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Innenpolitik

Bundesweite Demonstration für Frühjahr 2006 beschlossen

Von B.B. | 01.12.2005

Unter dem Motto „Jenseits der Wahl – Die nächsten Schritte sozialer Bewegung” fand am 19./20. November in Frankfurt/M. eine „Aktions- und Strategiekonferenz” statt. Gegen erhebliche Widerstände wurde eine bundesweite Demonstration gegen den sozialen Kahlschlag im Frühjahr 2006 beschlossen.

Unter dem Motto „Jenseits der Wahl – Die nächsten Schritte sozialer Bewegung” fand am 19./20. November in Frankfurt/M. eine „Aktions- und Strategiekonferenz” statt. Gegen erhebliche Widerstände wurde eine bundesweite Demonstration gegen den sozialen Kahlschlag im Frühjahr 2006 beschlossen.

Zur Aktionskonferenz wurden 150 bis 200 TeilnehmerInnen erwartet; über 350 kamen. Wenn allein schon das überraschend große Echo auf ein Bedürfnis nach einer bundesweiten Aktion hindeutete, so wurde diese Erwartung von der Vorbereitungsgruppe bzw. der Konferenzmoderation, die sich aus den KoordinatorInnen des Sozialforums in Deutschland (SFiD) zusammensetzte, nicht aufgegriffen. Sie hatten sich auf eine Vorgehensweise geeinigt, die sich nicht auf eine bundesweite Demonstration festlegen lassen wollte.

Im ursprünglichen Aktionsvorschlag für die Konferenz, der u.a. von Bernd Riexinger von der Gewerkschaftslinken auf dem ersten Sozialforum in Deutschland in diesem Sommer eingebracht worden war, hieß es: „Im Frühjahr 2006 soll – mit Focus auf das Gesetzgebungsverfahren für `einen dicken Hammer` – eine große gemeinsame bundesweite Protestaktion organisiert werden”. Daraus hatte die (SFiD) Vorbereitungsgruppe einen „dezentralen Aktionstag“ gemacht. Der „APO-Kongress“ wurde von einer „Aktionskonferenz“, zu einer „Strategiekonferenz“, um schließlich im unverbindlichen Austausch auszuklingen… wäre es nach den VeranstalterInnen gegangen.
Anti-emanzipatorisch
Wer die europäischen Sozialforen in Florenz oder Paris oder auch das Erfurter Sozialforum erlebt hat, kennt den Ablauf. So spannend die einleitenden Beiträge der großen Foren und kleineren Arbeitsgruppen, so interessant sind auch meist die anschließenden Diskussionen im Plenum. Sicherlich hätten auch die Impulsreferate in Frankfurt eine breite Debatte verdient.
Allerdings fand sie nicht statt. Von Beginn um 11.15 h am Samstag bis 16 h wurden die 350 Teilnehmenden im Uni-Seminar-Stil mit Beiträgen hingehalten. Die SFiD-Vorbereitungsgruppe hatte den Ablauf so geplant und durchorganisiert, dass die VertreterInnen der sozialen Initiativen, d.h. die KonferenzteilnehmerInnen kaum zu Wort kommen konnten. Den ergänzenden Rahmen bot die unsägliche Moderation von Sabine Leidig (ATTAC), deren Konzept allerdings im Vorfeld der Konferenz von der Vorbereitungsgruppe abgesegnet worden war.

