomisches roll-back. Er ist eine institutionalisierte, permanente und aggressive gesamtgesellschaftliche Konterrevolution, die alle Aspekte des menschlichen Lebens umfasst. Sie stellt alle Errungenschaften der Arbeiterbewegung und des progressiven bürgerlichen Erbes in Frage!

Das Optimierungsgesetz ist also nicht nur eine vermehrte ökonomische Reduzierung des Erwerbslosenlebens, sondern drangsaliert und demütigt die Betroffenen, um so das Reservoir für ein rechtloses und verarmtes Subproletariat zu schaffen, das so auch die ökonomische und rechtliche Lage der Erwerbstätigen auf dem ersten Arbeitsmarkt untergräbt.
Mensch beachte die vorsichtige Handhabung der Einführung des Gesetzes, das das Kabinett bereits abgesegnet hat. Im Gegensatz zur ersten Hartz IV-Runde waltet hier der diskrete Charme der Bourgeoisie, neue Großdemonstrationen sollen vermieden werden. So wussten drei MitarbeiterInnen eines großen Arbeitsamtes im Ruhrgebiet noch gar nichts von dem neuen Gesetz!
Eine Spirale nach unten
Natürlich steht das ökonomische Kalkül an erster Stelle. Einsparungen sollen durch die Ausweitung des Niedriglohnsektors erzielt werden, bei Löhnen, die selbst Vollzeitbeschäftigten die Existenz nicht mehr sichern. Dieses Problem wird elegant durch den Kombilohn umgegangen, der natürlich primär aus der Lohnsteuersumme finanziert wird. Hier outet sich der aktivierende Staat in schonungsloser Offenheit als bürgerlicher Klassenstaat wie wir in unserer Kritik an WASG/Linkspartei immer wieder betont haben. Zudem geht die Finanzierung des Kombilohnes mit einem Ausgabenverzicht im Hartz IV-Sektor einher. Die ArbeiterInnenklasse wird verstärkt gespalten und in ihrer Fraktionierung gegeneinander ausgespielt. Deshalb sind Aktionseinheiten aller Betroffenen von fundamentaler Bedeutung.

Das ganze System soll kontinuierlich nach unten „reformiert” werden. Schöne Aussichten! Am Horizont erscheint schon das Menetekel des „Maximalisierungsgesetzes” mit täglichem Essensgutschein und Schlafplatzgarantie! Der Fallmanager – populär schon Verfolgungsmanager genannt – wird’s schon richten!
Auch nach bürgerlichen Maßstäben tritt das Gesetz die Menschenwürde mit Füßen und verletzt das Sozialstaatsgebot, aber das dürfte diejenigen wenig interessieren, die täglich unter Bruch von Völkerrecht und Verfassung sich an Kriegseinsätzen beteiligen. Die gute, alte Parole der Anti-AKW-Bewegung „Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!” ist aktueller den je. Rentenklau, Studiengebühren, Massententlassungen bei sprudelnden Profiten, Optimierungsgesetz … das Maß ist voll. Die Betroffenen müssen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen! Die Demonstration am 3
.Juni 2006 in Berlin könnte die Auftaktveranstaltung zu einem heißen Herbst werden! 

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