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Ökologie

Castor: Vom Protest zum Widerstand

Von Tim Nießner | 01.12.2010

Jedes Mal, wenn ein Zug mit Atommüll in Richtung Gorleben rollt, kommt es zu heftigen Protesten. Von daher ist es nichts Neues, wenn sich Tausende Menschen der atomaren Fracht in den Weg stellen. In diesem Jahr nahmen die Auseinandersetzungen allerdings einen deutlich anderen Charakter an, als noch vor Jahren.

Jedes Mal, wenn ein Zug mit Atommüll in Richtung Gorleben rollt, kommt es zu heftigen Protesten. Von daher ist es nichts Neues, wenn sich Tausende Menschen der atomaren Fracht in den Weg stellen. In diesem Jahr nahmen die Auseinandersetzungen allerdings einen deutlich anderen Charakter an, als noch vor Jahren.

Der Widerstand gegen den Castortransport ist in diesem Jahr massenhafter und ungehorsamer geworden, was nicht zuletzt der Atompolitik der schwarz-gelben Regierung zu verdanken ist. Das erste Mal in der Geschichte der Transporte kam es schon an der deutsch-französischen Grenze bei Berg zu einer ersten Massensitzblockade. Und auch im Wendland blieben, im Gegensatz zu den Vorjahren, diesmal viele Menschen im Anschluss an die Auftaktkundgebung und blockierten tagelang die Transportroute.
Militanter Massenprotest
Die Massensitzblockaden auf Schienen und Straßen, ein Konzept, was Anfang der 80er in der Bewegung noch kontrovers diskutiert wurde, sind da mittlerweile ein bewährtes Mittel. Während es Anfangs eher der linke Teil der Bewegung war, der zu solchen Mitteln des zivilen Ungehorsams griff, ist dies heute eine etablierte Aktionsform für jedermann und jedefrau. Herausragend war diesmal hingegen die Aktion „Castor Schottern!“, mit der der linke Teil der Bewegung versucht hatte, in die Offensive zu gehen: weg von den klandestinen Aktionen kleiner Gruppen an den Schienen, hin zu einem militanten Massenprotest, an dem sich Menschen aus den unterschiedlichsten Spektren beteiligen konnten.

Tausende Schotterer­Innen machen sich in den frühen Morgenstunden am Tag nach der Auftaktkundgebung aus den verschiedenen Camps und Privatunterkünften auf den Weg in Richtung Schiene. Auf mehreren Kilometern Länge versuchen sie immer wieder an die Gleise zu kommen, um diese zu unterhöhlen und somit für den Castorzug unpassierbar zu machen. Immer wieder gelingt es dabei kleineren und größeren Gruppen, sich unbemerkt durch das Unterholz zu schlagen, den teilweise recht steilen Abhang zu den Schienen herunter zu klettern und minutenlang zu schottern. Am Ende des Tages soll so manche große Lücke im Gleisbett klaffen. An einer Stelle ist das Gleis auf ganzen 150m ellbogentief unterhöhlt worden. Die Einsatzkräfte der Polizei sind mit der Menge und Entschlossenheit der Menschen sichtlich überfordert und versuchen, dies durch brutale Pürgelorgien und den massenhaften Einsatz von CS-Gas und Pfefferspray auszugleichen. Doch anders als bei früheren vergleichbaren Aktionen sind viele Aktivist­Innen gut vorbereitet, aufblasbare Gummitiere, Luftmatratzen und Strohsäcke helfen dabei, die Polizei auf Distanz zu halten. Folien schützen das Gesicht vor dem Pfefferspray. Gut vorbereitet und noch besser organisiert sind die Bäuer­Innen, die an allen strategisch wichtigen Punkten im Landkreis Straßensperren mit ihren Traktoren errichten, um die Verschiebung von Polizeieinheiten zu verhindern. Protestierer­Innen werden hingegen, nach einer freundlichen Kontrolle, durchgelassen.
Keine Spaltung
Zwar schaffen es die Schotterer­Innen zu keinem Zeitpunkt, wie geplant mit tausenden Menschen gleichzeitig die Gleise zu unterhöhlen, doch um dies zu verhindern, sind so viele Polizist­Innen nötig, dass an anderen Stellen Aktionen sich um so besser entwickeln können. Die sich parallel bildende Sitzblockade bei Harlingen z. B. scheint der Einsatzleiter dabei ganz aus den Augen verloren zu haben, sodass sich dort mit der Zeit über 5 000 Blockierer­Innen einfinden, ohne auf besondere Ansammlungen von Polizei zu stoßen. Als dann die Nachricht den Wald bei Leitstade erreicht, dass zusätzlich über 1 000 Menschen von X-tausendmalquer sich auf den Weg gemacht haben, um die Straße vor dem Zwischenlager in Gorleben zu besetzen, reagieren einige Schotterer­Innen recht amüsiert. Für Teile von ihnen ist die Kampagne X-tausendmalquer der Inbegriff für angepassten und ausgelutschten Pseudo-Widerstand. Und tatsächlich wurde in den vergangenen Jahren durch X-tausendmalquer das, was die Bewegung unter „gewaltfreiem zivilem Ungehorsam“ versteht, sehr eng definiert, Sachbeschädigung, wie sie das Schottern darstellt, Vermummung oder anderweitiger Schutz gegen die Polizei ist in ihrem Aktionskonsens nicht eingeplant. Immerhin hatte X-tausendmalquer es mit diesem Konzept geschafft, dass Menschen unterschiedlichsten Alters, sozialer und politischer Herkunft sich an den Aktionen beteiligen konnten und dadurch eine große Masse an Leuten erreicht wurde, die bereit war, eine nicht legale Aktionsform zu nutzen.

Personen und Gruppen aus der radikalen Linken hingegen, denen diese Art von Protest oftmals zu angepasst ist, hatten es bisher nie geschafft, militantere Massenaktionen zu initiieren. Zumeist beschränkte man sich auf vereinzelte kleine Aktionen an den Schienen, ohne Resonanz in der Presse oder der Bevölkerung. Mit der Aktion „Castor Schottern!“ wurde dieser Missstand nun aufgehoben. Und entgegen einigen Befürchtungen gab es eine breite Solidarität zwischen den Menschen, die sich den unterschiedlichen Aktionsformen anschlossen. Distanzierungsversuche, wie sie z. B. in Heiligendamm geschehen sind, gab es diesmal nicht. Ganz im Gegenteil, so wurden die Schotterer­Innen, die sich nach der Aktion der Blockade von X-tausendmalquer vor dem Zwischenlager anschlossen, mit offenen Armen empfangen.

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