Als dann auch noch ab 17.30 h in den „Diskussionsforen für Gegenkraft“, so in Forum 4 zu Privatisierung, erneut ein Impuls-Referat nach dem anderen anstand, platzte vielen TeilnehmerInnen der Kragen. Treffend charakterisierte Edith Bartelmus-Scholich (WASG) den Konferenzablauf als „anti-emanzipatorisch”, womit sie das manipulative und undemokratische Verhalten der SFiD-Vorbereitungsgruppe auf den Punkt brachte.
Bundesweite Demo?
Nicht zufällig spitzte sich die Debatte auf den Vorschlag für eine bundesweite Demonstration im Frühjahr 2006 zu, den Vertreter der Gewerkschaftslinken eingebracht hatten. Nachdem im größten Forum 1 sich fast 90 % der Teilnehmenden für eine solche Demonstration ausgesprochen hatten, kam die SFiD-Vorbereitungsgruppe unter Druck. Sabine Leidig trat von der Moderation zurück und wurde von der etwas flexibleren Angela Klein ersetzt. Sie stellte dem Vorschlag des Arbeitsausschusses der bundesweiten Gewerkschaftslinken, der einen Entwurf für einen Aktionsaufruf basierend auf dem Frankfurter Appell eingebracht hatte (siehe Kasten) und die Demonstration für März/April 2006 festlegen wollte, einen gemäßigteren Vorschlag entgegen. Dieser beinhaltet eine technische Konferenz im Dezember und eine erneute Strategiekonferenz im Februar, auf der die inhaltliche Stoßrichtung festgelegt werden soll, spricht aber ebenfalls von einer bundesweiten Demonstration. Den Aktionsaufruf der Gewerkschaftslinken lehnte Klein ab, weil noch weitere Kräfte eingebunden werden müssten, die nicht am 19./20. November vertreten seien. Hauptargument der SFiD-Vorbereitungsgruppe und ihrer AnhängerInnen war die Notwendigkeit einer „strategischen Allianz“. Die Konferenz stimmte mit 2/3 der Stimmen für Angela Kleins Vorschlag, wobei auf Antrag der Gewerkschaftslinken das Vorbereitungstreffen auf dem 17. Dezember festgelegt wurde. Insofern kam nach vielem Hin und Her eine Einigung auf eine bundesweite Demonstration im Frühjahr 2006 zustande – aber nur durch massiven Druck unterschiedlicher TeilnehmerInnen.
Die „strategische Allianz”
Viele TeilnehmerInnen der Konferenz kannten weder das Riexinger-Papier noch hatten sie die „dezentralen” Aktionsvorschläge der SFiD-Vorbereitungsgruppe überdacht. So kam die Diskussion über eine „bundesweite“ Demonstration für manche überraschend. Lag der Demovorschlag auch zu Beginn der Konferenz vor, so hielten die VeranstalterInnen mit ihrer längst für Februar geplanten weiteren Strategiekonferenz lange hinterm Berg. Anderen wurde erst nach und nach klar, was mit einer „strategischen Allianz“ gemeint war, nämlich eine „Allianz“ der „sozialen Bewegungen“ mit den Führungen der Gewerkschaften, der Linkspartei.PDS und der WASG. Anscheinend war die Bedeutung der klaren Äußerungen des DGB-Bundesvorsitzenden Sommer (siehe unten) nicht bei allen TeilnehmerInnen durchgedrungen.

Die unterschiedlichen Meinungen und Interessen zwischen SFiD-Vorbereitungsgruppe und z. B. der Gewerkschaftslinken gehen weit über unterschiedliche taktische Auffassungen hinaus und liegen jenseits persönlicher Meinungsverschiedenheiten. Sie betreffen eine zentrale strategische Frage: Wie organisieren wir die Proteste gegen den sozialen Kahlschlag und was ist dabei unser Verhältnis zu den Vorständen der Gewerkschaften, zu Linkspartei.PDS und zur WASG?

Die Gewerkschaftslinke erwartete schon im Vorfeld der Konferenz von den Gewerkschaftsspitzen in Sachen Aktionsinitiative gegen das 35 Milliarden Sparprogramm der neuen Regierung nichts. Dies wurde mit den Äußerungen des DGB-Vorsitzenden Sommer, wonach „die Koalitionsvereinbarungen nicht so schlimm ausgefallen“ seien wie erwartet und „der DGB würde die neue Regierung kritisch begleiten“ voll bestätigt. Deshalb setzt sich die Linke in den Gewerkschaften, aber auch andere Initiativen der Bewegung gegen den Sozialkahlschlag, nach dem Modell der Demonstration der Hunderttausend am 1.11.2003 in Berlin für eine eigenständige Mobilisierung der sozialen Bewegungen ein. Die Demonstration vom 1.11.2003 brachte die Gewerkschaftsbürokratie damals so in Zugzwang, dass sie am 3.4.2004 selber 500 000 Menschen gegen den Sozialabbau in Berlin, Köln und Stuttgart auf die Straße bringen musste.

Ein solches Mobilisierungsziel wie 2003 setzt eine aktive Bündnispolitik und ein Zuge
hen auf Gewerkschaftsgliederungen voraus. Es gibt nicht wenige Gliederungen, die nicht auf die Gewerkschaftsführungen warten wollen. Das schließt keineswegs Gespräche mit Gewerkschaftsvorständen über eine gemeinsame Mobilisierung aus. Aber wir dürfen uns eben nicht von deren Wohlwollen abhängig machen, sondern auf gleicher Augenhöhe in solche Gespräche eintreten.

Die SFiD-Vorbereitungsgruppe vertritt eine andere Herangehensweise. Sie will die Führungen der Gewerkschaften und der Linkspartei nicht verschrecken. Demnach sollte die Frankfurter Aktionskonferenz weder eigenständig Inhalte, noch einen Demotermin festlegen. Vielmehr sollte alles im kleinen Kreis mit den entsprechenden Apparaten ausgehandelt werden. Um angeblich fatale Fehler zu vermeiden, mussten die VeranstalterInnen den Ablauf der Konferenz „Jenseits der Wahl – Die nächsten Schritte sozialer Bewegung“ so gestalten, dass die Gewerkschaftsvorstände nicht „unnötig“ vor den Kopf gestoßen werden. Daraus folgte das geschilderte Referatsmarathon, der Versuch der Verhinderung von Diskussionen, usw.

Auf der parteipolitischen Ebene stützten bis auf wenige Ausnahmen die VertreterInnen von Linksruck, isl, Linkspartei.PDS, WASG und DKP das Vorgehen der SFiD-Vorbereitungsgruppe, während Mitglieder von RSB und SAV für die Vorschläge der Gewerkschaftslinken eintraten.
Parlamentarismus
Das Gewicht des Parlamentarismus wirkte auf die Frankfurter Konferenz der sozialen Bewegung. Die SFiD-Vorbereitungsgruppe schaut auf die Gewerkschaftsvorstände und auf die Linkspartei. Die Linkspartei schielt auf die Gewerkschaftsbürokratie um Peters und Bsirske. Die zentralen Apparate in Verdi und IG Metall hoffen wiederum darauf, dass die SPD in der Großen Koalition das Schlimmste verhindert. So gab die Konferenz „Jenseits der Wahl – Die nächsten Schritte sozialer Bewegung“ einen ersten Eindruck von den Schwierigkeiten, eine außerparlamentarische Bewegung aufzubauen. Die Widerstände der SFiD- Vorbereitungsgruppe konnten überwunden werden, zumindest vorerst. Die Widerstände der Linkspartei und der Gewerkschaftsspitzen gegen eine außerparlamentarische Mobilisierung bleiben bestehen.

Ob mensch sich auf dem technischen Arbeitstreffen im Dezember inhaltlich auf den „Frankfurter Appell“ einigen kann, wird sich noch zeigen. Neue Widerstände sind zu erwarten!

Aufruf für eine bundesweite Demonstration 2006

Neben einigen sozialistischen Gruppen (SAV. RSB u. GAM) hat vor allem die Gewerkschaftslinke auf die Organisierung einer bundesweiten Demonstration im Frühjahr gedrungen. Die Gewerkschaftslinke hatte dazu einen Entwurf für einen Demonstrationsaufruf vorgelegt. Wir zitieren daraus:

Gemeinsam gegen das 35 Milliarden Sparprogramm und den fortgesetzten Sozialkahlschlag! Keine Sanierung der Staatsfinanzen auf Kosten der Lohnabhängigen und Bedürftigen!
(…)
Für uns haben die Forderungen des „Frankfurter Appells“ vom Jan. 2004, die in der Bewegung nach der  Großdemonstration am 1. November 2003 in Berlin entwickelt wurden, nichts von ihrer  Aktualität eingebüßt. Im Gegenteil! Wir treten auch heute für diese Forderungen ein:
– einen gesetzlichen Mindestlohn, der zum Leben reicht, mindestens 10 EURO die Stunde
– ein ausreichendes garantiertes Mindesteinkommen für alle Erwerbslosen, ohne Bedürftigkeitsprüfung
– 30-Stundenwoche bei vollem Lohn- und Personalausgleich
– die Senkung des Renteneintrittsalters auf 60 Jahre ohne Abschläge
– eine einheitliche, Bedarf deckende Krankenversicherung
– die Rücknahme der Gewinnsteuersenkungen und die Wiedereinführung einer Vermögenssteuer
– uneingeschränkter Zugang zu den und Ausbau von Bildungs-, Erziehungs- und Kultureinrichtungen (keine Studiengebühren und andere Gebührenerhöhungen, keine Eliteuniversitäten)
– keine Privatisierung der Sozialversicherung und der öffentliche Einrichtungen
– qualifizierte Ausbildungsplätze für alle Jugendlichen“

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